Die Verzauberten. Roland Betsch
so, Hurrle! Richtig, Hurrle. Ich sehe ihn nicht, aber ich höre seine Komödiantenstimme mit pathetischen Steigerungen über den Marktplatz schallen. Beim Wagen angekommen, muß ich ihn erblicken, wie er auf einer Bretterkiste steht, um sich viel gaffendes Volk versammelt hat und Porzellanwaren anbietet, als ob er Zeit seines Lebens als Wahrer Jakob durch die Weltgeschichte gezogen wäre.
Er hat die letzten Haare zu einem verwilderten Schopf geschwungen, die Augen rollen, und mit den Armen fuchtelt er in der Luft herum. Man erkennt sofort, daß er im Augenblick einen Suppenteller in der Hand hat, diesen Gebrauchsgegenstand nach allen Seiten dreht und wendet und den andächtigen Zuhörern begreiflich macht, dieser schöne Suppenteller sei nur fabriziert worden, um hier im Dorfe Freude und Heil und verstärkten Appetit zu zaubern.
»Meine verehrten Bauern,« brüllt Hurrle, »ihr alle kennt den Bibelspruch: Glück und Glas, wie leicht bricht das. Stimmt, sage ich, stimmt. Aus diesem Grunde auch führen wir kein Glas – sondern nur Porzellanwaren. Haben Sie aber jemals irgendwo gelesen, daß geschrieben stünde: Glück und Porzellan sind übel dran? Einen Schleusendeckel einem jeden, der mir das nachweist. Dieser Suppenteller kann uralt werden; nichts steht im Wege, daß er sich noch auf die fernsten Generationen ohne Sprünge vererbt. Es gibt sagenhaft alte Porzellanteller. Ich habe einen im Auge aus der Zeit 3000 vor Christi, und man könnte, wenn er nicht in einem Museum stünde, immer noch eine Erbsensuppe mit Schweinsohren aus ihm löffeln.«
Jetzt lachen die Bauern und freuen sich, stoßen sich gegenseitig an und zeigen ein aufgeräumtes und kauflustiges Wesen, weil der Hansnarr da oben eine solche Gaudi um einen läppischen Suppenteller macht.
»Hinwiederum stehet in der Schrift: sammelt euch keine irdischen Güter; nie aber wird einer, und sei er der größte Schriftgelehrte der Welt, im Buch der Bücher die Mahnung finden, man solle keine irdenen Güter sammeln. Irdene Güter sind des Segens voll und fallen nirgends unter das göttliche Verbot. Wenn sie fallen, sind sie meistens, und nicht mal immer, kapores, und auch in diesem geteilten Zustand wohnt ihnen noch eine gewisse Sendung inne; denn Scherben bringen Glück. Freunde, zerschlagt viele Teller, auf daß es viele Scherben und viel Glück gibt.«
Sie kollern und pruschen und kreischen los; ein lustiger Aufruhr bildet sich und lockt immer neue Zuschauer herbei.
Sie fangen schon an zu kaufen, drängen sich zum Wagen und nehmen die vielerlei porzellanenen Wunderdinge in Augenschein. Ein Mann, dick und fett; ein Mann, schwitzend und mit Speckfalten im Genick; ein Mann, mit einem roten Gesicht und einem prachtvollen Seehundsschnauzbart; ein solcher geschäftstüchtiger Klumpen Mensch packt Geschirrwaren aus dem Heu und bietet sie zum Verkauf an. Er ist Besitzer des Wagens und heißt Xaver Schluckebier. Woher ich das weiß? Weil am Wagen ein Schild hängt mit der Aufschrift: Xaver Schluckebier, Porzellan- und Steingutwaren, Erlenbach.
Hurrle läuft das Mundwerk davon; er hat Einfälle wie ein alter Backofen und trommelt immer mehr Neugierige zusammen. Der Porzellanverkauf geht schon flott vonstatten.
»Über einen solchen Teller,« flunkert Hurrle fort, »könnte ich tagelang reden, aber ich will euch nicht von der Arbeit abhalten. Einem solchen Teller, wie ihn hier meine Pfoten halten, habe ich mein Leben zu verdanken. Ihr wollt natürlich schon wieder die Geschichte hören? Na ja, ich will sie euch nicht vorenthalten. Ich gehe einmal in Pernambuco durch die Straßen der Stadt, da fällt ein solcher Teller, nicht größer und nicht kleiner als dieser hier, fällt, sage ich euch, aus dem vierten Stockwerk herunter auf die Straße. Fällt mir nicht auf den Kopf, sondern zerspringt vor meinen Füßen. Was glaubt ihr, wenn er mir auf den Kopf gefallen wäre; ich hätte das Zeitliche gesegnet in einem heißen Erdteil, der nicht meine Heimat ist.«
Man sollte es nicht glauben, aber das Geschwätz Hurrles regt das Geschäft mächtig an; die meisten Menschen stellen fest, daß sie Teller benötigen. Andere kaufen Schüsseln, Tassen und Kannen; ja sogar unaussprechliche Töpfe, mit Blumen verziert, finden Absatz. Schluckebier, der nur immer auspackt und einkassiert, läuft der salzige Schweiß herab. Sein Jägerhemd klatscht vor Nässe.
