Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman. Kathrin Singer

Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman - Kathrin Singer


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seit Tagen. Ich verstehe nicht, wie er sich damit überhaupt noch auf den Beinen halten konnte.«

      Er legte die Hand auf Ingrids Arm. »Ich komme zurück und bringe weitere Medikamente mit. Jetzt gebe ich dem Patienten zuerst eine Injektion, damit er sich ruhig verhält.«

      »Ich wache bei ihm, bis Sie wieder hier sind, Herr Doktor.«

      »Oder sollen wir lieber den Krankenwagen bestellen?«, fragte Dr. Weide. »Die Belastung, einen so schwer kranken Patienten im Haus zu haben, ist für Sie gewiss zu groß. Wir sollten ihn doch lieber ins Krankenhaus bringen lassen.«

      »Nein, nein«, sagte Ingrid mit fester Stimme. »Ich werde es schaffen, ihn zu pflegen. Die Zeit werde ich mir dazu nehmen. Ist er in Lebensgefahr?«

      »Einer Lungenentzündung kann man heutzutage zu Leibe rücken. Allerdings darf ich Ihnen nicht verhehlen, dass der Zustand des Patienten besorgniserregend ist«, antwortete Dr. Weide.

      »Trotzdem möchte ich ihn hierbehalten.« Ingrid begleitete das Ehepaar in den Flur und bat es ins Wohnzimmer.

      Dort sagte sie: »Ich will nicht länger ein Geheimnis daraus machen, dass dieser Mann Stefan Becker heißt und der Vater der kleinen Katrin vom Birkenhof ist.«

      Das Ehepaar Weide starrte Ingrid fassungslos an. Endlich fragte die Ärztin: »Wie kommt dieser Mann gerade in die Schlehdorn-Mühle?«

      »Er hat sich wegen seines Kindes hier herumgetrieben und ist schon längere Zeit in unserer Gegend.«

      Rasch erzählte Ingrid, was sie von Stefan Becker gehört hatte. Dann bat sie das Arztehepaar: »Bitte, schweigen Sie darüber. Ich möchte nicht, dass Stefan Becker in diesem Zustand verhaftet wird. Auch wenn man ihn in ein Gefängniskrankenhaus bringen würde, ich fände keine Ruhe.« Ihre Augen waren bittend auf das Arztehepaar gerichtet.

      »Ich halte es auch für besser, wenn er hier bei Ihnen bleibt.« Frau Dr. Weide war sehr erregt. »Was gibt es doch für Schicksale auf dieser Welt! Wir sollten wirklich über niemanden richten, solange wir nicht in einer ähnlichen Situation waren. Hoffen wir, dass die kleine Katrin doch eines Tages wieder einen glücklichen Vater hat.«

      Als die beiden Mediziner das Haus verlassen hatten, ging Ingrid wieder in das kleine Zimmer. Stefan Becker lag mit geschlossenen Augen auf dem Sofa. Die Injektion schien ihm etwas Schlaf zu bringen, aber noch immer wurde er von Schüttelfrost überfallen.

      Ingrid ging in ihr Schlafzimmer, um ein Federbett zu holen.

      Petra war vor Erschöpfung eingeschlafen. Man sah ihr noch an, dass sie geweint hatte, und sie schlief unruhiger als sonst. Ingrid beugte sich über sie und küsste sie zärtlich. In diesen Minuten nahm sie sich vor, vor ihrem Kind nie mehr ein Geheimnis zu haben. Es sollte sich nie wieder Sorgen machen müssen.

      Dass sie Petra heute nicht eingeweiht hatte, wäre ihr beinahe zum Verhängnis geworden. Sie würde den Schock so schnell nicht vergessen.

      Ingrid löschte das Licht und ging zu dem Kranken zurück. Sie deckte ihn mit dem Federbett zu und trocknete ihm den Schweiß von der Stirn. Dann setzte sie sich auf einen Stuhl, den sie ans Fenster gestellt hatte. Nun hatte sie Ruhe genug, um noch einmal über alles nachzudenken, was ihr Stefan Becker anvertraut hatte.

      Sie sah in sein Gesicht und wunderte sich darüber, wie vertraut es ihr schon geworden war. Dabei hatte sie diesen Mann vor ein paar Tagen doch noch nicht gekannt. Sie wusste, dass sie ihm helfen würde. Nicht nur während seiner Krankheit, sondern auch bei dem, was ihn nach seiner Genesung erwartete.

      Bereits am frühen Morgen kam Dr. Weide wieder zur Schlehdorn-Mühle, um nach dem Patienten zu sehen. Er versorgte ihn mit den nötigen Medikamenten und versprach, am Nachmittag wiederzukommen. Er versicherte Ingrid nochmals, niemandem zu sagen, dass sie einen Schwerkranken im Haus hatte.

      Ingrid schickte Petra zu Mittag mit einem kurzen Brief zum Birkenhof, in dem sie Imma bat, sie zu besuchen, weil sie etwas Dringendes mit ihr zu besprechen hatte.

