Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

Die wichtigsten Werke von Richard Voß - Richard Voß


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trat von Fernow hinweg und starrte in die Weite, öde Dämmerung hinein. – – Auf der obersten Galerie, dort, wo gerade ein matter Lichtschein sein Spiel auf der Brüstung trieb, hatte ich bei jener Maria Stuart-Vorstellung an der Seite der Mutter gesessen. Sollte es wirklich kein Traum sein, so würden an manchem Abend zwei dankbare Augen dort hinaufschauen und – wie es auch komme und geschehe; kein Beifall, kein Ruhm sollten dämonisch genug sein, mich jemals vergessen zu machen, wie ich einst von dort oben als das Kind einer armen Witwe niederstaunte auf das erhabene Schauspiel.

      Nie vergesse ich das Herzklopfen, nie den Schauer, der mich überrieselte, als ich darauf über die dunkle Bühne schritt. Wäre ich allein gewesen – ich wäre niedergekniet, die Bretter zu küssen, die mir fortan die Welt bedeuten sollten und das: welch eine Welt!

      Und in dieser wunderbaren Welt ich als das Weib, das liebte und litt, das verzweifelte und starb. Was sollte ich tun, mich dessen würdig zu machen?! Ich konnte es allein durch ein Martyrium.

      In solcher Stimmung hatte ich für die Blicke, mit denen man mich teils neugierig, teils wenig freundlich fixierte, nicht die geringste Empfindung. Da der Intendant, der Regisseur und die ersten Künstler noch nicht erschienen waren, so führte mich Fernow hinter eine Kulisse, wo schon der Thron des Königs von Frankreich für den Abend bereit stand. Ich setzte mich, er blieb neben mir stehen und wir übersahen von da aus das ganze in mystisches Helldunkel gehüllte Bild.

      Wieder blickte ich in den öden Raum hinab, darin die Pracht der Samtpolster und der Vergoldungen mit grauen Decken überzogen war. Im Parterre hüstelte ein altes Weib umher und fegte den Boden. In einer Proszeniumsloge saßen einige Herren, die sich wohl die Novize in der Probe ansehen wollten. Auf der Bühne selbst war alles in Bewegung. Die Hinterwand war zurückgeschoben; ich erblickte einen Wirrwarr grauer Gerüste. Die Arbeiter setzten für den Abend die Dekorationen auf; es war das wüsteste Durcheinander von Menschen und Dingen in trübster Beleuchtung, ein Bild Grau in Grau. Hinter den Kulissen stand die edle Schar der Statisten: es wurde geschwatzt und gelacht.

      Um mich möglichst ruhig zu machen, plauderte Fernow.

      »Unsere heilige Halle hat eine erschreckende Ähnlichkeit mit einer italienischen Dame vor der Fahrt: bis zum späten Nachmittag schauderhaft; dann aufstrahlend, daß man Madame nicht wieder erkennt. Signoras Anbeter sind entzückt! ... Am Tage Auerbachs Keller, ist diese Welt abends das Feenreich schöner Illusionen. Nehmen Sie zum Beispiel dieses Ding. Es soll einen Rosenstrauch vorstellen und er mag derselbe sein, unter dessen Zweigen Gretchen stets ihre Blume pflückt. Es ist ein Bild des Ganzen. Jetzt so grau und so bestaubt, wird es am Abend denen in Parkett und auf den Galerien wundervoll rosenrot entgegenleuchten: ganz wie natürliche Rosen, wie die Näherin im vierten Rang bewundert. Von diesem liebenswürdigen Völklein da – er meinte die Statisten – kann man leider nicht das gleiche behaupten. Aha, da versammeln sich bereits Ihre Kollegen in spe. Die Dame dort drüben mit dem schauerlichen Federhut und dem riesengroßen Ridiküle ist unsere komische Alte, heute Ihre Frau Marthe. Ich habe nicht die Ehre, Madame zu kennen, fürchte jedoch, mehr Wahrheiten über sie aussagen zu können, als diese gute Seele ihr ganzes Theaterleben lang über eine ihrer Koleginnen zum besten gegeben. Leider wird es sich nicht verhüten lassen, daß Gretchen und Frau Marthe sich sehr genau kennen lernen. Da sie natürlichen Humor hat, gehört sie indessen keineswegs zu den Schlimmsten. – – Der junge Stutzer, der sich dort so geistvoll auf der Väter Thron, der in Gretchens Stübchen zu stehen kommt, umherrekelt, wird wohl unser Valentin sein. Eine Kritik über diesen Burschen steht im Faust selbst geschrieben: ›Du gleichst dem Geist, den du begreifst.‹ – – Dort kommt unser Intrigant! Er soll seine Charge nicht nur auf der Bühne meisterhaft spielen. Gegen Sie wird sich Mephisto vermutlich als berühmter Mann menschlich erweisen, was von einem so großen Herrn gar hübsch ist. – – Und dort ist auch schon unser Faust. Sie schwärmen ja wohl für ihn? Erschrecken Sie daher nicht, wenn er nur des Abends jugendlich aussieht, und was seine Statur anbelangt, etwas gar zu sehr dem Hamlet gleicht. Er ist übrigens einer der besten deutschen Schauspieler. Was er Ihnen für ein Kollege sein wird, müssen wir abwarten. Kommen Sie; wir kuppeln Gretchen und Faust zusammen, ohne einer Frau Marthe und eines Mephisto zu bedürfen.«

      Er führte mich zu dem großen Künstler und sagte ihm, wer ich sei. Ich wurde höflich begrüßt, und weiter nicht beachtet.

