Dr. Norden Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Teint und ohne Krähenfüße in den Augenwinkeln verlieben. In eine Frau wie Tatjana zum Beispiel«, bemerkte sie beiläufig und senkte die lang bewimperten Augen.
Danny erschrak.
»Lassen Sie Tatjana aus dem Spiel«, erwiderte er unwirsch. Seine Miene wurde abweisend. »Sie ist fast blind und hat wahrlich andere Sorgen als faltenfreie Haut.«
Victorias Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
»Mit Ihrer Liebe würden meine Probleme auch verblassen.«
Innerlich bebend vor Erregung atmete Danny tief ein und aus und lehnte sich zurück. Er gemahnte sich zur Ruhe und dachte darüber nach, wie er das Gespräch in andere Bahnen lenken konnte, ohne unhöflich zu sein.
»Frau Bernhardt, bitte nehmen Sie Vernunft an. Sie kennen mich doch gar nicht. Mit ziemlicher Sicherheit bin ich nicht der, für den Sie mich halten.«
»Sie erlauben mir ja nicht, Sie näher kennenzulernen.« Victoria schürzte die vollen Lippen. Sie wirkte wie ein trotziges kleines Mädchen.
Doch Danny ahnte, dass der harmlose Eindruck täuschte. Gleichzeitig beschloss er, ihre Bemerkung zu ignorieren.
»Und Sie sind wirklich wunderschön.«
»Ich bin nicht perfekt.«
»Auf Perfektion getrimmte Gesichter sind doch nichts weiter als ausdruckslose Masken. Dafür gibt es in der Welt der Stars und Sternchen inzwischen zigfache Beweise. Sagen Sie bloß, das ist Ihnen noch nicht aufgefallen.«
»Das liegt an den Operationsmethoden«, behauptete Victoria mit dem ihr eigenen Starrsinn. Gewohnt zu siegen, dachte sie gar nicht daran, von dem einmal gefassten Plan abzulassen.
Dabei ging es ihr bei der Operation zwar durchaus um ihre Schönheit. Aber erst in zweiter Linie. Viel wichtiger war die Tatsache, dass sich Danny Norden wie sein Vater höchstpersönlich um die Operationsnachsorge bei seinen Patienten kümmerte. Wenn sie den jungen Mediziner erst einmal Tag für Tag in ihrer Nähe hätte, würde es ihr mit Sicherheit gelingen, seine Liebe zu entfachen. Das war der Gedanke, der die Jungunternehmerin antrieb. »Ich habe gehört, dass seit Kurzem eine hervorragende Schönheitschirurgin an der Behnisch-Klinik tätig ist«, sagte sie nachdenklich. »Und Sie arbeiten doch eng mit dieser renommierten Privatklinik zusammen.«
»Sie sind wirklich gut informiert«, musste Danny zähneknirschend zugeben. Nichtahnend, welches Vorhaben wirklich hinter Victorias Plan steckte, suchte er händeringend nach Gegenargumenten. »Allerdings bleibt auch beim besten Arzt ein Restrisiko bestehen.«
»Ich werde den Eingriff gut überstehen«, gab Victoria Bernhardt zuversichtlich zurück.
Danny musterte sie unverhohlen.
»Woher nehmen Sie diese Gewissheit?«, fragte er provozierend. Er war gegen sinnlose Operationen und wollte sich auf keinen Fall mitschuldig machen, wenn tatsächlich etwas schiefgehen sollte. »Ein solcher Eingriff hat schon gesunde Menschen zu Pflegefällen gemacht. Warum wollen Sie dieses Risiko auf sich nehmen? Mir können Sie diese Verantwortung nicht zuschieben. Ich bin gegen diesen Eingriff.«
Victorias Katzenaugen wurden schmal. Sie hatte nicht mit so viel Widerstand seitens des jungen Arztes gerechnet.
»Ich bin nicht gekommen, um mir die Operation ausreden zu lassen sondern weil Sie mit einer der besten Kliniken des Landes zusammenarbeiten.« Sie erhob sich. »Aber gut, wenn Sie mir nicht helfen wollen, dann muss ich eben andere Wege gehen und mich mit weniger guten Ärzten zufriedengeben. Falls mir dann doch etwas passiert, müssen Sie das eben mit Ihrem Gewissen vereinbaren.« Dieser Satz schwebte in der Luft wie eine düstere Drohung.
Als Danny nicht antwortete, drehte sich Victoria um und stolzierte auf ihren bleistiftdünnen Absätzen zur Tür.
Er sah ihr nach und seufzte tief.
