Perry Rhodan Neo 85: Das Licht von Terrania. Oliver Plaschka
mir eine Drohne, die sie zurück in ihren Baum bringt«, befahl er Aito, während er sich aus dem Markud schwang. »Und dann bitte Koordinator Jemmico herein.«
5.
Perry Rhodan
Der Schmerz zerriss seinen Körper und mit ihm auch die Vision des Urwaldes und der Istrahir, die ihm eben noch Sicherheit versprochen hatte. Etwas löste sich von ihm, und das Gefühl des Verlusts und der Leere war unbeschreiblich.
Unwillkürlich dachte er daran, wie er das letzte Mal einen solchen Verlust empfunden hatte: Rhodanos, in einem Kampfanzug mit eingefaltetem Helm, reglos am Boden der Leka-Disk, mit der sie aus dem Royal Victorian Hospital in Belfast geflüchtet waren. Rhodanos, der eigentlich tot war – doch Sues neue Parakräfte hatten ihn für einen kurzen Moment ins Leben zurückgeholt. Sue – und das Enteron.
Das Enteron ...
Schon bei ihrem ersten Treffen hatte Rhodanos ihm erklärt, dass das Enteron ein Teil von ihm war – und auch von Rhodan. Gefertigt von einem geheimnisvollen Freund namens Tolotos, um die beiden Brüder zusammenzuführen. »Es gehört zu uns«, hatte er gesagt, »ist quasi ein Bindeglied.« Nun löste es sich von Rhodans Hand, um ein letztes Mal zu seinem einstigen Träger zurückzukehren.
Es war wie ein Abschied, war wie der Tod. Es war, wie Thora zu verlieren. War die Liebe zu jemand anderem wirklich dasselbe wie die Liebe zu sich selbst? Oder manipulierte das Enteron seine Gefühle?
Rhodanos schlug die Augen auf. »Die große Liebe meines Lebens«, wiederholte er Rhodans Gedanken, und einen Augenblick lang wusste Rhodan nicht, ob er damit das Enteron meinte, das nun wie eine Haube um seinen Kopf lag, oder sich selbst oder ihn. Dann wurde ihm klar, dass er tatsächlich Thora meinte, die bei ihnen war – doch Thora war abermals nicht Thora, sondern eine Istrahir mit weichem Pelz und großen, dunklen Koboldaugen, in denen sich die Tränen sammelten.
Dann verließ das Enteron den älteren Rhodan, und mit dem Enteron verließ ihn auch das Leben. Rhodanos starb zum zweiten Mal. So wird es aussehen, wenn ich einmal sterbe, dachte Rhodan.
Der Schmerz verebbte. Rhodan spürte, wie ihm etwas über die Seite strich, ihn liebkoste, und auf einmal begriff er: Kurz vor ihrer Gefangennahme hatte sich das Enteron in ihm versteckt. Die ganze Zeit hatte es sich in seinem Körper verborgen – doch nun hatte es sein Versteck wieder verlassen. Daher der Schmerz.
Ihre Gefangennahme ... War er denn ein Gefangener? Er konnte immer noch keinen klaren Gedanken fassen. Es war wie der Versuch, auf einem Symphoniekonzert eine Melodie zu pfeifen – die große Musik war zu übermächtig. Sie spülte ihn hinweg. Die Musik des Waldes ...
Der Wald wuchs dicht und hoch am Rande des Friedhofs. Schwarze Wächter, die den Eingang ins Totenreich markierten. In der Ferne, geheimnisvoll und schwermütig, das Rauschen des Bigelow Brooks, an dessen Ufern er als Kind gespielt hatte. Es war kalt. So kalt, dass man seinen Atem in der Dezemberluft sah ...
Dann kletterten sie über die Mauer. Irrten mit ihren Schaufeln durch das Meer der Steine wie Grabräuber auf der Suche nach Beute. Ihr Ziel: das Grab seiner Eltern, und das von Deborah. Seine ganze Familie, verloren. Verloren wie Rhodanos. Eine Familie von Toten. Und so sehr es ihm widerstrebte, sie mussten ihre Ruhe stören. Mussten erfahren, ob sie in der Gewalt jenes finsteren Puppenspielers Callibso gewesen waren, der im Hintergrund von Rhodans Leben seine Fäden zog ...
Er war dankbar, dass Thora in diesen Minuten an seiner Seite war.
Sie stachen die Schaufeln in den Boden und gruben los. Bald hatten sie einen großen Hügel neben sich angehäuft, und das Aroma der Graberde erfüllte die Nachtluft. Fast wie einen Baum zu pflanzen, dachte Rhodan.
»Möchtest du das?«, fragte ihre sanfte Stimme. »Einen Baum pflanzen?«
Er drehte sich zu Thora um und blickte in das Gesicht der Istrahir, die auf ihren Schwanz gestützt neben dem Erdhügel stand, die Schaufel in der Hand.