»Brigitte!« ruft er mit heiserem Organ, »willst du Flitscherl vielleicht kommen und mir helfen!«
Brigitte ist gar nicht da; weiß der Teufel, wo die steckt, das Lumpenstück mit dem bunten Seidentuch.
Hurrle, das Geschäft verschlagen witternd, bleibt mit vollen Segeln im Kurs.
»Da hätte ich einen Aschenbecher für den Herrn im Haus. Ein Aschenbecher, wie ihr ihn hier seht, gehört in jede kinderreiche Familie. Ich kenne einen Mann, er ist entfernt verwandt mit mir, der hat fünfundsiebzig Jahre die stärksten Zigarren geraucht ohne Aschenbecher. Ohne Aschenbecher fünfundsiebzig Jahre. Was glaubt ihr, wie alt wäre er mit Aschenbecher geworden! Nicht auszudenken. Aus diesem Aschenbecher findet ihr einen Vers aus dem westöstlichen Kanapee. Er lautet: Eher werd' ich Frauen hassen, als von meinem Tabak lassen. Jawohl, meine sehr verehrten Herrn Bauern: lasset euch den Tabak nicht verbieten. Raucht, daß der Qualm zum Himmel stinkt. Ehrenwort, ich reise nicht in Zigarren und habe auch keinen Verwandten, der Püppchenwickler ist oder Wärmlinge dreht. Und wenn eure verehrte Frau Gemahlin etwa gegen das Rauchen ist, dann – einen Augenblick! Schluckebier, gib mal die Blumenvase her! – dann schenkt ihr der Holden zur Besänftigung eine solche Blumenvase, zu der sie die Blumen gar nicht erst im Garten zu suchen braucht, denn solche sind, schaut her, schon hinaufgemalt. Es sind Vasen aus Meißener Porzellan. Verachtet mir die Meißner nicht. Ich sage nur dieses: Es gibt auf der Welt zu viel Blumen und zu wenig Vasen. Greift zu, und wenn ihr nicht Freude habt an diesem echten Kunstgegenstand, dann will ich an der nächsten Feldglocke baumeln und die Raben um mich sammeln. Seht euch den Mann an, Herrn Schluckebier, seht ihn euch an, wie er schwitzt! Er schwitzt nur so, weil er Angst hat, er müßte alles hergeben. Aber laßt euch nicht irre machen, kauft und laßt ihn Todesängste kriegen. Kauft Teller, kauft Tassen; in Massen, in Massen! Kommt herbei, kommt heran! Porzellan! Porzellan!!«
Die Wirkung dieses zusammengeschwefelten Unsinns ist erstaunlich. Schluckebier, mit Begeisterung und Atemnot, verkauft mehr Porzellan, als er sich in seinen rosigsten Geschäftsträumen je vorgestellt hatte. Er hat Rock und Weste ausgezogen und arbeitet; ein Duft von Salz und alten Kleidern strömt betörend von ihm aus.
»Brigitte!« trompetet er wieder, »wenn die Wachtel kommt, will ich ihr aber die Faulenzermanieren aus den Knochen schlagen.«
Hurrle ist jetzt von der Kiste herabgestiegen und stelzt, wie ein Mann, der Bedeutsames nur so nebenbei geleistet hat, durch die gaffende Menge.
»In dich ist der Belzebub gefahren. Du mußt zum Tingeltangel.«
»Mein Lieber,« antwortet er halb erschöpft, »ich habe dir doch immer gesagt: man muß nur der Nase nachgehen und findet schon irgendeine Arbeit. Wenn ich Lust habe, kann ich mich von dem Fettklotz engagieren lassen.«
»Was für Unsinn hast du denn geschwätzt? Ich habe Bauchgrimmen.«
»Und ich habe einen leeren Magen. Ich nehme an, daß der Porzellankönig mit uns zum Abendbrot geht.«
Ich sehe, daß der Verkauf immer noch weitergeht. Und jetzt kommt ein Fetzen über den Marktplatz geweht. Im Winde flatternd wie eine Fahne.
»Hurrle, weißt du, wer dort kommt?«
»Wo?«
»Dort. Im sanften Spiel des Windes?«
»Ein junger Buntspecht.«
»Nein, die Porzellanbrigitte. Sie will uns Lohengrin wieder fortnehmen. Jawohl, Fräulein Schluckebier.«
»Porzellanbrigitte? Lohengrin? Du mußt hier keine Silbenrätsel aufgeben.«
Brigitte ist schon da. Sie geht bei uns vor Anker, stößt mit dem Fuß nach Lohengrin und zeigt uns die Zähne.
»Harras, du Aas!« sagt sie und lutscht an einem dicken Malzzucker.
»Brigitte,« sage ich, »der Alte will dich an den Beinen aufhängen, weil du nichts tust als Schlendrian treiben.«
Sie lacht in die Bäume hinauf und boxt mir mit der geballten Faust vor die Brust.
»Spaßig, wenn du lachst, kriegst