Die wichtigsten Werke von Richard Voß. Richard Voß
hatte niederlegen lassen. Ich stand auf den Stufen und mußte immerfort auf den Hermelinmantel und die goldene Krone hinabstarren.
O du mein armer, toter Königssohn. – – Sie haben deinen Sarg mit der Pracht deines Lebens belastet. Keiner denkt daran, daß du einen Strauß Blumen schöner gefunden hättest. Für sie freilich ist vor allem der Fürst gestorben! Nur deinem Weibe, das kaum ein Recht hat, sich so zu nennen, starb in dir der Mensch.
Ich kannte dich und hätte dich doch besser kennen sollen. Vergib mir! Du lebtest in der Öde. Da fandest du die eine arme Blüte, die einzige, die dich schön dünkte und dir zu duften schien. Du strecktest deine Hand nach ihr aus; du wolltest sie pflücken. Als man dich nicht gewähren ließ, welkte deine Lebensblüte dahin. Da gab man mich dir. Aus Mitleid verschwiegen sie dir, daß es aus Mitleid geschah. Auch ich log die fromme Lüge mit und hätte dich doch besser kennen sollen. Ich hätte wissen sollen, daß du wirklich ein Fürst und ein stolzer Mensch seist, der kein Mitleid dulden durfte, namentlich nicht das Mitleid eines schwachen Mädchens. Vergib mir! Du weißt nicht, was es heißt, wenn eine Mutter für ihren todkranken Sohn bittet. Du kennst nicht das zärtliche, schwankende Gemüt einer Frau, das so leicht und willig in der schönsten menschlichen Empfindung zerschmilzt. Schienen doch deine eigenen traurigen Augen mich um die Lüge anzuflehen. Es ist nicht gut und bringt keinen Segen, daß wir Frauen so gern uns opfern, uns der Menschheit so ungestüm als freiwillige Märtyrerinnen aufdrängen. Vergib mir!
Liebe war das Leben, zu dem allein deine sterbende Seele sich hindrängte. – Liebe glaubtest du gefunden zu haben. Zuweilen zweifeltest du; aber immer wieder wußte ich dich zu beruhigen: zu belügen. Zuweilen schrecktest du auf aus deinem Traum; aber immer wieder wußte ich dich einzuschläfern: zu betäuben. Einmal die große Schuld begonnen, mußte ich sie vollenden. Es ist gut, daß du nicht weißt, wie ich gelitten habe.
Laß mich's an deinem Sarg aussprechen. Wie ein stolzer Mann durch das Mitleid einer Frau beschimpft und beleidigt wird, so geschieht das der Frau, hat sich diese nicht aus Liebe zur Gattin gegeben. Du, dessen Seele groß war, hättest es gewiß verstanden und mit mir Mitleid gehabt. Was sage ich: Mitleid? Du hättest es nicht geduldet. Du hättest mich von dir gewiesen und wärest in der Hoheit deiner Entsagung gestorben.
Hier stehe ich, lege meine Hand auf deinen Sarg und mir ist, als würde ich dir erst jetzt vermählt, als würde ich erst jetzt dein Weib – in der Liebe.
Als deine wahre Witwe verlasse ich dich. Von dir fort gehe ich in das Leben hinaus, das von diesem Augenblick an eine Trennung von dir sein wird. Ich schwöre dir nichts, ich gelobe dir nichts: weiß ich doch, daß du das nicht von mir willst. Nur das eine laß mich dir sagen: Bin ich auch nur deine Schwester gewesen, so will ich doch an dich denken, als hätte ich dir Kinder geboren.
Lebe Wohl. Du wirst schlafen, aber nicht träumen. Und solltest du einmal erwachen, so wird in dem erschlossenen Himmel, wo du keine Fürstenkrone trägst, sondern die Palme der Menschheit, der Gatte die Gattin finden.
Am Morgen verabschiedete ich mich von der Fürstin. Gern hätte ich mich an ihre Brust geworfen: Umarme die Witwe deines Sohnes; denn jetzt – erst bin ich das. Aber außer der Majestät der trauernden Mutter umkleidete sie der ganze Pomp der trauernden Fürstin, so daß sie mich, die der Tote am meisten geliebt hatte, empfing, als erteile sie mir eine Audienz. Sie redete mich »Baronesse« an und ich küßte ihre Hand. Darauf teilte ich ihr mit, daß ich entschlossen sei, mich auf das Schloß zurückzuziehen, welches mir mein Gemahl zum Witwensitz bestimmt. Noch den Tag vorher hatte ich im Sinne gehabt, das Vermächtnis abzulehnen.
Mein Vorhaben wurde von der hohen Frau gebilligt; dann empfing ich noch in ihrer Gegenwart den Adjutanten des Königs, der mir das Beileid Seiner Majestät auszudrücken hatte.
