Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß
Ein langhaariges Schaf weidet in dem blumigen Kraut. Seine Hüterin ist ein altes braunes Weib, das unter den Arkaden des Klosters kauert, wo in sanften, lichten Farben Domenichinos Heilige die Andacht erwecken.
Die Kirche steht offen.
Ganz einsam ist's, wo der große, arme Dichter schläft. Unter ihm ruht auch eine Tote: Roma, die erhabenste Leiche der Welt. Ihr Auferstehen hatte der Dichter des befreiten Jerusalem mit seinen schönsten Klängen gefeiert. Aber Roma antika blieb tot. Tassos Herz ward vom Leben gebrochen und über des Sängers gebrochenem Herzen liegen welke Lorbeerkränze, auf deren braunem Laub die Mittagssonne funkelt. Pinturicchios verklärte Gestalten umgeben das einsame Dichtergrab und zuweilen kommt an den stillen Ort ein Mensch, der es auch so still in der Brust trägt. Dieser wird an dem verlassenen Grabe stehen, von der Empfindung durchschauert: wie der Schoß der Erde Tote empfängt, die nicht des seligen Auferstehens teilhaftig zu werden brauchen, um dennoch unsterblich zu sein.
Durch ein Seitenpförtlein durfte ich jedesmal in den Klostergarten einschlüpfen. Wie lieb war mir das Broccolifeld geworden, durch das wir zu dem schönsten aller Ruheorte gelangten, wo die Mönche des heiligen Hieronymus ihr Amphitheater errichtet, von dem aus sie auf das erhabenste und zugleich tragischste Schauspiel der Welt blickten: auf das ganze unter ihnen liegende Rom mit seiner Landschaft. Längst überwuchern Gras und Blumen die verfallenen Sitzreihen. Mit vom Blitz zerschmettertem Stamm steigt darüber die Eiche auf, unter welcher der kranke, schwermütige Dichter so viele Male gesessen hat. Dann mag er wohl sehnsuchtsvoll nach dem Kapitol hinübergespäht haben, dem großen Altar Roms, auf dessen Trümmern auch Tasso die Krone empfangen sollte: das heilige Laub der Dichter und der Helden.
Wir sahen im warmen Lenzsonnenschein und blickten schweigend auf Rom. Majestätisch ruhte es im Schoß seiner sieben Hügel: die Niobe der Städte, aber noch immer die Königin der Welt. Hundert Kuppeln ragten unter uns auf. Großartig und ehrwürdig zugleich bedeckte die Stadt der Ruinen, der Kirchen und Paläste ringsum alle Höhen und Tiefen. Dort wölbte sich das Dach, wo:
»Künstliche Himmel ruh'n auf schlanken jonischen Säulen
Und den ganzen Olymp schließt ein Pantheon ein.«
Einst leuchtete es im Glanz seiner vergoldeten Bronzeziegeln zum Jani(?)ulus hinüber.
Und zu Füßen lagerte sich mit seinen von Arkaden umschlossenen Höfen und hoch aufsteigenden Gärten die graue Masse des Corsinipalastes. Mit einem düsteren Lorbeerhain an seiner Seite, erhebt sich am Strand des gelblichen Stroms, schön wie ein steinernes Traumgebild, Chigis Gartenhaus, in dessen Saal Amor und Psyche im Olymp ewig Vermählung feiern werden. Ehemals lagen hier die Gärten der Agrippina, später schwelgten hier Leo X. und Raffael. Wo einst die Barken Beros gelandet, ließ Agostino Chigi die goldenen Schüsseln und Becher, darin er seinen Gästen Pfauen von Samos und Falerner vorgesetzt, in den Tiber werfen. – – Jetzt war es dort öde und still.
Und drüben am anderen Ufer: Roms stolzester und schönster Palast, so trotzig und gewaltsam, wie das Geschlecht war, das ihn baute; auch ebenso königlich prunkend wie dieses. Das Gesims Michelangelos wie eine Krone über Rom emporhebend, wird der Palast der Farnese dauern, wie das Kolosseum gedauert hat, aus dessen steinernen Riesenwällen er aufgebaut worden, ein Denkmal, das seine Herren für alle Zeiten ihrer Zeit setzten.
Grün und schön und freudig erstreckte oberhalb Roms der Pincio seine eleusinischen Gärten Hinter der Villa der Mediceer stieg der borghesische Pinienwald auf, ein wunderbarer Vordergrund in dem Bilde des römischen Gebirges, das seine schneebedeckten Gipfel in das leuchtende Blau emporträgt: den Gennaro mit seiner schimmernden Felspyramide und über blaues Hügelland die königliche Lionessa. Und wer kann in Rom sein, ohne den Soracte schauen und – lieben zu müssen.
Rechts und links zog es den Blick in die öde Weite hinaus. Hier ist die von Trümmern übersäte Ebene mit dem wundersamen Albanergebirge und dem pränestinischen Gefilde; dort über das Mausoleum des Hadrians hinweg das vejentinische Land. – – Schimmerndes Bild, so oft gesehen und bestaunt, wie erscheinst du mir wieder in dem grauen Tag meines Daseins, daß ich, in deinen Anblick verloren, diesen vergesse. Aber ach, du zerrinnst!
