Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Platen noch einmal und betrachtete sie forschend. »Bist du wenigstens ein bisschen traurig.«
Obwohl Edgar sie viele Nerven gekostet hatte, konnte Wendy ihm letztlich nicht böse sein.
»Also schön«, ließ sie sich von ihrem weichen Herzen dirigieren. »Ein ganz kleines bisschen.«
Edgar strahlt sie an.
»Komm her!«, sagte er. Er stand auf und zog sie ohne Umschweife in eine freundschaftliche Umarmung. »Lass dich trösten. Nur ein einziges Mal.«
Dagegen hatte Wendy nichts einzuwenden und als sie wenig später ins Bett ging, fielen ihr sofort die Augen zu. Wie ein Stein schlief sie durch bis zum nächsten Morgen und fühlte sich trotzdem frisch und ausgeruht wie lange nicht.
*
Auch für Manfred Holler verlief die Nacht ruhig, und am nächsten Tag konnte er von der Intensivstation in ein schönes ruhiges Einzelzimmer in der Behnisch-Klinik umziehen. Dieser Tag versprach, ein aufregender zu werden.
»Heute testen wir die Reflexe der Beine. Wenn alles gut geht, werden Sie mit Hilfe von Frau Dr. Schreiner zum ersten Mal aufstehen«, erklärte Dr. Norden, der es sich nicht hatte nehmen lassen, dieses Ereignis selbst zu begleiten. Mit keinem Wort verriet er, dass Natascha draußen auf dem Flur nur auf ein Zeichen der Ärzte wartete.
»Zuerst werden wir die Patellarreflexe testen«, erklärte Daniel Norden, doch Manfred Holler hob die Hand und winkte ab.
»Tun Sie, was immer Sie wollen. Aber tun Sie es schnell!«, forderte er den Arzt ungeduldig auf.
»Immer mit der Ruhe«, mahnte Dr. Verena Schreiner lächelnd und schlug die Bettdecke zurück. Sie wollte Manfred helfen, sich aufzusetzen, als er einen triumphierenden, heiseren Schrei ausstieß.
»Da! Haben Sie das gesehen?«
»Was denn?« Irritiert blickte sie hinab auf seine bloßen Füße.
»Meine Zehen! Ich kann die Zehen bewegen!«, rief Manfred Holler aufgeregt. »Und ich spüre sie sogar.« Seit er wieder bei Bewusstsein war, hatte er heimlich im Krankenbett geübt, in sich hineingelauscht, ob er irgendetwas bemerkte. Doch da war nichts gewesen und die Enttäuschung in ihm riesig groß.
Verena schickte Dr. Norden einen erleichterten Blick.
»Gute Arbeit, Frau Kollegin«, lobte er sie und machte keinen Hehl aus seiner Erleichterung. Nicht immer gingen diese Geschichten gut aus. Nicht jeder hatte so ein Glück wie Manfred Holler.
»Der Dank gebührt dem Kollegen Hartmann. Er wäre gerne dabei gewesen. Doch leider war er verhindert. Irgendeine dumme Geschichte mit seiner Frau«, erklärte sie schulterzuckend und wandte sich wieder ihrem Patienten zu. »Wollen wir das Experiment wagen und aufstehen?«
Manfred sah sie erschrocken an.
»Was? Jetzt?«
»Natürlich. Oder wollen Sie erst abwarten, bis Wochenende ist?«, scherzte Verena gut gelaunt und nickte Daniel zu.
Der trat auf die eine Seite, während Verena ihn beherzt an der anderen Schulter packte.
Auf drei stellten sie Manfred auf seine Beine.
»Ich kann stehen!«, rief er begeistert und konnte sein Glück kaum fassen. »Ich kann wirklich stehen! Und gehen!«
Angelockt von den Jubelschreien ihres Mannes stürzte Natascha ins Zimmer. Freudentränen stürzten aus ihren Augen, als Manfred mit langsamen, unbeholfenen Schritten und gestützt von den beiden Ärzten langsam auf sie zukam. »Siehst du das? Ich hab’s geschafft! Du kannst den Rollstuhl-Katalog zurückschicken.« Sogar Witze reißen konnte er schon wieder. Seine Stirn war schweißüberströmt, als er wieder im Bett lag. Dafür hatte Natascha ihn noch nie so glücklich gesehen.
