Kosmos. Alexander von Humboldt
allerdings periodische Hebungen und Senkungen der geschmolzenen Masse, Ungleichheiten des gegen das Gewölbe ausgeübten Druckes vermuthen. Das Maaß und die Wirkung solcher Oscillation kann aber nur gering sein; und wenn der relative Stand der anziehenden Weltkörper auch hier Springfluthen erregen muß, so ist doch gewiß nicht diesen, sondern mächtigeren inneren Kräften die Erschütterung der Erdoberfläche zuzuschreiben. Es giebt Gruppen von Erscheinungen, deren Existenz es nur darum nützlich ist hervorzuheben, um die Allgemeinheit des Einflusses der Attraction von Sonne und Mond auf das äußere und innere Leben der Erde zu bezeichnen, so wenig wir auch die Größe eines solchen Einflusses numerisch zu bestimmen vermögen.
Nach ziemlich übereinstimmenden Erfahrungen in den artesischen Brunnen nimmt in der oberen Erdrinde die Wärme im Durchschnitt mit einer senkrechten Tiefe von je 92 Pariser Fuß um 1° des hunderttheiligen Thermometers zu. Befolgte diese Zunahme ein arithmetisches Verhältniß, so würde demnach, wie ich bereits oben Siehe oben S. 27, 42 [Anm. 2] und 48 [Anm. 13]. Die WärmeZunahme ist gefunden worden in dem Puits de Grenelle zu Paris von 984/10 Fuß (32 mètres), in dem Bohrloch zu Neu-Salzwerk bei Preußisch Minden fast 91 Fuß (29m,6); zu Prégny bei Genf, ohnerachtet dort die obere Oeffnung des Bohrloches 1510 Fuß über dem Meeresspiegel liegt, nach Auguste de la Rive und Marcet, ebenfalls von 91 Fuß (29m,6). Diese Uebereinstimmung der Resultate in einer Methode, welche erst im Jahre 1821 von Arago (Annuaire du Bureau des Longitudes pour l’an 1835 p. 234) vorgeschlagen wurde, ist sehr auffallend: und von drei Bohrlöchern hergenommen, von 1683 F. (547m), 2094 F. (680m) und 680 F. (221m) absoluter Tiefe. Die zwei Punkte der Erde, in kleiner senkrechter Entfernung unter einander, deren Jahres-Temperaturen wohl am genauesten bestimmt sind, sind wahrscheinlich die Temperatur der äußeren Luft der Sternwarte zu Paris und die Temperatur der Caves de l’Observatoire. Jene ist 10°,822, diese 11°,834: Unterschied 1°,012 auf 86 Fuß (28m) Tiefe (Poisson, théorie math. de la Chaleur p. 415 und 462). Freilich ist in den letzten 17 Jahren, aus noch nicht ganz ausgemittelten Ursachen, wo nicht die Temperatur der Caves de l’Observatoire doch die Anzeige des dort stehenden Thermometers, um 0°,220 gestiegen. Wenn in Bohrlöchern bisweilen das Eindringen von Wassern aus Seitenklüften einige Störung hervorbringt, so sind in Bergwerken andere Verhältnisse erkältender Luftströmung noch schädlicher für die Genauigkeit mit vieler Mühe erforschter Resultate. Das Gesammt-Resultat von Reich’s großer Arbeit über die Temperatur der Gruben im sächsischen Erzgebirge ist eine etwas langsame WärmeZunahme von 128½ Fuß (41m,84) auf 1° (Reich, Beob. über die Temperatur des Gesteins in verschiedenen Tiefen 1834 S. 134). Doch hat Phillips (Poggend. Ann. Bd. XXXIV. S. 191) in einem Schachte des Kohlenbergwerks von Monk Wearmouth bei Newcastle, wo, wie ich schon oben bemerkt, 1404 Fuß (456m) unter dem Meeresspiegel gearbeitet wird, auch eine Zunahme der Wärme von 996/10 Fuß (32m,4), fast ganz identisch mit Arago’s Resultat im Puits de Grenelle, gefunden. angegeben habe, eine Granitschicht in der Tiefe von 52/10 geographischen Meilen (vier bis fünfmal gleich dem höchsten Gipfel des Himalaya-Gebirges) geschmolzen sein.
In dem Erdkörper sind dreierlei Bewegungen der Wärme zu unterscheiden. Die erste ist periodisch und verändert die Temperatur der Erdschichten, indem nach Verschiedenheit des Sonnenstandes und der Jahreszeiten die Wärme von oben nach unten eindringt, oder auf demselben Wege von unten nach oben ausströmt. Die zweite Art der Bewegung ist ebenfalls eine Wirkung der Sonne und von außerordentlicher Langsamkeit. Ein Theil der Wärme, die in den Aequatorial-Gegenden eingedrungen ist, bewegt sich nämlich in dem Inneren der Erdrinde gegen die Pole hin, und ergießt sich an den Polen in den Luftkreis und den fernen Weltraum. Die dritte Art der Bewegung ist die langsamste von allen: sie besteht in der secularen Erkaltung des Erdkörpers: in dem Wenigen, was jetzt noch von der primitiven Wärme des Planeten an die Oberfläche abgegeben wird. Dieser Verlust, den die Centralwärme erleidet, ist in der Epoche der ältesten Erdrevolutionen sehr beträchtlich gewesen, seit den historischen Zeiten aber wird er für unsere Instrumente kaum meßbar. Die Oberfläche der Erde befindet sich demnach zwischen der Glühhitze der unteren Schichten und dem Weltraume, dessen Temperatur wahrscheinlich unter dem Gefrierpunkt des Quecksilbers ist.