Unter der Tasso-Eiche lasen wir aus dem befreiten Jerusalem und Byrons Childe Harold.
Als wir zum letztenmal dort waren, legten wir aus Tassos Grab eine Palme nieder. Dann begab sich mein Gemahl ins Kloster, um noch einmal Leonardo da Vincis Madonna zu betrachten.
Das Kloster verlassend, sagte er: »In dieser frommen Stille der Krone des Kapitals zu entsagen und dafür die Palme des Friedens zu erhalten, muß schön sein.«
Ohne zu wissen, daß es mein Abschiedsgruß sein sollte, verließ ich den lieben Ort mit unseres Dichters Weihespruch:
– – Die Stätte, die ein edler Mensch betrat ...
Mein Gemahl fühlte an jenem Tage heftige Sehnsucht nach der Sistinischen Kapelle. Wir begaben uns also hin; nur er und ich.
Es war Mittag, und da die Kapelle eigens für uns geöffnet worden, befanden wir uns ganz allein. – – Von Sonnenglanz überflutet, erstanden Michelangelos Tote, rangen sie sich zum Himmel auf, wurden sie gesegnet und verdammt, stiegen sie ein in die Kreise der Verklärten, stürzten sie hinunter in die ewige Pein. Und unter dem triumphierenden christlichen Jupiter, an dessen Knie sich die zitternde Mutter schmiegte, stießen die Cherubime in die Posaunen, während über ihm die Scharen lichter Jünglinge des Himmels mit den Marterwerkzeugen angestürmt kamen.
Wir saßen da, von neuem überwältigt und niedergeschmettert von der Gewalt des Genius, als seien wir zwei jener Unseligen, die niemals die Nähe des Göttlichen erreichen sollten. Starren Auges sah mein Gemahl auf das ungeheure Gewühl der Leiber. Lange rührten wir uns nicht. Dann sprach er so leise, daß ich mich zu ihm hinneigen mußte, um ihn zu verstehen.
»Daß ein Mensch dies erdacht und gestaltet hat! – – Wenn einmal die Posaunen erdröhnen, die Gräber aufbersten, die Toten aller Welten und Zeiten auszuspeien und die Massen der Erstandenen gen Himmel drängen, um verdammt ober gesegnet zu werden – so muß dieser ungeheure Vorgang geschehen, wie er hier geschieht: wie Michelangelo ihn gesehen und gebildet hat. Christus ist hier vor allem der grimmige, gerechte Gott, ein Heros des Himmels, der mit eigener Faust die Sünder und die Schuldigen niederschmettern könnte. Kaum, daß die Mutter zu bitten wagt.
Welche Schuld darf vor diesem Richter auf Gnade hoffen?
Nur ein Riesengeist, der mit den Völkern der Erde Krieg führte, dabei aber in den Fesseln eines starren, fürchterlichen Glaubens lag, konnte dergleichen Übermächtiges ersinnen. Um an diesen Gott Michelangelos zu glauben, und sich nicht von ihm vernichten zu lassen, muß man ein Michelangelo sein. Wehe uns Kleinen und Schwachen! Wir können nicht bestehen vor ihm.
Sieh dort, wo die Toten der Erde entfahren und aus ihren Gräbern sich wühlen, das Weib, welches den Mann aus der Gruft zerren will. Aber Dämonen halten den Unglückseligen bei den Füßen gepackt und werden ihn wieder hinunterreißen. Es mögen Gatte und Gattin sein. Nur das Weib wird selig werden.
Vom Rand jenes Hügels schwingt sich eine jammernde Gestalt einsam hinauf. Dort siehst du sie die Lüfte durchsausen: in ein Leichentuch gehüllt, in unendlichem Jammer die Hände ausgestreckt, das Gesicht erhoben, dessen verbundene Augen die Herrlichkeit Gottes nicht sehen wollen, da sie sie allein schauen sollen. Aber es ist eine Gerechte und sie wird selig gesprochen werden. – – Dort steht sie zur Rechten Christi, stehend erhebt sie die Hände und blickt hinter sich, wo Gatte und Gattin sich wieder gefunden haben und sich einander zur ewigen Vereinigung in die Arme sinken. Sieh, wie ihre verklärten Leiber sich umfangen, wie ihre seligen Seelen im Kusse zusammenschmelzen.
Furchtbar! Die einen Gatten für ewig vereinigt, die anderen für ewig getrennt! Was für ein entsetzlicher Glaube, in welchem das geschehen kann, in welchem ein Gatte nicht den anderen von seiner Schuld loszubitten vermag?!«
Er war außer sich. Ich konnte ihn nicht beruhigen und mußte ihn hinausführen. Mit Heftigkeit forderte er Raffael zu sehen. Wir gingen zur Disputa und vor diesen schönen, seligen Gestalten besänftigte sich der Aufruhr in seiner Empfindung. Er warf sich an meine Brust