Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß
genug, um ihn zu schätzen und seine Freundschaft zu suchen. Da ich sehr oft mit ihm zu tun hatte, kamen wir ziemlich viel zusammen. Manche unserer Szenen gelangten direkt aus meinem Zimmer auf die Bühne. Auch Fernow war er sympathisch, so daß wir drei viele gute Stunden miteinander verlebten. Welche unschätzbaren Belehrungen empfing ich durch diesen Verkehr:
»Ich freue mich, wenn edle Männer sprechen,
Daß ich verstehen kann, wie sie es meinen.«
Was meine übrigen Kollegen anbetraf, so ward ich ihnen kollegialisch befreundet, menschlich jedoch blieb ich ihnen völlig fremd. Es befanden sich wahre Künstler darunter, aber leider wenig wahre Menschen, und nur solche konnte ich zu Freunden gebrauchen. Sie zogen mich nicht zu sich heran; ich drängte mich ihnen nicht auf. Aber entschieden wies ich zurück, was aus der »Gesellschaft« mich aus meiner Einsamkeit in das Gewühl und Getümmel reißen wollte.
Das sollte anders werden.
Ich hatte zum erstenmal Hero gespielt und zwar mit einem Erfolg, der den meines Gretchens beinah übertraf. Noch völlig berauscht von der herrlichen Dichtung, befand ich mich nach der Vorstellung mit der Mutter und Fernow in meinem Zimmer. Ich hatte mein liebes weißes Gewand angelegt, ein Schleiertuch um den Kopf geworfen, eine Blüte in das Haar gesteckt. Vor Türen und Fenstern waren die Vorhänge zugezogen, im Kamin brannte das Feuer. Das warf glühenden Schein auf die Blattgewächse und auf den Kopf der Niobe, der hinter meinem Schreibtisch auf einer Marmorsäule stand. Wie der Glanz der Flammen über das blasse Antlitz zuckte! Ich sah es an und dachte: du bist Griechenlands Mater Dolorosa! Wie glücklich war doch Hero! Unterzugehen in der Liebe Wellen, in des Schmerzes Wellen – es ist gewiß nicht das Traurigste.
Wir hatten über die Dichtung und mein Spiel hin und her geredet und schwiegen jetzt. Die Mutter war in ihrem Lehnstuhl eingeschlummert, Fernow beschäftigte sich mit der Glut. Er häufte mit der Zange die Kohlen, legte neue Holzscheite auf – prasselnd flammte es empor. Wir sahen beide hinein. Dann wandte sich Fernow meinem Ruhebette zu und sagte, um die Mutter nicht zu stören, mit unterdrückter Stimme: »Erinnern Sie sich noch, was ich Ihnen an jenem trüben Herbsttage am Grabe unserer Freundin sagte?«
»Dergleichen vergißt man nicht. Sie nannten die Tote eine Künstlerin, die, weil sie deshalb Priesterin war, Vestalin sein wollte und zugrunde ging. Wenn ich Sie recht verstanden habe: an ihrer Tugend.«
»Sie haben mich recht verstanden. – – Und wie wandte ich der Toten Leben und Sterben auf Sie an?«
Ich erbebte innerlich.
»Ich sollte sein wie sie und doch nicht sein wie sie. Ich glaube, es war das.«
»Das war es. Es klang Ihnen damals mystisch. Heute möchte ich mich darüber verständlicher auslassen.«
Ich schloß meine Augen. Es dauerte eine Weile, bis Fernow fortfuhr: »Sie haben heute Hero gespielt und werden in einigen Jahren Sappho spielen: zwei Frauen, die unsere Freundin nicht hätte darstellen können. Als wir von ihrem Sterbebett kamen, sagte ich Ihnen, daß ich Ihnen einmal ihre Geschichte erzählen würde. Sie ist sehr kurz und sie ist diese:
Sie liebte einen Mann, der sie aus irgendeinem, aber gewiß triftigen Grund – denn er war ein Ehrenmann – nicht heiraten konnte. Ich weiß nicht, wie viele Jahre er ihr treu blieb, wie viele Jahre er, sich in dieser Leidenschaft verzehrend, tief unglücklich war. Sie war es nicht minder, denn er war das einzige, was sie jemals geliebt. Da jedoch die kirchliche Zeremonie nicht stattfinden konnte, ward sie niemals die Seine. Der Geliebte mußte sie schließlich verlassen – verfiel in Ausschweifung, nahm ein tragisches Ende.«
Er schwieg.
Nach einer Pause sagte ich, noch immer mit geschlossenen Augen, mit stockender Stimme: »Sie machen ihr also ihre Tugend zum Vorwurf?«
»Mehr als das: ich nenne sie ein Verbrechen!« erwiderte Fernow stark.
Nach einer Weile vermochte ich möglichst ruhig zu fragen: »So hatte sie, da sie nicht seine Gattin werden konnte, seine – Geliebte werden sollen.«
Mit angehaltenem Atem wartete ich auf die Antwort.
