Kosmos. Alexander von Humboldt
I. S. 487); durch die Drehwage von Reich 5,44. In der Berechnung dieser, mit meisterhafter Genauigkeit von Prof. Reich angestellten Versuche war das ursprüngliche mittlere Resultat 5,43 (mit einem wahrscheinlichen Fehler von nur 0,0233): ein Resultat, das, um die Größe vermehrt, um welche die Schwungkraft der Erde die Schwerkraft vermindert, für die Breite von Freiberg (50° 55’) in 5,44 zu verwandeln ist. Die Anwendung von Massen aus Gußeisen statt des Bleies hat keine merkliche, den Beobachtungsfehlern nicht mit vollem Rechte zuzuschreibende Verschiedenheit der Anziehung, keine Spuren magnetischer Wirkungen offenbart (Reich, Versuche über die mittlere Dichtigkeit der Erde 1838 S. 60, 62 und 66). Durch die Annahme einer zu kleinen Abplattung der Erde und durch die unsichere Schätzung der Gesteins-Dichtigkeit der Oberfläche hatte man früher die mittlere Dichtigkeit der Erde ebenfalls, wie in den Versuchen auf und an den Bergen, um 1/6 zu klein gefunden: 4,761 (Laplace, Mécan. cél. T. V. p. 46) oder 4,785 (Eduard Schmidt, Lehrb. der math. Geogr. Bd. I. § 387 und 418). – Ueber die weiter unten (S. 178) angeführte Halley’sche Hypothese von der Erde als Hohlkugel (den Keim Franklin’scher Ideen über das Erdbeben) s. Philos. Transact. for the year 1693 Vol. XVII. p. 563 (on the structure of the internal parts of the Earth and the concave habitated arch of the shell). Halley hält es für des Schöpfers würdiger: »daß der Erdball wie ein Haus von mehreren Stockwerken, von innen und außen bewohnt sei. Für Licht in der Hohlkugel würde auch wohl (p. 576) auf irgend eine Weise gesorgt werden können.« ist die letzte die sicherste, da sie unabhängig von der schwierigen Bestimmung der Dichtigkeit der Mineralien ist, aus welchen das sphärische Segment eines Berges besteht, in dessen Nähe man beobachtet. Sie giebt nach den neuesten Versuchen von Reich 5,44; d. h. sie zeigt, daß die mittlere Dichtigkeit der ganzen Erde so vielmal größer ist als die des reinen Wassers. Da nun nach der Natur der Gebirgsschichten, welche den trockenen, continentalen Theil der Erdoberfläche bilden, die Dichtigkeit dieses Theils kaum 2,7, die Dichtigkeit der trocknen und oceanischen Oberfläche zusammen kaum 1,6 beträgt; so folgt aus jener Angabe, wie sehr die elliptischen, ungleich abgeplatteten Schichten des Inneren durch Druck oder durch Heterogeneität der Stoffe gegen das Centrum zu an Dichtigkeit zunehmen. Hier zeigt sich wieder, daß das Pendel, das senkrechte wie das horizontal schwingende, mit Recht ein geognostisches Instrument genannt worden ist.
Aber die Schlüsse, zu welchen der Gebrauch eines solchen Instruments führt, hat berühmte Physiker, nach Verschiedenheit der Hypothesen, von denen man ausging, zu ganz entgegengesetzten Ansichten über die Naturbeschaffenheit des Inneren des Erdkörpers geleitet. Man hat berechnet, in welchen Tiefen tropfbar-flüssige, ja selbst luftförmige Stoffe durch den eigenen Druck ihrer auf einander gelagerten Schichten die Dichtigkeit der Platina oder selbst des Iridiums übertreffen würden; und um die innerhalb sehr enger Grenzen bekannte Abplattung mit der Annahme einer einfachen, bis ins unendliche compressibeln Substanz in Einklang zu bringen, hat der scharfsinnige Leslie den Kern der Erde als eine Hohlkugel beschrieben, die mit sogenannten »unwägbaren Stoffen von ungeheurer Repulsivkraft« erfüllt wäre. Diese gewagten und willkührlichen Vermuthungen haben in ganz unwissenschaftlichen Kreisen bald noch phantasiereichere Träume hervorgerufen. Die Hohlkugel ist nach und nach mit Pflanzen und Thieren bevölkert worden, über die zwei kleine unterirdisch kreisende Planeten, Pluto und Proserpina, ihr mildes Licht ausgießen. Immer gleiche Wärme herrscht in diesen inneren Erdräumen, und die durch Compression selbstleuchtende Luft könnte wohl die Planeten der Unterwelt entbehrlich machen. Nahe am Nordpol, unter 82° Breite, da wo das Polarlicht ausströmt, ist eine ungeheure Oeffnung, durch die man in die Hohlkugel hinabsteigen kann. Zu einer solchen unterirdischen Expedition sind Sir Humphry Davy und ich vom Capitän Symmes wiederholt und öffentlich aufgefordert worden. So mächtig ist die krankhafte Neigung der Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugniß wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen. Schon der berühmte Halley hatte, am Ende des 17ten Jahrhunderts, in seinen magnetischen Speculationen die Erde ausgehöhlt. Ein unterirdisch frei rotirender Kern verursacht durch seine Stellung die tägliche und jährliche Veränderung der magnetischen Abweichung! Was bei dem geistreichen Holberg eine heitere Fiction war, hat man zu unserer Zeit mit langweiligem Ernste in ein wissenschaftliches Gewand zu kleiden versucht.