»Otia«, sagte Rhodan. »Dein Name ist Otia. Was tust du hier?«
»Ich bin hier, um dir zu helfen«, sagte sie. »Erst hattest du Angst, dann hattest du Schmerzen. Dann hast du dich sehr einsam gefühlt.« Sie legte verschüchtert den Kopf schief. »Du hast mich deine große Liebe genannt, weißt du nicht mehr?«
»Das ist falsch!«, rief Rhodan und warf seine Schaufel weg. »So ist das nicht passiert! Wo ist Thora?«
Otia schaute ihn verwundert an. »Hier bin nur ich«, erwiderte sie.
Das ist ein Traum, dachte Rhodan.
Ich bin gefangen, und das ist nur ein Traum ...
Er drängte die Stimmen des Waldes in seinem Kopf zurück, kämpfte sich frei, bis es ihm vorkam, als schwebte er allein in einem tiefen, dunklen Tunnel. Nur von fern drangen noch Bilder und Stimmen zu ihm, doch er wusste, dass sie nicht real waren, ihn nur locken wollten. Er musste aber nach einem Ausweg suchen, seine Freunde befreien und entkommen.
Vage glaubte er sich zu entsinnen, wie der Fürsorger ihn in einen seiner Bäume gesperrt hatte. Seitdem versuchte dieser Baum offenbar, ihn in eine Traumwelt zu ziehen. Vielleicht sonderte er Säfte mit narkotisierender Wirkung ab oder manipulierte anderweitig seinen Verstand, ließ ihn erneut seine letzten Wochen auf der Erde erleben. Und diese Istrahir, die immer wieder in den Träumen auftauchte, war ein Teil der Manipulation. Erhofften sie oder der Fürsorger sich auf diese Art einen Weg in Rhodans Bewusstsein zu erschließen?
Vielleicht konnte das Enteron ihm helfen, sich zu befreien. Schließlich hatte es sein Versteck in seinem Körper verlassen und war damit einsatzfähig. Rhodan konzentrierte sich auf den Symbionten, der ihm anfangs wie eine unsichtbare Präsenz im Nacken gesessen hatte, im wahrsten Sinne des Wortes, und den er im Laufe der Zeit immer besser zu beherrschen gelernt hatte. Allerdings, wie er sich eingestehen musste, fehlte seiner Beherrschung die letztgültige Sicherheit. In Los Angeles hatte das Enteron die Puppe Tankin umgebracht – ein glatter, unmotivierter und letztlich unsinniger Mord, den Rhodan nicht einmal im Ansatz gebilligt hätte, was er nach wie vor nicht tat. Das Enteron war ein unersetzliches Werkzeug. Doch eines, bei dem er stets auf der Hut sein musste.
Befreie mich! Rhodan bemühte sich, seine Furcht unter Kontrolle zu halten, ihr eine sinnvolle Richtung zu geben. Hol mich hier raus!
Er hatte das Gefühl, dass sein Befehl verstanden worden war. Dann aber rückte das Licht am Ende des Tunnels wieder näher, die Stimmen wurden lauter. Er begann, abermals in seinem Traum zu versinken.
Nein!, setzte er sich zur Wehr. Nicht dorthin! Diese Welt ist nicht echt! Er musste zurück, einen anderen Ausweg suchen ...
In Gedanken schlug er wild um sich, versuchte, der Dunkelheit irgendwie habhaft zu werden. Doch so sehr er auch kämpfte, der Sog des Traums war zu stark. Es fühlte sich an, wie einer übermächtigen Schwerkraftquelle entgegenzustürzen. Der Tunnel wurde zu einem rasenden Schacht.
Und mit einem Mal, noch während er fiel, spürte er, wie neue Kraft ihn durchströmte. Normalerweise kostete es ihn viel Energie, mit dem Enteron zu kommunizieren. Nun aber war ihm, als holte er sie sich von irgendwo zurück. Es war der Baum, bemerkte er überrascht. Der Baum spürte seine Erschöpfung und spendete ihm Kraft. Er wollte ihn schützen ...
Rhodan hoffte, das Enteron wusste, was es tat. Er hörte auf, sich gegen die Traumbilder zu wehren. Stattdessen hieß er sie willkommen.
Möchtest du das?, erfüllte Otias sanfte Stimme seinen Kopf. Einen Baum pflanzen?
Ja, dachte Rhodan. Das möchte ich. Für die Liebe meines Lebens ...
Die Bilder rissen ihn hinweg.
6.
Satrak
Jemmico war ein Mann, dessen Gedanken und Gefühle für den Fürsorger nur schwer zu erraten waren. So auch jetzt, als sie den Pfad durch das silbrig glänzende Schilffeld