Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

Die wichtigsten Werke von Richard Voß - Richard Voß


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vor aller Ohren eine förmliche Liebeserklärung:

      Arm in Arm mit Dir,

       So fordr' ich mein Jahrhundert in die Schranken!

      Der Intendant blieb der Kühlste.

      »Kinder! Eure Begeisterung ist recht schön und gut und ich mache dem Fräulein mein Kompliment (ich erhielt in der Tat ein steifes Kopfnicken); aber es ist das, wie ich wiederholt versichern muß, ein so ungewöhnliches Gretchen, daß ich durchaus nicht sicher bin, ob das Publikum in eure Extase mit einstimmen wird und ihr wißt: auf das Publikum kommt es an – selbst bei einer Hofbühne, mein Fräulein.«

      »Jedenfalls,« meinte der Regisseur, »ist das Gretchen des Fräuleins eine so bedeutende künstlerische Leistung, daß wir das Urteil des Publikums gelassen abwarten können.«

      Mein liebenswürdiger Faust äußerte sich fast leidenschaftlich über Publikum, Hofbühnen, und mein Spiel.

      Gleich nach bei Mutter hatte ich an Fernow gedacht. Jetzt kam er. Ich merkte aber in seinem Gesicht eine so heftige Bewegung, daß ich, um ihm zu ersparen, sich mir weich zu zeigen, ihm nur freundlich zunickte, dann gleich fortging, um mir Hut und Mantel zu holen.

      Wir verabschiedeten uns und gingen. Vor der Tür stand ein Wagen, Fernow hob mich hinein. Jedes drückte sich schweigend in eine Ecke.

      Zu Hause angekommen, führte ich ihn zur Mutter und sagte: »Mutter, deine Tochter ist eine Künstlerin und das hast du diesem zu danken!«

      Dann kam die Vorstellung. Ich hielt mich den ganzen Tag über in meinem Zimmer und ließ selbst mein Mütterchen nicht zu mir. Fernow kam nicht; aber er schrieb mir: gute, treue, starke Worte, wie sie nur von ihm kommen konnten. Er fragte an, ob ich seine Gegenwart hinter den Kulissen wünsche, was ich jedoch dankend ablehnte; ja, ich bat ihn sogar, einen möglichst verborgenen Platz zu nehmen. Auch mußte mir meine Mutter versprechen, der Vorstellung nicht beizuwohnen. Fernow übernahm es, sie nach jedem Akte benachrichtigen zu lassen.

      Als ich am Theater vorfuhr, strömten die Menschen hinein. Welch eine Empfindung!

      Das respektvolle Grüßen des Personals war mir seit jener ersten Probe nichts Neues mehr; aber sehr froh war ich, als ich vernahm, daß ich eine Garderobe für mich allein habe. Als ich in den kleinen, hellerleuchteten Raum trat, wußte ich, wem ich das zu danken hatte: alles war geschmückt und bekränzt; sogar von meinem Spiegel dufteten mir Veilchen entgegen.

      Du sollst mir noch einmal über einen harmlosen Lorbeerkranz Moral lesen, dachte ich lächelnd mit Tränen im Auge.

      Ich schickte die Ankleiderin und den Friseur fort: was braucht es für Gretchen des Kammerdieners und der Zofe?! Als ich mich anzukleiden begann, begann gerade die Ouvertüre. Ich unterbrach das Flechten meiner Zöpfe, kniete hin. Beide Hände vor das Gesicht gedrückt, hörte ich zu.

      Als der erste Akt zu Ende, kam der Inspizient an meine Tür, um zu fragen, ob ich fertig sei. Er teilte mir mit, daß das Haus ausverkauft wäre.

      Ich stand hinter den Kulissen, als mein Faust zu mir geeilt kam, um sich zu erkundigen, wie er sagte, ob seinem Gretchen auch wohl sei.

      Wieder Musik, der ich lauschte, wie es Gretchen im Dom getan haben mochte, als ihr das Orgelspiel den Atem versetzte. – – Dann tönte die Glocke, der Vorhang rauschte auf – ich trat aus meiner Dämmerung in die Lichtfluten hinein.

      Um es gleich zu sagen: ich gefiel nicht. Das Publikum blieb kühl bis ans Herz hinan.

      Ich kam und ging, der Vorhang wurde aufgezogen und unter totenhaftem Schweigen wieder herabgelassen. Mein guter Faust war ganz verstört, Frau Marthe machte ein hämisches Gesicht, Valentin ein freches, Mephisto war dem armen Gretchen ein fast mitleidiger Teufel. Gartenszene, Gretchen am Spinnrad, im Zwinger, im Dom – – Im Hause blieb's lautlos.

