Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß

Die wichtigsten Werke von Richard Voß - Richard Voß


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Sommer war wunderschön, so daß wir einen großen Teil des Tages im Freien zubringen konnten. Wir besaßen einen Überfluß von Lieblingsplätzen, von denen jeder seine besondere Stimmung hatte. Mit jedem Tage offenbarte sich mir die hoheitsvolle Seele meines Gatten mehr und mehr. Mit tiefem Jammer dachte ich daran, daß sein edles Leben abfallen sollte wie eine Blüte vom Baum.

      Wie beglückte es ihn, mir das Verhältnis seiner Philosophen zu erschließen; wie beglückte es mich, ihm meinen geliebten Lessing vorzulesen.

      Wir fuhren viel aus. Dann saß seine Mutter neben ihm. Aber mich sah er immer an.

      Ich habe die Augen geschlossen, um die Bilder jener Tage an mir vorübergleiten zu lassen. Sie sind so sonnig verklärt durch die höchste Liebe eines edlen Menschen. Ich suche seine Gestalt in der Vergangenheit wie eine Schwester die des Bruders sucht. Ich finde sie. Sie ist mir entrückt und doch so nahe. Gott erbarme sich meiner – durch mich bist du ja gestorben!

      Eines Sommerabends will ich hier gedenken. Wir, mein Gemahl und ich, saßen auf einer Terrasse und sahen die Sonne untergehen. Langsam, langsam versank das große, strahlende Himmelsauge. Noch glühten von dem letzten Sonnenblick Himmel und Erde. Diese lag da:

      Entzündet alle Höhen,

       Beruhigt jedes Tal.

      Über uns der feierliche Äther, so klar, so licht, daß die Seele sich sehnte, den Körper zu verlassen, um hinaufzustreben in die festliche Freiheit. Die Brunnen plätscherten, die Rosen hauchten ihre Düfte aus. Als es immer dämmerungsvoller, immer friedlicher – immer festlicher um uns ward, trat ich an die Brüstung, hob mein Gesicht auf, sprach Goethes Nachtlied:

      »Warte nur, balde

       Ruhest du auch.«

      Da hörte ich einen Seufzer hinter mir, einen so schmerzlichen Seufzer! Ich eilte zu ihm, ich kniete nieder, ich umfing ihn. Mit beiden Armen drückte ich ihn an mein Herz, mit einem Schmerz, mit einer Angst, wie eine Mutter ihr krankes Kind an sich reißen mag. Mit welchem Blick er mich ansah! Dann sagte er: »Jetzt geh' ich gern bald zur Ruhe. Weiß ich doch jetzt, daß du mich liebst. – – Du liebst mich?«

      »Ja, ja, ja!«

      Ich küßte ihn.

      Und jetzt strahlte die untergehende Sonne seines Lebens noch einmal mit vollem Glanz auf. »Der Tag kommt« jubelte seine Mutter. Aber ich wußte es besser. Ich wußte, noch einmal leuchtet es auf über Himmel und Erde; dann wird es Nacht.

      In der Residenz begannen die Ferien der Hofbühne. Obgleich ich mir verwehrte, daran zu denken, mußte ich doch im Geist die lustige Gesellschaft, die jetzt nach allen Richtungen hin fröhliche Komödiantenfahrten unternahm, auf ihren heiteren Irrwegen begleiten. Ich hätte auch dabei sein sollen.

      Im Schlosse befand sich ein Theatersaal. Ich wußte es gar nicht und entdeckte es erst, als ich einmal an den offnen Türen vorüberging und drinnen pochen und hämmern hörte. Ich trat ein. Der Vorhang war aufgezogen, ich sah den öden Bühnenraum. – – Gleich darauf trat ich wieder zurück.

      Einige Tage später ging ich gegen Abend allein spazieren. Ich wanderte die Landstraße, die durch den Park zum Dorfe hinabführte, das am Fuße des Schloßbergs lag. Plötzlich hörte ich Singen, Lachen, fröhliche Stimmen. Eine Gesellschaft kam durch die Waldung den Fußpfad hinauf. Gewiß Reisende, die nicht wissen, daß der Prinz im Schloß ist, dachte ich und wollte ihnen eben ausweichen, als sie bereits dicht vor mir durch die Dickichte auf die Landstraße traten. Sie sahen mich und brachen in Jubel aus. Erst jetzt erkannte ich sie.

      Wir eilten aufeinander zu, wir begrüßten uns. Ich wäre dem einen und dem anderen von ihnen am liebsten um den Hals gefallen.

      »Wie kommt ihr hierher? Herzlich willkommen!«

      Unser Heldenvater drängte sich zu mir.