»Also schön, ich spreche mit Frau Dr. Behnisch«, gab sich der junge Mediziner schließlich geschlagen.
Die sorgfältig manikürte Hand auf der Klinke, verharrte Victoria kurz an der Tür. Dann drehte sie sich um und lächelte Danny mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Triumph an.
»Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann«, erklärte sie und zwinkerte ihm verschworen zu, ehe sie das Sprechzimmer verließ und Danny mit einem schlechten Gefühl zurückließ.
*
»Heute war dein Mitschüler Theo Miller bei mir in der Praxis«, erzählte Daniel Norden, als er am Abend am Esstisch saß und sich Lennis kalten Braten schmecken ließ.
Der vielbeschäftigte Arzt liebte es, seine Familie um sich zu haben. Als Junggeselle hätte er das Abendbrot wahrscheinlich alleine vor dem Fernseher eingenommen. Familienväter leben ausgeglichener und gesünder, dachte er zufrieden, während er seine Lieben musterte. Er war glücklich und dem Schicksal unendlich dankbar dafür, dass es seine Frau und seine Kinder gab. Daniel Norden genoss die gemeinsamen Mahlzeiten umso mehr, als die Gelegenheiten, zu denen sich sämtliche Familienmitglieder um den Tisch versammelten, immer seltener wurden. Auch an diesem Abend waren sie nicht vollzählig. Gleich nach Ende der Sprechstunde war Danny zu seiner Freundin Tatjana gefahren. Dési war bei einer Freundin, um für eine Schulaufgabe zu lernen, sodass neben seiner Frau Fee nur noch Janni, Anneka und Felix mit am Tisch saßen.
»Wie geht’s Theos Nase?«, erkundigte sich Felix und angelte sich noch eine Scheibe Braten. »Ich dachte, ich schick ihn vorsichtshalber mal zu dir ..., so wie das geblutet hat.«
»Das war eine weise Entscheidung. Sie ist gebrochen.«
»Habt ihr in der Schule Fußball gespielt?«, fragte Janni, der jüngste Sohn der Familie, ein wenig neidisch.
»Wie kommst du denn darauf?« Felix sah seinen jüngsten Bruder verwundert an.
»Wie bricht man sich sonst die Nase in der Schule, wenn man nicht einen Ball draufkriegt?«, ließ die plausible Gegenfrage nicht auf sich warten.
»Theo hat erzählt, dass er gegen eine Tür gelaufen ist«, klärte Felix seinen Bruder erstaunlich gutmütig auf und verzichtete ausnahmsweise auf die sonst üblichen Neckereien.
»Und das glaubst du ihm?«, hakte Daniel Norden nach und sah Felix dabei zu, wie er herzhaft in sein Brot biss.
Während er kaute, zuckte er mit den Schultern.
»Weiß nicht so genau«, gab er offen zu. »Könnte schon sein, dass das gelogen ist. Andererseits …«
»Wie meinst du das?« Augenblicklich war Annekas Interesse geweckt. Sie kannte Theo aus der Schule und ihre mitfühlende Seele meldete sich wie immer, wenn sie ein Unrecht witterte. »Glaubst du, es hat ihm jemand was angetan?«
»Zumindest ist es langsam ein bisschen seltsam, was ihm so alles passiert. Mal abgesehen davon, dass es ein paar Mitschüler gibt, die ihn pausenlos provozieren.« Nachdenklich berichtete Felix von Theos Missgeschicken. Ständig passierte ihm etwas, verlor er sein Handy oder seinen Geldbeutel, waren seine Bücher kaputt oder sein Rucksack durchnässt von der Flasche Wasser, die er von zu Hause mitgebracht hatte. »So ungeschickt kann eigentlich kein Mensch sein.«
Felicitas hatte aufmerksam zugehört.
»Du meinst also, dass eure Mitschüler nicht ganz unschuldig an all diesen Unfällen ist?«, fragte sie misstrauisch.
»Schon möglich.«
»Aber warum lässt Theo sich das gefallen?«, erkundigte sich Fee sichtlich verwundert. Seit sie ihre Ausbildung zur Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychologie begonnen hatte, interessierte sie sich noch viel mehr für Hintergründe und Zusammenhänge, war sie noch hellhöriger für Missstände geworden.
»Ich glaub, es hat ihm sehr zu schaffen gemacht, dass sich seine Eltern vor ein paar Jahren getrennt haben. Dabei ist wohl ein großer Teil seines Selbstbewusstseins auf der Strecke geblieben. Das hat er zumindest mal angedeutet.«
»Vielleicht sucht er wie viele andere Kinder auch die Schuld für die Trennung bei sich«, mutmaßte