Die periodischen Veränderungen der Temperatur, welche an der Oberfläche der Sonnenstand und die meteorologischen Processe hervorrufen, pflanzen sich im Inneren der Erde aber nur bis zu sehr geringen Tiefen fort. Diese Langsamkeit der Wärmeleitung des Bodens schwächt auch im Winter den Wärmeverlust und wird tiefwurzelnden Bäumen günstig. Punkte, welche in verschiedenen Tiefen in einer Verticallinie liegen, erreichen zu sehr verschiedenen Zeiten das Maximum und Minimum der mitgetheilten Temperatur. Je mehr sie sich von der Oberfläche entfernen, desto geringer sind die Unterschiede dieser Extreme. In unseren Breiten der gemäßigten Zone (Br. 48°–52°) liegt die Schicht invariabler Temperatur in 55–60 Fuß Tiefe; schon in der Hälfte dieser Tiefe erreichen die Oscillationen des Thermometers durch Einfluß der Jahreszeiten kaum noch einen halben Grad. Dagegen wird in dem Tropenklima die invariable Schicht schon einen Fuß tief unter der Oberfläche gefunden: und diese Thatsache ist von Boussingault auf eine scharfsinnige Weise zu einer bequemen und, wie er glaubt, sicheren Bestimmung der mittleren Luft-Temperatur des Ortes benutzt worden Boussingault sur la Profondeur à laquelle se trouve la Couche de Température invariable entre les tropiques, in den Annales de Chimie et de Physique T. LIII. 1833 p. 225–247.. Diese mittlere Luft-Temperatur an einem bestimmten Punkte oder in einer Gruppe nahe gelegener Punkte der Oberfläche ist gewissermaßen das Grundelement der klimatischen und Cultur-Verhältnisse einer Gegend: aber die mittlere Temperatur der ganzen Oberfläche ist von der des Erdkörpers selbst sehr verschieden. Die so oft angeregte Frage: ob jene im Lauf der Jahrhunderte beträchtliche Veränderungen erlitten, ob das Klima eines Landes sich verschlechtert hat, ob nicht etwa gleichzeitig die Winter milder und die Sommer kälter geworden sind? kann nur durch das Thermometer entschieden werden; und die Erfindung dieses Instruments ist kaum drittehalbhundert Jahre, seine verständige Anwendung kaum 120 Jahre alt. Die Natur und Neuheit des Mittels setzt also hier den Forschungen über die Luft-Temperatur sehr enge Grenzen. Ganz anders ist die Lösung des größeren Problems der inneren Wärme des ganzen Erdkörpers. Wie man aus der unveränderten Schwingungsdauer eines Pendels auf die bewahrte Gleichheit seiner Temperatur schließen kann, so belehrt uns die unveränderte Umdrehungs-Geschwindigkeit der Erde über das Maaß der Stabilität ihrer mittleren Temperatur. Diese Einsicht in das Verhältniß der Tageslänge zur Wärme gehört zu den glänzendsten Anwendungen einer langen Kenntniß der Himmelsbewegungen auf den thermischen Zustand unsres Planeten. Die Umdrehungs-Geschwindigkeit der Erde hängt nämlich von ihrem Volum ab. So wie in der durch Strahlung allmälig erkaltenden Masse die Rotations-Achse kürzer würde, müßten mit Abnahme der Temperatur die Umdrehungs-Geschwindigkeit vermehrt und die Tageslänge vermindert werden. Nun ergiebt die Vergleichung der secularen Ungleichheiten in den Bewegungen des Mondes mit den in älteren Zeiten beobachteten Finsternissen, daß seit Hipparchs Zeiten, also seit vollen 2000 Jahren, die Länge des Tages gewiß nicht um den hundertsten Theil einer Secunde abgenommen hat. Es ist demnach innerhalb der äußersten Laplace, expos. du Syst. du Monde p. 229 und 263, Mécanique cél. T. V. p. 18 und 72. Es ist zu bemerken, daß der Bruch 1/170 eines Centesimal-Grades des Quecksilber-Thermometers, welcher im Texte als Grenze der Stabilität der Erdwärme seit Hipparchs Zeiten angegeben ist, auf der Annahme beruht: daß die Dilatation der Stoffe, aus denen der Erdkörper zusammengesetzt ist, gleich der des Glases sei, d. i. 1/100000 für 1° Wärme. Vergl. über diese Voraussetzung Arago im Annuaire pour 1834 p. 177–190. Grenze dieser Abnahme die mittlere Wärme des Erdkörpers seit 2000 Jahren nicht um 1/170 eines Grades verändert worden.
Diese Unveränderlichkeit der Form setzt auch eine große Unveränderlichkeit in der Vertheilung der Dichtigkeits-Verhältnisse im Inneren des Erdkörpers voraus. Die translatorischen Bewegungen, welche die Ausbrüche der jetzigen Vulkane, das Hervordringen eisenhaltiger Laven, das Ausfüllen vorher leerer Spalten und Höhlungen mit dichten Steinmassen verursachen; sind demnach nur als kleine Oberflächen-Phänomene, als Ereignisse eines Theiles der Erdrinde zu betrachten, welcher der Dimension nach gegen die Größe des Erd-Halbmessers verschwindet.
Die innere Wärme des Planeten