Als die Türe sich hinter mir schloß, brauchte mir keiner zu sagen, daß ich von nun an für jene Welt nicht mehr existierte.
Auf einer anderen Straße, als der Trauerzug sie nahm, entfernte ich mich von der Grenze. Aber auch zu meinem Weg hinüber tönten die Kirchenglocken, die in allen Dörfern geläutet wurden, durch welche der Zug kam. Jene Empfindung, die ich schon einmal am Grabe der Tragödin gehabt, überschlich mich von neuem: dort trauert ein ganzes Land um ihn und hier bin ich, einsam und unbekannt, in deren Armen er starb, durch die er starb.
Ich lag in die Kissen des geschlossenen Wagens gedrückt und sah in den sonnigen Junimorgen hinaus. Diese Wiesen standen voller Blumen, die Landleute mähten.
Das Leben tut es auch nicht anders! Lang bevor es Herbst geworden, schreitet der blasse Schnitter dahin, mäht und mäht. Und es sind so viele Blumen darunter. Andere erstarren im frühen Frost, verdorren in heißer Sonnenglut, oder werden zertreten.
Ich ließ sehr langsam fahren. War mir's doch bei dem Glockengeläut, als ob ich noch immer dem Toten folge. Da vernahm ich das Rollen eines Wagens hinter uns. Schnell kam es nah und näher. Der Kutscher wurde angerufen, der Wagen hielt – noch einen Augenblick und ich wurde von den teuersten Armen umfaßt, ich hielt die treuesten Hände in den meinen.
Sie wußten, was mir not tat, beide wußten es.
Meine Mutter saß neben mir, er mir gegenüber und ich erzählte ihnen, nichts verschweigend, auch nicht seine letzten Worte, seinen letzten Blick.
Am Abend des zweiten Tages unserer Fahrt tauchte das Schloß vor uns auf. Wir näherten uns demselben vom Gebirge her und überblickten es von einer Höhe mit allen seinen Wäldern und Fluren.
Von der höchsten Zinne wehte eine lange Trauerfahne herab. Still zog ich ein, wo sie mich einst an der Seite meines jungen Gatten mit Musik und Jubel empfangen hatten. Ehe ich das Schloß betrat, suchte ich, allein von seinem Geiste begleitet, alle die Plätze auf, wo er an meine Lüge geglaubt hatte und glücklich gewesen war. An jedem Orte flüsterte ich: Vergib mir!
Dann sah ich auf der Terrasse dem Sonnenuntergang zu, welcher über die Residenz, die heute seinen Leichnam empfangen, einen Baldachin von Purpur und Gold breitete.
Sie rückte und wich.
Viertes Kapitel
Neues Leben
Nach einigen Tagen verließ Fernow mich wieder. Ich hatte ihm meine Seele aufdecken und ihn darin lesen lassen können, wie in einem Buche. Daß er manches verschweigen mußte, wußte ich ja.
Luise kam. Sie hatte dem Leichenbegängnis meines Gemahls beigewohnt und war von Rührung und Wehmut noch ganz geschwächt, was sie jedoch nicht hinderte, über den Pomp des Vorganges in höchste Ekstase zu geraten. Sie behandelte mich nach alter Art wie ein krankes Kind und mochte befürchten, daß ich meinem jungen Gatten möglichst schnell am gebrochenen Herzen nachsterben würde.
Fernow hatte mich nicht verlassen dürfen, ohne mir über die Mutter, die mir zu leiden schien, völlige Wahrheit zu geben. Ich erfuhr, daß sich ein Herzleiden eingestellt, und er verschwieg mir auch nicht, daß eine heftige Aufregung einen Herzschlag zur Folge haben könne. Wie ein Kind wurde daher meine Mutter von Luisen behandelt. Da ihre hauptsächlichste Anschauung von Kindern die war, daß es kleine, arme, hilflose Wesen seien, die fortwährend eingewickelt und beruhigt werden müßten, so betrieb sie diese Ammenbeschäftigung bei meiner Mutter mit einer wahrhaft fürchterlichen Zärtlichkeit. Wenn sie gegen die zarte, wehrlose Gestalt mit einem Armvoll Tücher und Decken anrückte, mußte ich jedesmal wahre Schlachten liefern, deren Ausgang mein Mütterchen in ihrem Lehnstuhl in stiller Ergebung abwartete. Ich siegte nicht immer.
Hier sei gleich erwähnt, daß Luise bedenkliche Gelüste zeigte, noch in ihren alten Tagen Schloßherrin zu werden. Sie war eben ein Charakter.
In tiefster Zurückgezogenheit verstrich der Sommer. Dann entschied ich über meine Zukunft: war ich doch wieder Rolla, die Schauspielerin!
Unsere Hofbühne blieb mir selbstverständlich verschlossen; aber ich hatte gehört, daß mich das Publikum sehnlichst zurückerwartete, daß also kein Ersatz für mich gefunden worden