Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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an und ging hinüber in die kleine Wohnküche. Sie schenkte sich Kaffee ein und trat durch eine Tür hinaus an die frische Luft. Auf dem Balkon neben dem hübsch gedeckten Frühstückstisch standen Töpfe mit üppig blühenden Blumen. Sogar ein kleiner Spalierapfelbaum hatte dort sein Zuhause gefunden und fühlte sich offensichtlich sehr wohl dort im lichten Schatten. Dieser Anblick vertrieb ihre Sorgen, und sie seufzte zufrieden.

      »Ich bin der glücklichste Mensch der Welt!«

      Nebenan rauschte immer noch das Wasser, und es war gut, dass Natascha nichts von den Gedanken ahnte, die Manfred in diesem Augenblick bewegten.

      »Was, wenn ich schon bald ein Pflegefall bin und mich dann nicht mehr selbst duschen kann?«

      Niemals zuvor hatte er sich so elend gefühlt, und er fragte sich, ob das Leben unter solchen Umständen überhaupt noch lebenswert war.

      »So darfst du nicht denken«, schalt er sich selbst und schäumte sein volles Haar mit Shampoo ein. »Vielleicht ist es eine ganz harmlose Sache, die sich mit einem kleinen Eingriff beseitigen lässt.« Doch so sehr er sich auch bemühte, er bekam seine Ängste nicht in den Griff.

      Dabei ging es nicht nur um seine junge Frau sondern um sein gesamtes Leben. Manfred Holler war Lehrer mit Leib und Seele, unterrichtete an der Oberstufe. Was, wenn er im Rollstuhl sitzen musste? Würden seine Schüler ihn dann noch ernst nehmen? Mal abgesehen davon, dass sein geliebter Sportunterricht damit hinfällig war. Wie seine gesamten sportlichen Aktivitäten …

      »Freddy?« Nataschas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. »Willst du unter der Dusche Wurzeln schlagen oder was?« Sie stand in der Tür und musterte wohlwollend seinen durchtrainierten Körper, dessen Umrisse trotz beschlagener Glaswand deutlich sichtbar waren. »Wenn du noch lange da stehst, komme ich möglicherweise auf dumme Gedanken«, warnte sie ihn, und er konnte ihr laszives Lächeln förmlich vor sich sehen.

      »Eine verlockende Vorstellung, mein Schatz«, ging er auf ihren unbeschwerten Tonfall ein, auch wenn es ihm schwerfiel. »Allerdings würden ich dann zu spät in die Kir…« Erschrocken hielt er mitten im Satz inne.

      Natürlich wusste er, dass er Natascha irgendwann einweihen musste. Aber nicht jetzt!, ging es ihm durch den Sinn. Nicht, wenn sie so gut gelaunt und positiv gestimmt war. Zuerst wollte er die Untersuchungsergebnisse abwarten.

      »Was hast du gesagt, mein Schatz?«, rief sie durch die Wohnung. Glücklicherweise schien Natascha ihn nicht verstanden zu haben und hatte das Bad schon wieder verlassen.

      Manfred beeilte sich mit dem Anziehen und trat nur Minuten später zu ihr auf den Balkon. Sein feuchtes Haar glänzte in der Morgensonne.

      »Ich meinte, dass ich sonst zu spät zu meiner Fortbildung komme«, flüchtete er sich rasch in eine Ausrede. »Hmmm, das sieht aber lecker aus«, lobte er ihren hübsch gedeckten Frühstückstisch.

      »Welche Fortbildung eigentlich?«, erkundigte sich Natascha. Sie hatte sich gesetzt und schenkte ihrem Liebsten Kaffee ein.

      »Sport als Abiturfach, die neuen Richtlinien«, schüttelte Manfred schnell ein Thema aus dem Ärmel und starrte konzentriert auf den Korb mit den frischen Brötchen. »Welches nehme ich denn?«, fragte er sich betont leicht und entschied sich für eine knusprige Sesamsemmel.

      Natascha freute sich darüber, mit ihm an einem Tisch zu sitzen. Zeit mit ihrem Verlobten zu verbringen, gehörte für sie zu den allerschönsten Vergnügungen, und schon jetzt konnte sie sich nicht mehr vorstellen, dass es ein Leben ohne ihn gegeben hatte.

      »Was hältst du davon, wenn wir morgen in das Restaurant fahren, in dem wir unsere Hochzeit feiern wollen und das Menü besprechen«, machte sie einen unbekümmerten Vorschlag. Hungrig biss sie in ihre Bretzel, die sie zuvor aufgeschnitten und mit Butter bestrichen hatte. »Davor könnten wir bei deiner Schwester vorbeischauen und mit ihr und ihrem neuen Hund einen Spaziergang machen. Wir müssen diese Gelegenheit nutzen. Der Kleine ist bestimmt nicht mehr so süß und tollpatschig, wenn er erst ausgewachsen ist.«

      Während Manfred Nataschas unbeschwerter Stimme lauschte, wurde sein Herz immer schwerer.