»Allerdings hätte sie werden sollen, was Sie kaum den Mut haben, zu nennen. Ich versichre Ihnen, daß sie mir in diesem Fall bewunderungswürdiger erschienen wäre, als in dem andern.«
Ich lag regungslos und wagte nicht zu denken, was er mit seinem Gespräch bezweckte. Da kam er zu mir. Ich fühlte, wie er sich zu mir herabneigte. Jetzt öffnete ich meine Augen.
»Sie haben mir noch mehr zu sagen.«
»Ja, es liegt mir schon längst auf dem Herzen. – – Bleiben Sie ruhig! Schließen Sie auch Ihre Augen wieder.«
Ich tat es nicht gleich. Ich mußte ihn fest und vertrauungsvoll ansehen.
»Sie haben bisher an mich geglaubt und mir damit ein Geschenk gemacht, das ich hüte wie mein Glück. Sie sind mir sehr teuer geworden: eine Schwester, die ihrem Bruder Freundin und Kameradin zugleich ist.«
Er verstummte. Dann hörte ich ihn schwer Atem holen. Ich wußte nicht, wie mir geschah; aber plötzlich dauerte er mich so, daß ich mich zusammennehmen mußte, nicht laut aufzuschluchzen. Endlich sprach er weiter: »Sie haben heute Hero gespielt. Priesterin der Liebe, zerreißt sie das heilige Gewebe, das ihre geweihte Seele verhüllt. Anakreon hat nicht griechischer empfunden, als in diesem Gedicht Grillparzer: Hero ist der süßeste Ausdruck jener antiken, unbewußten Sinnlichkeit, die für uns das Griechentum in so idealer Weise zu dem glückseligen Zeitalter schöner Natur macht. Wie eine griechische Statue nichts davon weiß, daß sie nackt ist, so wenig würde diese Hero von ihrem holden Leibe wissen, wenn sie vor Leander ihr heiliges Gewand fallen ließe. Beim Fest sieht sie ihn und da er kommt, gibt sie sich ihm, so unbewußt mit solcher Naturnotwendigkeit, wie eine Knospe sich dem Sonnenstrahl öffnet.
Sie haben heut jene köstliche Szene gespielt, wie sie vor Ihnen wahrscheinlich noch niemals gespielt worden ist. Ihnen über Grillparzers Hero dozieren zu wollen, hieße demnach Eulen nach Athen tragen. Ich sage Ihnen also nur das: Ihr Spiel hat mir den Eindruck gemacht, als gäbe es auch für Sie keine priesterliche Bande, von denen Sie Ihre Seele, Ihre Frauennatur fesseln ließen.«
Da brach es aus mir hervor.
»Nur Ihrer Theorie zuliebe soll ich, um eine gute Künstlerin zu sein, wohl gar – – «
»Ein schlechtes Weib werden? Ich glaube nicht, daß dies gerade notwendig ist. Kein besonders glückliches Weib, das wäre leicht möglich, das möchte ich, wie Sie wissen, als Ihr aufrichtiger Freund Ihnen sogar nicht anders wünschen. Also hinaus in die Welt, erlebt und gelitten! Betrachten wir einmal Ihren Zustand, wie Sie sich zu dieser Welt, die Sie so scheuen, verhalten – als Künstlerin selbstverständlich.
Da ist vor allem die bürgerliche Gesellschaft. Diese ist die natürliche Gegnerin jeder künstlerischen Extravaganz. Hier ist eine Verständigung, ein Verständnis unmöglich. Hier soll jeder Teil für sich bleiben, seine eigene Sittlichkeit haben, seinen eigenen Prinzipien folgen und in starrer Abgeschlossenheit eine chinesische Mauer um sich her aufführen. Die beiden sind in den gesellschaftlichen Elementen das Wasser und das Feuer: hie Bürgertum, hie Kunst! Was die Gesellschaft an Sittlichkeit und Schicklichkeit fordert, wird in den meisten Fällen der Künstler nicht zugestehen, kann es und soll es auch nicht. Niemals wird das Bürgertum die freie Individualität des Künstlers gelten lassen; immer wird der Künstler sich berechtigt fühlen, diese zu behaupten. Ein kühles Urteil muß seine Meinung dahin abgeben, daß jede der beiden Parteien zu ihren Anforderungen und Anschauungen berechtigt ist, daß jede guttut ihrer eigenen Natur zu folgen und am besten täte, auch die andere ruhig nach ihrer Fasson selig werden zu lassen. Der Künstler wird das immer, sich mit einem Achselzucken über den ›Philister‹ begnügend; das Bürgertum, stets mit einem Anathema bereit, wohl niemals.
Ganz anders verhält es sich mit jener Gesellschaft in der Gesellschaft.
Hier, wo keine Beschränkung und Enge ist, sind auch, in gewissem Sinn, weniger Vorurteile. Da diese Gesellschaft die Kunst protegiert, wird sie sich stets herablassend zu derselben verhalten. Sich als Mäzen fühlend, betrachtet