      Bereits nach der ersten Szene wird man liebenswürdiger gegen uns sein, ward ich getröstet.«

      Ich lächelte meinem Getreuen zu und sagte ihm, daß ich ganz tapfer sei.

      Jetzt war der Intendant gekommen, mit ihm der Schauspieler, der gerade die Regie hatte. Die Arbeiter waren fertig, der Bühnenraum leerte sich, der Intendant lief mit seinem Buch umher, der Souffleur stieg in seinen Kasten, Regisseur und Intendant nahmen seitwärts im Vordergrund Platz, der Inspizient klingelte, die Choristen traten weiter zurück, alles wurde still.

      »Nun behüte Sie unsere Muse! Von ganzem Herzen Glückauf!«

      Er ging hinter die erste Kulisse. Plötzlich kam ich mir ganz verlassen vor.

      »Ist das Fräulein da?« fragte der Intendant.

      Ich trat aus dem Hintergrund vor, jetzt eine Zielscheibe aller Blicke.

      »Dann kann also angefangen werden,« fuhr der vornehme Mann fort, ohne es der Mühe wert zu halten, mich zu grüßen.

      »Mit dem ersten Akt, Exzellenz?« fragte der Inspizient devot.

      »Was erster Akt!« herrschte der vornehme Mann ihn an. »Diese Probe findet, wie Sie sehr wohl wissen, nur des Fräuleins wegen statt. Das Personal soll sich ruhig verhalten!«

      »Dann also gleich den Kirchgang,« sagte der Inspizient und wandte sich mit einer Art Verbeugung zu mir. »Gretchen tritt aus der letzten Kulisse rechts auf und geht hinter die zweite Kulisse links ab.«

      Der schwere Auftritt mußte mehreremal probiert werden, bis er dem Regisseur zu Gefallen ging. Obgleich wir gerade dieser Szene ganz besondere Aufmerksamkeit geschenkt, war der Intendant unzufrieden.

      »Noch kein Gretchen gesehen, welches das gut gemacht hatte. Weiter!«

      Ich wagte nicht, zu Fernow einen Blick hinüberzuwerfen: hatte er doch mein erstes Auftreten stets als überaus gelungen bezeichnet. Wie würde es mit der Szene: zu Haus nach dem Kirchengang werden, die ich ihm nie rechtmachen konnte! Ich gebot meinem klopfenden Herzen ruhig zu sein und spielte.

      Fernow nickte mir heftig zu: er war also zufrieden.

      Ich atmete tief auf und glaubte nun, ohne Bangen die Kritik Seiner Exzellenz und des Regisseurs abwarten zu können; eine solche blieb indessen aus. Ein trockenes »Fortfahren« machte meinen Erfolg bei den beiden Herren sehr zweifelhaft. Ich glaubte zu bemerken, daß sie sich bedeutungsvoll ansahen und mein Faust mich mit einem ganz seltsamen Blick fixierte.

      Die Szene bei Frau Marthe mußte meinetwegen zweimal gespielt werden. Noch immer vermochte ich nicht zu erkennen, wie man über mich und mein Gretchen dachte.

      Nun kam die Gartenszene, nun kam die Entscheidung.

      Ich spielte und wußte kaum, daß ich in die Luft griff, als ich meine Blume pflückte. Der Geist des holden Mädchens beseelte mich und ließ mich die Schauspielerin völlig vergessen, die auf der staubigen Bühne, bei trübem Dämmerlicht, vor einem verödeten Hause, vor Herren mit zugeknöpften Oberröcken eine Probe ihres Talentes ablegen sollte, die über ihr Schicksal entschied.

      Als es vorüber, stand ich tiefatmend da, kaum bemerkend, daß auch jetzt alles stumm blieb. Da fühlte ich mich bei der Hand gefaßt. Ich blickte auf und sah in das erregte Gesicht meines Faustes.

      »Das nenne ich gespielt! – – Liebe, liebe Kollegin!«

      Jetzt kam auch der Regisseur auf mich zu: »Ich wünsche Ihnen Glück, vielmehr: ich wünsche uns Glück!«

      Darauf begab er sich wieder zum Intendanten zurück.

      »Sehr ungewöhnlich!« hörte ich diese hohe Persönlichkeit sich äußern.

      Fernow hielt sich fern.

      Nun


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