      »Morgen geht es leider auch nicht«, rückte er zögernd mit der schlechten Nachricht heraus. Die Enttäuschung in Nataschas Gesicht schnitt ihm tief in die Seele. Doch er konnte es nicht ändern. Dr. Norden hatte ihn gebeten, sich das ganze Wochenende freizuhalten, falls sich die Diagnosestellung aufwändiger gestalten würde. »Ich hab doch letzte Woche eine Klausur in Deutsch schreiben lassen. Die muss ich unbedingt korrigieren.«

      »Du hast heute und morgen keine Zeit?« Natascha machte gar nicht erst den Versuch, ihre Enttäuschung zu verbergen.

      »Bitte nicht traurig sein«, bat Manfred schuldbewusst. »Dafür gehört das ganze nächste Wochenende uns. Ich schwöre!« Zum Beweis reckte er Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand in die Höhe.

      Natascha hatte den Kopf weggedreht und starrte sekundenlang auf die bunten Blumen in den Kästen und Töpfen um sich herum, und einen Moment fürchtete Manfred, dass sie in Tränen ausbrechen könnte. Das hätte er nicht verkraftet, nicht in seiner derzeitigen Lage. Aber als sie sich ihm wieder zuwandte, wirkte sie glücklicherweise entspannt.

      »Na ja, eigentlich ist es ganz gut so. Ich hab auch noch jede Menge zu korrigieren und muss noch eine Klassenlektüre auswählen. Dazu sollte ich ein paar englische Bücher lesen, die zur Wahl stehen. Ich kenne nur eines davon«, lächelte sie tapfer. »Und dazu komme ich nur, wenn du mich nicht ständig ablenkst.«

      Manfred rang sich ein Lächeln ab.

      »Ich weiß gar nicht, womit ich so eine tolle Frau verdient habe«, murmelte er gerührt und griff nach ihrer Hand, um sie an seine Lippen zu ziehen und zu küssen. Dann sah er auf seine Armbanduhr, ein Geschenk von Natascha. »Oh, schon so spät. Ich muss los. Vielen Dank für das tolle Frühstück.« Schnell leerte er seine Kaffeetasse, küsste Natascha noch einmal und eilte dann hinein. Um sie nicht misstrauisch zu stimmen, hatte er eine Sporttasche gepackt. Sie stand im Flur, und gleich darauf fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

      Natascha saß am Frühstückstisch und sah ihrem Verlobten verwirrt nach. Den Sturz hatte sie längst vergessen, und sie fragte sich, ob es tatsächlich nur die Arbeit war, die Manfred so veränderte? War er gestresst? Eine vage Angst kroch ihr über den Rücken. In ihren Augen war Manfred viel zu lange Single gewesen. War es möglich, dass er Angst vor der eigenen Courage bekam und seinen Heiratsantrag bereute? War er deshalb so still und in sich gekehrt?

      *

      »Ich habe Ihre Telefonnummer im Notizbuch meiner …, meiner … Bekannten gefunden. Sie müssen sofort kommen!« Dieser Notruf ereilte Dr. Norden am Samstagmorgen noch vor dem Frühstück. »Irgendwas stimmt nicht mit Martha.«

      Daniel Norden ließ sich die Symptome schildern und gab dem aufgeregten Mann am anderen Ende der Leitung Anweisungen, wie er seiner Patientin bis zu seiner Ankunft helfen konnte.

      »Wartet nicht auf mich!«, beschied er seiner Familie und drückte seiner Frau einen hastigen Kuss auf die Lippen.

      »Soll ich fahren?«, bot Danny großzügig an.

      Er war gerade dabei, sämtliche Utensilien für ein gemütliches Familienfrühstück zusammenzusuchen.

      Doch Daniel winkte ab.

      »Schon gut. Ich werde die Gelegenheit nutzen und nach dem Krankenbesuch in die Klinik fahren. Einer meiner Patienten leidet unter seltsamen neurologischen Ausfällen, die heute abgeklärt werden sollen«, erwiderte er und schlüpfte rasch in das Polohemd, das er gerade anziehen wollte, als das Telefon geklingelt hatte.

      »Am Samstag?«, fragte Anneka, die zweitälteste Tochter der Familie Norden verwundert.

      Dass ihr Vater am Wochenende Hausbesuche machte und Notfälle betreute, war Alltag für die Arzttochter. Dass aber aufwändige Untersuchungen in der Klinik auf freie Tage gelegt wurden, war ihr neu.

      »Jenny macht eine Ausnahme für Herrn Holler. Er ist Lehrer und will nicht, dass seine Schüler auf Unterricht verzichten müssen.«

      »Sehr


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