Kosmos. Alexander von Humboldt
von der Oberfläche der Erde zum Centrum. Er glaubt, daß alle Wärme von außen nach innen eingedrungen ist, und daß die Temperatur des Erdkörpers abhängig ist von der sehr hohen oder sehr niedrigen Temperatur der Welträume, durch welche sich das Sonnensystem bewegt hat. Diese Hypothese, von einem der tiefsinnigsten Mathematiker unserer Zeit ersonnen, hat fast nur ihn, wenig die Physiker und Geognosten befriedigt. Was aber auch die Ursache der inneren Wärme unsers Planeten und der begrenzten oder unbegrenzten Zunahme in den tieferen Schichten sein mag: immer führt sie uns in diesem Entwurfe eines allgemeinen Naturgemäldes, durch den inneren Zusammenhang aller primitiven Erscheinungen der Materie, durch das gemeinsame Band, welches die Molecular-Kräfte umschlingt, in das dunkle Gebiet des Magnetismus. TemperaturVeränderungen bringen magnetische und electrische Ströme hervor. Der tellurische Magnetismus, dessen Hauptcharakter in der dreifachen Aeußerung seiner Kräfte eine ununterbrochene periodische Veränderlichkeit ist, wird entweder der ganzen, ungleich erwärmten Erdmasse selbst William Gilbert von Colchester, den Galilei »bis zum Neid-Erregen groß« nennt, sagt schon: »magnus magnes ipse est globus terrestris«. Er bespöttelt die Magnetberge als Magnetpole des Fracastoro, des großen Zeitgenossen von Christoph Columbus: »rejicienda est vulgaris opinio de montibus magneticis, aut rupe aliqua magnetica, aut polo phantastico a polo mundi distante.« Er nimmt die Abweichung der Magnetnadel auf dem ganzen Erdboden für unveränderlich an (variatio uniuscujusque loci constans est); und erklärt die Krümmungen der isogonischen Linien aus der Gestaltung der Continente und der relativen Lage der Meeresbecken: welche eine schwächere magnetische Ziehkraft ausüben als die über dem Ocean hervorragenden festen Massen. (Gilbert de Magnete, ed. 1633, p. 42, 98, 152 und 155.); oder jenen galvanischen Strömen zugeschrieben, die wir als Electricität in Bewegung, als Electricität in einem in sich selbst zurückkehrenden Kreislaufe betrachten Gauß, allgemeine Theorie des Erdmagnetismus, in den Resultaten aus den Beob. des magnet. Vereins im Jahr 1838 § 41 S. 56.. Der geheimnißvolle Gang der Magnetnadel ist von der Zeit und dem Raume, von dem Sonnenlaufe und der Veränderung des Orts auf der Erdoberfläche gleichmäßig bedingt. Man erkennt an der Nadel, wie an den Schwankungen des Barometers zwischen den Wendekreisen, die Stunde des Tages. Sie wird durch das ferne Nordlicht, durch die Himmelsgluth, welche an einem der Pole farbig ausstrahlt, urplötzlich, doch nur vorübergehend, afficirt. Wenn die ruhige stündliche Bewegung der Nadel durch ein magnetisches Ungewitter gestört ist, so offenbart sich die Perturbation oftmals über Meer und Land, auf Hunderte und Tausende von Meilen im strengsten Sinne des Worts gleichzeitig, oder sie pflanzt sich in kurzen Zeiträumen allmälig in jeglicher Richtung über die Oberfläche der Erde fort Es giebt auch Perturbationen, die sich nicht weit fortpflanzen, mehr local sind, vielleicht einen weniger tiefen Sitz haben. Ein seltenes Beispiel solcher außerordentlichen Störung, welche in den Freiberger Gruben und nicht in Berlin gefühlt wurde, habe ich schon vor vielen Jahren bekannt gemacht (Lettre de Mr. de Humboldt à S. A. R. le Duc de Sussex sur les moyens propres à perfectionner la connaissance du Magnétisme terrestre, in Becquerel’s traité expérimental de l’Électricité T. VII. p. 442). Magnetische Ungewitter, die gleichzeitig von Sicilien bis Upsala gefühlt wurden, gelangten nicht von Upsala nach Alten (Gauß und Weber, Resultate des magnet. Vereins 1839 S. 128; Lloyd in den Comptes rendus de l’Académie des Sciences T. XIII. 1843 p. 725 und 827). Unter den vielen in neuerer Zeit aufgefundenen gleichzeitigen und durch große Länderstrecken fortgepflanzten Perturbationen, welche in Sabine’s wichtigem Werke (observ. on days of unusual magnetic disturbance 1843) gesammelt sind, ist eine der denkwürdigsten die vom 25 Sept. 1841: welche zu Toronto in Canada, am Vorgebirge der guten Hoffnung, in Prag und theilweise in Van Diemens Land beobachtet wurde. Die englische Sonntagsfeier, nach der es sündhaft ist nach Sonnabend Mitternacht eine Scale abzulesen und große Naturphänomene der Schöpfung in ihrer ganzen Entwicklung zu verfolgen, hat, da das magnetische Ungewitter wegen des Längen-Unterschieds in Van Diemens Land auf einen Sonntag fiel, die Beobachtung desselben unterbrochen! (observ. p. XIV, 78, 85 und 87.). Im ersteren Falle könnte die Gleichzeitigkeit des Ungewitters, wie Jupiterstrabanten, Feuersignale und wohl beachtete Sternschnuppen, innerhalb