»Das alles hab ich dir zu verdanken«, erklärte er mit rauer Stimme. »Wenn du nicht so vorbehaltlos zu mir gehalten hättest …, dass du mich trotz der düsteren Zukunftsaussichten geheiratet hast …«
»Das werde ich mir nie verzeihen!«, entfuhr es Natascha. Als sie sein erschrockenes Gesicht sah, fügte sie rasch hinzu: »Mit dieser Aktion hätte ich dich um ein Haar umgebracht.«
Manfreds Gesicht entspannte sich wieder und wurde weich und zärtlich. Er streckte die Hand aus und strich zärtlich eine dunkle Strähne aus Nataschas Gesicht.
»Mit dieser ›Aktion‹ – wie du unsere wunderschöne Hochzeit nennst – hast du mir das Leben gerettet, mein Engel«, versicherte er so ernst, dass Nataschas Herz vor Liebe für diesen Mann zerfließen wollte. »Wer weiß, wann ich mich endlich zur Operation entschlossen hätte. Wären die Anstrengungen der Hochzeit nicht gewesen, hätte ich wahrscheinlich noch eine ganze Weile durchgehalten aus Angst vor dem, was mich möglicherweise erwartet.«
»Oh Freddy, dann hat Frau Dr. Schreiner ja doch Recht gehabt«, flüsterte sie unter Tränen und sah sich nach der Ärztin um. Doch die hatte, diskret wie sie war, das Zimmer schon in Begleitung von Dr. Norden verlassen. »Alles hat seinen Sinn im Leben.«
»Besonders, wenn du bei mir bist«, ergänzte Manfred. »Jetzt weiß ich, dass ich ganz schnell wieder auf die Beine kommen muss, denn auf mich wartet die wunderbarste Frau der Welt.«
Natascha lachte unter Tränen und strich ihm durch das verwuschelte Haar, und als sie ihn küsste, schmeckte er das salzige Nass ihres unaussprechlichen Glücks.
»Bitte Wendy, Sie müssen mir diesen Gefallen einfach tun!« Danny Norden stand am Tresen vor der treuen Arzthelferin und schickte ihr den treuherzigsten Blick, den er auf Lager hatte. »Ich lade Sie auch zum Essen ein!«
Wendy lachte amüsiert auf.
»Nein, vielen Dank. Nichts gegen dich, mein Junge. Aber von Essenseinladungen von Männern habe ich erst mal die Nase voll.« Sie dachte an ihre hartnäckigen Verehrer Edgar von Platen und Dr. Alexander Gutbrodt, die ihr nacheinander den Hof gemacht und ihr durch ihre seltsame Art vorerst gründlich die Lust auf weitere Begegnungen mit dem anderen Geschlecht verdorben hatten.
Danny hatte nachgedacht und beugte sich noch weiter über den Tresen.
»Dann bekommen Sie jede Woche einen schönen Blumenstrauß, wenn Sie mir nur diese Victoria Bernhardt vom Hals halten«, versuchte er leise, Wendys Herz mit einem weiteren Bestechungsversuch zu erweichen.
Doch diesmal war sie unerbittlich.
»So verlockend dein Angebot auch ist: Es geht nicht. Frau Bernhardt besteht ausdrücklich auf einer Behandlung bei dir. Mal abgesehen davon, dass sich dein Vater gerade um einen Notfall kümmert«, erwiderte sie leise und schob ihm die Patientenkarte zu.
Seit Dannys Eltern Daniel und Felicitas Norden einige Monate im Orient verbracht hatten, um dem schwer kranken Sohn eines Sultans zu helfen, hatte sich Danny durch die würdige Vertretung seines Vaters unentbehrlich in der Praxis gemacht. Nach Dr. Nordens Rückkehr war vom Familienrat beschlossen worden, dass Danny auch in Zukunft und diesmal Seite an Seite mit seinem Vater praktizieren sollte, um weitere Erfahrungen zu sammeln. Rasch erwies sich diese Entscheidung als sehr weise. Die Praxis konnte einen deutlichen Anstieg an Patientenzahlen verbuchen, darunter viele Frauen, die sich bevorzugt von dem jungen, gut aussehenden und charmanten Danny Norden behandeln lassen wollten.
»Vielleicht solltest du ihr unmissverständlich klarmachen, dass du vergeben bist und deine Bemühungen um sie nur rein beruflicher Natur sind«, machte Wendy einen Vorschlag.
Danny verdrehte die Augen und stöhnte leise auf. Auf keinen Fall wollte er, dass die schöne und wesentlich ältere Unternehmerin, die hinter geschlossener Tür im Wartezimmer auf ihren Termin wartete, auf dieses Gespräch aufmerksam wurde.
»Das habe ich ja schon getan. Aber aus irgendeinem Grund will sie die Tatsachen nicht anerkennen.« Er dachte an Victorias letzten Besuch in der Praxis. Mit Schrecken erinnerte