      »Hab' ich's euch nicht gesagt, daß sie eine närrische Freude haben wird, uns zu sehen,« rief er triumphierend. »Hab' ich's euch nicht gesagt, daß sie noch die Alte ist?« Und er faßte meine beiden Hände: »Grüß Gott, liebe, liebe Kollegin!«

      Ihre Kollegin – – War ich das noch?! – – Schauspielerin, Schauspielerin!

      »Wie kommt ihr hierher? Ihr Gesindel!« bemühte ich mich zu scherzen. »Natürlich auf einer Komödiantenfahrt!«

      Einige schienen mir verdutzte Gesichter zu machen; aber unser biederer Alter nahm für alle das Wort.

      »Natürlich auf einer Komödiantenfahrt! Wir sind mit Sack und Pack aus der Residenz ausgewandert und durchziehen vagabundierend das Land. Gestern spielten wir in dem Nest du drüben. Aber unser jugendlicher Liebhaber war so schauerlich sentimental, daß ich mit dem jungen Manne ein ernstes Wort reden mußte. Denke dir. Rollchen, was er mir gestand – jetzt versucht er zu leugnen! – Da drüben auf dem Schlosse, meinte er, sitze seine jugendliche Liebhaberin und da – – du verstehst. Wie nun heute morgen die Sonne gar so heiter schien, schlug ich vor, unserer lieben Kollegin einen Besuch abzustatten, einen echten Komödiantenbesuch. Nun, und da sind wir! Und einen kräftigen Hunger bringen wir mit. Also, wo ist die Herberge?«

      »Da man auch den schlechtesten Gast leidlich anständig behandeln muß,« erwiderte ich lachend, »so bemüht euch den Berg noch ein wenig höher hinauf. Freilich wird man droben auf einen solchen Schwarm von Landstreichern nicht vorbereitet sein; aber ich werde dennoch mit aller Würde die Hausfrau spielen.«

      »Aber, Rollchen, wir sind nicht hoffähig,« bemerkte mein guter, alter Herr und machte ein schelmisches Gesicht. »Wir würden dir droben Schande machen. Wir haben dich gesehen, du hast dich gefreut; so schlage ich denn vor, daß wir ins Dorf zurückkehren. Überdies geht es dahin bergab.«

      »Nichts da, mein dicker Herr! Helft mir ihn festhalten. Pfui, Deserteur aus Barmherzigkeit! Ohne Gnade bergauf mit ihm!«

      Lachend wurde der Dicke umringt und zum Fortmarsch gezwungen.

      »Weißt du, Rollchen,« flüsterte er mir zu, »du solltest mich umkehren und dich mitnehmen lassen: eine Entführung auf der Landstraße. Dort hinauf taugst du doch nicht, wir nehmen dich mit uns in die weite Welt hinaus und heute abend spielst du drunten im Dorf auf der ersten besten Tenne die Luise. Kannst du widerstehen?!«

      Ich lächelte – nicht so ganz vom Herzen, wie ich wohl fühlte.

      Hinter uns kamen Wagen; die ersten waren hochbeladen.

      »Was ist das?« rief ich erstaunt.

      »Ja, was ist das? Es wird wohl unser Gepäck sein,« erhielt ich gelassen zur Antwort.

      »Euer Gepäck?«

      »Wir haben die Gewohnheit, nicht ohne Gepäck zu reisen.

      »Ganze Wagenladungen voll?!«

      »Eh, jetzt wird die Sache wohl ernsthaft. – – Sollen wir nicht doch lieber umkehren, Rollchen?«

      Um seine Mundwinkel spielte der Schelm; aber ich begriff es noch immer nicht. Da brachen alle in schallendes Gelächter aus. Jetzt erkannte ich auch, daß es fürstliche Wagen waren, denen einige Equipagen folgten.

      »Ja, glaub's nur,« versicherte der Alte. »Wir sind leibhaftige, prinzliche Gäste! Habe Respekt vor uns!«

      In meiner Freude begrüßte ich alle noch einmal. Das war eine Überraschung!

      Unter Scherz und Geplauder wurde jetzt zum Schloß hinaufgestiegen. Auf der Terrasse kam uns mein Gemahl entgegen. Ich eilte auf ihn zu. Meine strahlenden Augen sagten ihm wohl, wie beglückt, wie gerührt ich war.

      Bald waren alle in dem Gastflügel untergebracht und eine Stunde später kam das ganze hungrige Sommervölkchen zur Tafel geflattert. Danach stellte ich sie der Fürstin vor.

      Noch an demselben Abend wurde unter Präsidentschaft meines Gemahls ein Repertoir zusammengestellt, welches in zwangloser Weise in einem Zeitraum von vier Wochen abgespielt werden sollte. Bei günstiger Witterung sollten die Stücke im Freien aufgeführt werden. Ich durfte wieder spielen, spielen!

      Was


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