gewisser Grenzen zur geographischen Längen-Bestimmung dienen. Man erkennt mit Verwunderung, daß die Zuckungen zweier kleinen Magnetnadeln, und wären sie tief in unterirdischen Räumen aufgehangen, die Entfernung messen, welche sie von einander trennt; daß sie lehren, wie weit Kasan östlich von Göttingen oder von den Ufern der Seine liegt. Es giebt auch Gegenden der Erde, wo der Seefahrer, seit vielen Tagen in Nebel gehüllt, ohne Sonne und Sterne, ohne alle Mittel der Zeitbestimmung, durch die Neigungs-Veränderung der Nadel mit Sicherheit wissen kann, ob er sich nördlich oder südlich von einem Hafen befindet Die im Text geschilderte Anwendung der Magnet-Inclination zu Breiten-Bestimmungen längs einer N–S laufenden Küste, die wie die Küste von Chili und Peru einen Theil des Jahres in Nebel (garua) gehüllt ist, habe ich angegeben in Lamétherie’s Journal de Physique T. LIX. 1804 p. 449. Diese Anwendung ist in der bezeichneten Localität um so wichtiger, als, bei der heftigen Strömung von Süden nach Norden bis Cabo Pariña, es für die Schifffahrt ein großer Zeitverlust ist, wenn man sich der Küste erst nördlich von dem gesuchten Hafen nähert. In der Südsee habe ich vom Hafen Callao de Lima bis Truxillo, bei einem Breiten-Unterschiede von 3° 57’, eine Veränderung an der Magnet-Inclination von 9° Cent.; und von Callao bis Guayaquil, bei einem Breiten-Unterschied von 9° 50’, eine Inclinations-Veränderung von 23°,05 gefunden (s. meine Relation historique T. III. p. 622). Von Guarmey (Br. 10° 4’ Süd), Huaura (Br. 11° 3’) bis Chancay (Br. 11° 32’) sind die Neigungen 6°,80; 9°,00 und 10°,35 centes. Eintheilung. Die Ortsbestimmung mittelst der magnetischen Inclination hat da, wo der Schiffscurs die isoklinischen Linien fast senkrecht schneidet, das Merkwürdige, daß sie die einzige ist, welche jeder Zeitbestimmung, und also des Anblicks der Sonne und der anderen Gestirne entbehren kann. Ich habe vor kurzem erst aufgefunden, daß schon am Ende des 16ten Jahrhunderts, also kaum 20 Jahre nach der Erfindung des Inclinatoriums von Robert Norman, in dem großen Werke de Magnete von William Gilbert, Vorschläge die Breite durch die Neigung der Magnetnadel zu bestimmen gemacht worden sind. Gilbert (Physiologia nova de Magnete lib. V. cap. 8 p. 200) rühmt die Methode als anwendbar »aëre caliginoso«. Edward Wright, in der Vorrede, welche er dem großen Werke seines Lehrers beigefügt hat, nennt einen solchen Vorschlag »vieles Goldes werth«. Da er mit Gilbert irrigerweise annahm, daß die isoklinischen Linien mit den geographischen Parallelkreisen, wie der magnetische Aequator mit dem geographischen, zusammenfielen; so bemerkte er nicht, daß die erwähnte Methode eine locale und viel eingeschränktere Anwendung hat., in den er einlaufen soll.
Wenn die plötzlich in ihrem stündlichen Gange gestörte Nadel das Dasein eines magnetischen Ungewitters verkündigt, so bleibt der Sitz der Perturbations-Ursach: ob sie in der Erdrinde selbst oder im oberen Luftkreise zu suchen sei, leider für uns noch unentschieden. Betrachten wir die Erde als einen wirklichen Magnet, so sind wir genöthigt, nach dem Ausspruch des tiefsinnigen Gründers einer allgemeinen Theorie des Erd-Magnetismus, Friedrich Gauß, durchschnittlich wenigstens jedem Theile der Erde, der ein Achtel Cubikmeter, d. i. 37/10 Cubikfuß, groß ist, eine eben so starke Magnetisirung beizulegen, als ein einpfündiger Magnetstab enthält Gauß und Weber, Resultate des magnetischen Vereins im J. 1838 § 31 S. 46.. Wenn Eisen und Nickel, wahrscheinlich auch Kobalt (nicht Chrom Nach Faraday’s Behauptung (London and Edinburgh Philosophical Magazine Vol. VII. 1836 p. 178) ist dem reinen Kobalt der Magnetismus ganz abzusprechen. Es ist nur nicht unbekannt, daß andre berühmte Chemiker (Heinrich Rose und Wöhler) diese Behauptung für nicht absolut entscheidend halten. Wenn von zwei mit Sorgfalt gereinigten Kobalt-Massen, welche man beide für nickelfrei hält, sich die eine als ganz unmagnetisch (im ruhenden Magnetismus) zeigt; so scheint mir der Verdacht, daß die andere ihre magnetische Eigenschaft einem Mangel von Reinheit verdanke, doch wahrscheinlich und für Faraday’s Ansicht sprechend., wie man lange geglaubt hat), die alleinigen Substanzen sind, welche dauernd magnetisch werden und die Polarität durch eine gewisse Coercitivkraft zurückhalten; so beweisen dagegen die Erscheinungen von Arago’s Rotations-Magnetismus und Faraday’s inducirten Strömen, daß wahrscheinlich alle tellurischen Stoffe vorübergehend sich magnetisch verhalten können. Nach den Versuchen des ersteren der eben genannten großen Physiker wirken auf die Schwingungen einer Nadel Wasser, Eis Arago in den Annales