      Es fiel Petra schwer, im Birkenhof nicht zu verraten, dass in der Schlehdorn-Mühle der Vater Katrins lag. Petra hatte von ihrer Mutter inzwischen gehört, warum Stefan Becker sein Kind ausgesetzt hatte. Sosehr sie sich früher darüber ereifert hatte, nun, da die Mutter es zu verstehen schien, wollte sie den Vater der kleinen Katrin auch nicht weiter verurteilen.

      Imma ging mit Petra noch kurz auf die Koppel, um ihr Pferd zu satteln, dann begleitete sie das kleine Mädchen. Es durfte auf dem Pferd sitzen, während es Imma am Zügel führte. Das machte dem kleinen Mädchen natürlich großen Spaß.

      Ingrid Pleyer kam aus dem Haus, als sie Imma und Petra kommen sah. Herzlich begrüßte sie die junge Frau, dann gingen alle drei ins Haus.

      Im Flur fragte Petra: »Darf ich ins kleine Zimmer gehen, Mutti?« Flüsternd setzte sie hinzu: »Ich kann Herrn Becker vielleicht helfen, solange du keine Zeit für ihn hast. Vielleicht braucht er gerade was, wenn du nicht bei ihm bist.«

      Ingrid nickte. »Ja, geh.« Sie führte Imma ins Wohnzimmer. Dort erzählte sie ihr von Stefan Becker.

      Imma hörte ihr zu, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen. Schließlich musste Ingrid fragen: »Können Sie kein Verständnis für die Tat dieses Mannes aufbringen, Imma?« Ihre Stimme klang besorgt.

      »Ich verurteile andere nicht so schnell, Ingrid. Das kommt mir schließlich nicht zu. Zudem bin ich tief erschüttert. Immer habe ich geahnt, dass Katrin eines Tages den Birkenhof wieder verlassen wird, so wenig mein Vater dies auch wahrhaben wollte. Jetzt kommt plötzlich alles so schnell. Nun weiß ich nicht, ob ich mich darüber freuen oder traurig sein soll, denn das kleine Mädchen ist mir inzwischen sehr ans Herz gewachsen.« Sie stand auf und atmete tief durch. »Ich muss das, was ich gehört habe, erst einmal verarbeiten. Und dann – ja, dann werde ich mit meinem Vater sprechen. Davor habe ich – ehrlich gesagt etwas Angst, aber es wird besser sein, wenn ich ihn vorbereite, bevor dieser Herr Becker zu ihm kommt.« Sie reichte Ingrid die Hand und ging wieder hinaus zu ihrem Pferd. Doch sie schlug nicht die Richtung zum Birkenhof ein. Jetzt brauchte sie erst einmal etwas Zeit, um sich in Ruhe überlegen zu können, wie sie ein Gespräch mit ihrem Vater anfangen konnte. Das würde nicht so einfach sein, denn sie kannte seine Sturheit. Aber auf dem Rücken ihres Pferdes waren ihr schon öfter die besten Einfälle gekommen.

      *

      Am späten Abend – Eugen von Herwig und der alte Karl waren schon lange neugierig, warum Imma in die Schlehdorn-Mühle hatte kommen sollen – sprach sie endlich von Katrins Vater.

      Schon nach wenigen Sätzen unterbrach sie Eugen von Herwig: »Wie sieht der Mann aus?«

      »Ich habe ihn nicht zu Gesicht bekommen, Vater. Ingrid wollte ihn nicht beunruhigen, weil sein Gesundheitszustand noch immer besorgniserregend ist. Aber sie hat mir gesagt, dass er groß, schlank und braunhaarig ist. So hast du doch den Mann auch immer beschrieben, der dir das Kind im Zug anvertraut hat.«

      »Anvertraut, ja, so haben wir es genannt.« Eugen von Herwig brauste auf. »Es war ein vornehmes Wort für das, was dieser Vater getan hat!«

      Imma neigte sich zu ihm hinüber und sah ihm fest in die Augen. »Wir wollen jetzt nicht andere Worte finden, nur weil sich Stefan Becker gemeldet hat und die Gefahr für dich besteht, dich von Katrin trennen zu müssen. Das wäre ungerecht, denn er hat seinen Fehler erkannt und ist bereit, ihn gutzumachen, weil er eben ein Vater ist und im Grunde seines Herzens an seinem Kind hängt genau wie du.« Imma hatte ihre Hand auf seine gelegt.

      »Bis jetzt hat er sich nicht gemeldet und sich nicht zu seiner schändlichen Tat bekannt«, klang Eugen von Herwigs Stimme wieder grimmig. »Er ist nur krank geworden und hat sich in seiner Not zu Ingrid Pleyer geflüchtet.«

      »Dass er in Not gewesen ist, gestehen Sie ihm also zu«, sagte der alte Karl, der sich bis jetzt nicht in die Unterhaltung gemischt hatte. »Lassen Sie Imma weitererzählen.«

      Eugen von Herwig unterbrach seine Tochter nicht mehr, aber es war ein trotziges Schweigen, in das er sich hüllte. Er war auch später nicht geneigt, sich auf Diskussionen einzulassen und ging früher als gewöhnlich ins


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