      »Ich begreife heute das Publikum nicht. Sie sehen so liebenswürdig aus, Sie spielen so merkwürdig vortrefflich; aber Ihr Gretchen ist, um mit dem Intendanten zu sprechen, in der Tat so ungewöhnlich, daß die im Parkett und im Olymp völlig verblüfft sind. (Die anderen verstehen nichts davon.) Mein Gott, wie mir das leid tut!«

      Es war mein freundlicher Faust, der mir das sagte. Auch der Regisseur trat zu mir.

      »Ich bin von dieser Aufnahme Ihrer Leistung auf das äußerste betroffen. Sie müßten doch Zoll für Zoll Goethes Gretchen in Ihnen erkennen. Allerdings, eine Leidenschaftlichkeit, wie Sie sie in Ihr:

      »Meine Ruh' ist hin«

      hineinlegten, muß wohl selbst diesem Publikum bedenklich erscheinen.

      Ich erwiderte nichts. In mir war ein ungeheures Gefühl des Schmerzes. Trotz alledem dachte ich in diesem Augenblick mehr an Fernow als an die Mutter – als an mich selbst.

      Die Kerkerszene!

      Ich wußte nichts von meinem Spiel. Im Hause war es totenstill und totenstill war es in meiner Brust. Als ich einmal Faust ins Gesicht sah, erschreckte mich dessen Ausdruck.

      Mephisto erschien. Ich rang mit Faust, ich entriß mich ihm, ich betete, schrie mein schauderndes:

      »Heinrich, mir graut's vor Dir!«

      Ich stürzte davon, nichts empfindend als: »Es ist zu Ende, es ist vorbei – alles vorbei!«

      Da – – Ja, war's denn ein Traum? Ein Applaus, daß es den Boden unter meinen Füßen zu erschüttern schien. Ich war bereits in meine Garderobe geschwankt und hingesunken. Der Inspizient kam gestürzt. – – Es galt also mir: Mit schwindelnden Sinnen raffte ich mich auf.

      Jetzt kam auch Faust. »Aber kommen Sie doch vor! Welch ein Erfolg!«

      Ich konnte mich nicht regen, ich war wie gelähmt. Faust ergriff mich beim Arm und zog mich sich nach auf die Bühne.

      Jubel empfing mich.

      Ich verneigte mich, ich schwankte fort, um wieder herausgerufen zu werden und wieder und wieder.

      Wie ich in meine Garderobe zurückkam, wußte ich nicht! Fernow stand dort. Ich wollte auf ihn zu, verlor jedoch in demselben Augenblick das Bewußtsein. Wie im Traum fühlte ich noch, wie seine Arme mich faßten, fühlte ich noch den Wunsch: Könntest du jetzt sterben.

      Achtzehntes Kapitel

       Die junge Hofschauspielerin

       Inhaltsverzeichnis

      Nach dem Gretchen spielte ich noch Minna von Barnhelm und Marie Beaumarchais, Ophelia und Luise. Jede Vorstellung war ein neuer Erfolg. So ward ich denn unter den Trompetenstößen der Presse als erste jugendliche, tragische Liebhaberin ein festes Mitglied der Hofbühne.

      Ich war gerade achtzehn Jahre geworden.

      Mein junger Ruhm verbreitete sich binnen kurzem durch die ganze Theaterwelt. Der bedeutendste deutsche Kritiker, der Lessing unserer Zeit, schrieb in seinem vornehmen Blatte einen Artikel über mich, worin dieser scharfe, lieber tadelnde als lobende Mann sich in Ausdrücken über mein Talent erging, welche Freunde und Feinde dieser schriftstellerischen Macht durch ihren warmen, ja begeisterten Ton in Erstaunen versetzten. Mit einem Schlage war meine Stellung nach allen Seiten hin befestigt.

      Auch unsere äußeren Verhältnisse erfuhren die größte Umwandlung. Als das Quartal um war, verließen uns die Herren, die aus unseren Pensionären unsere Freunde wurden. Wir gaben die Wohnung auf und bezogen in der Nähe des Schauspielhauses ein kleines, schönes Quartier.

      Ein Zug meines Wesens, der bis jetzt keine Gelegenheit gehabt, sich zu entfalten, durfte sich nun frei entwickeln. Luxus hatte mich nicht gereizt – nach Schönheit hatte ich mich immer gesehnt! Edle Stoffe zu tragen, von edlen Gegenständen umgeben zu sein, deuchte mir den Menschen selbst zu veredeln. Plötzlich beinahe reich geworden, wollte ich zwar nicht verschwenden, aber auch nichts weniger als sparen.

      Man wird sich mein Glück vorstellen können, als ich eines Tages meine


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