Die Figur der Erde und der Grad der Starrheit (Dichtigkeit), welchen die Erde erlangt hat, stehen in inniger Verbindung mit den Kräften, die sie beleben: sofern nämlich diese Kräfte nicht von außen her durch die planetarische Stellung gegen einen leuchtenden Centralkörper angeregt oder erweckt sind. Die Abplattung, Folge der auf eine rotirende Masse einwirkenden Schwungkraft, offenbart den früheren Zustand der Flüssigkeit unsres Planeten. Bei dem Erstarren dieser Flüssigkeit, die man geneigt ist als eine dunstförmige, bereits ursprünglich zu einer sehr hohen Temperatur erhitzte anzunehmen, ist eine ungeheure Menge latenter Wärme frei geworden. Fing der Proceß der Erstarrung, wie Fourier will, von der zuerst durch Strahlung gegen den Himmelsraum erkaltenden Oberfläche an, so blieben die dem Mittelpunkt der Erde näheren Theile flüssig und glühend. Da nach langer Ausströmung der Wärme vom Mittelpunkt gegen die Oberfläche sich endlich ein Stabilitäts-Zustand in der Temperatur des Erdkörpers hergestellt hat, so wird angenommen, daß mit zunehmender Tiefe auch die unterirdische Wärme ununterbrochen zunehme. Die Wärme der Wasser, welche den Bohrlöchern (artesischen Brunnen) entquellen, unmittelbare Versuche über die Temperatur des Gesteins in den Bergwerken, vor allem aber die vulkanische Thätigkeit der Erde, d. i. der Erguß geschmolzener Massen aus geöffneten Spalten: bezeugen diese Zunahme auf das unwidersprechlichste für sehr beträchtliche Tiefen der oberen Erdschichten. Nach Schlüssen, die sich freilich nur auf Analogien gründen, wird dieselbe auch mehr als wahrscheinlich weiter gegen das Centrum hin.
Was ein kunstreicher, für diese Classe von Untersuchungen Dahin gehören die vortrefflichen analytischen Arbeiten von Fourier, Biot, Laplace, Poisson, Duhamel und Lamé. In seinem Werke théorie mathématique de la Chaleur 1835 p. 3, 428–430, 436 und 521–524 (s. auch den Auszug von la Rive in der Bibliothèque universelle de Genève T. LX. p. 415) hat Poisson eine von Fourier’s Ansicht (théorie analytique de la Chaleur) ganz abweichende Hypothese entwickelt. Er läugnet den gegenwärtigen flüssigen Zustand des Kerns der Erde; er glaubt: »daß bei dem Erkalten durch Strahlung gegen das die Erde umgebende Mittel die an der Oberfläche zuerst erstarrten Theile herabgesunken sind; und daß durch einen doppelten, ab-und aufwärts gehenden Strom die große Ungleichheit vermindert worden ist, welche bei einem festen, von der Oberfläche her erkaltenden Körper statt finden würde.« Es scheint dem großen Geometer wahrscheinlicher, daß die Erstarrung in den dem Mittelpunkt näher liegenden Schichten angefangen habe; »das Phänomen der mit der Tiefe zunehmenden Wärme erstrecke sich nicht auf die ganze Erdmasse, und sei bloß eine Folge der Bewegung unsres Planetensystems im Weltraume: dessen einzelne Theile durch Sternenwärme (chaleur stellaire) eine sehr verschiedene Temperatur haben.« Die Wärme der Wasser unserer artesischen Brunnen wäre also, nach Poisson, bloß eine von außen in den Erdkörper eingedrungene Wärme; und man könnte letzteren »als einen Felsblock betrachten, der vom Aequator nach dem Pole geschafft wurde: aber in einer so kurzen Zeit, daß er nicht ganz zu erkalten vermochte. Die Temperatur-Zunahme in diesem Blocke würde sich nicht bis zu den Schichten seiner Mitte erstreckt haben.« Die physikalischen Zweifel, welche man mit Recht gegen diese sonderbare kosmische Ansicht aufgestellt hat (gegen eine Ansicht, welche dem Himmelsraume zuschreibt, was wohl eher dem ersten Uebergange der sich ballenden Materie aus dem gasförmig flüssigen in einen festen Zustand angehört), findet man gesammelt in Poggendorff’s Annalen der Physik und Chemie Bd. XXXIX. S. 93–100. eigens vervollkommneter, analytischer Calcül über die Bewegung der Wärme in homogenen metallischen Sphäroiden gelehrt hat, ist: bei unserer Unkenntniß der Stoffe, aus denen die Erde zusammengesetzt sein kann, bei der Verschiedenheit der Wärme-Capacität und Leitungsfähigkeit auf einander geschichteter Massen, bei den chemischen Umwandlungen, welche feste und flüssige Materien durch einen ungeheuren Druck erleiden; nur sehr vorsichtig auf die wirkliche Naturbeschaffenheit unsres Planeten anzuwenden. Am schwierigsten für unsere Fassungskraft ist die Vorstellung von der Grenzlinie zwischen der flüssigen Masse des Inneren und den schon erhärteten Gebirgsarten der äußeren Erdrinde, von der allmäligen Zunahme der festen Schichten und dem Zustande der Halbflüssigkeit erdiger zäher Stoffe, für welche die bekannten Gesetze der Hydraulik nur unter beträchtlichen Modificationen