Dr. Norden Jubiläumsbox 7 – Arztroman. Patricia Vandenberg
weiß ich, aber halten Sie hier mal bitte, ich möchte nur etwas nachsehen.«
Das Haus war unverändert, die Briefkästen mit den Namen auch. »M. Steiner«, da stand ihr Name, wie früher, aber der Briefkasten war voll.
Parterre rechts wohnte der Hausverwalter, ganz mechanisch drückte er auf die Klingel. Ein junges Mädchen öffnete die Tür. »Sie wünschen?« fragte es mürrisch.
»Ich sehe gerade, daß der Briefkasten von Frau Steiner nicht geleert ist. Ist sie nicht da?« fragte Dirk.
»Wen interessiert denn das?« Es klang herausfordernd.
»Mich zum Beispiel, ich wollte Frau Steiner besuchen. Ich komme aus dem Ausland.«
»Dann wissen Sie nicht, daß Frau Steiner in der Klinik liegt? Aber mehr kann ich Ihnen auch dazu nicht sagen. Sie ist den dritten Tag weg, hat uns aber nicht angeschafft, die Post herauszunehmen.«
»Können Sie mir sagen, was ihr fehlt?«
»Kann ich nicht, aber die Polizei untersucht es.«
»Die Polizei«, wiederholte Dirk, ohne es zu wollen.
Dann stieg er in das Taxi und ließ sich zum Hotel fahren. Ein schönes Appartement war für ihn reserviert. Vom Fenster aus konnte er auf den Park mit seinen Sportanlagen schauen. Er erinnerte sich wehmütig, daß er im vorigen Jahr mit Malena auf dem See Schlittschuh gelaufen war. Wie verliebt waren sie gewesen! Und jetzt sollte sie mit einer Frau liiert sein? Er konnte es sich nicht vorstellen, obgleich er sonst ein toleranter Mensch war.
Er duschte, kleidete sich um und nahm ein Essen im Speisesaal ein, der noch gut besucht war.
Er achtete nicht auf die anderen Gäste und schrak zusammen, als plötzlich jemand am Tisch stand. »Dirk Ambach, sehe ich recht? Wo kommst du denn her, alter Junge?«
Es war Jens Karsten, ein früherer Kollege.
»Heute aus Australien zurück«, erwiderte Dirk, »nett dich zu sehen. Willst du dich zu mir setzen, oder bist du in Begleitung?«
»Mal wieder Single nach dem dritten mißglückten Anlauf. Und du? Du warst doch fest verbandelt?«
»Es scheint alles vergänglich zu sein. Wie geht es in der Firma?« lenkte Dirk ab.
»Ich bin schon drei Monate nicht mehr da. Nachdem der Chef zurückkam, war er völlig verändert. Weiß der Himmel, was für eine Krankheit er hatte, ich bin jedenfalls nicht mehr klargekommen mit ihm. Ich habe die erstbeste Gelegenheit ergriffen, mich zu verändern. Es geht mir jetzt besser denn je, aber Malena hat durchgehalten wie es scheint. Wieso seid ihr nicht mehr zusammen?«
»Frag sie.« Dirk hatte keine Lust, darüber zu sprechen. »Ich bleibe nicht hier.«
»Du warst doch sehr mit Allwoerden befreundet. Was ist eigentlich mit ihm los? Was war das für eine Operation?«
»Ich weiß nichts von einer Operation.«
Manchmal war es ganz gut, ein bißchen Klatsch zu hören. Er wollte den andern auch nicht bremsen.
»Er hat doch Urlaub auf Sizilien gemacht und mußte in Palermo operiert werden. Dann kam er mit der flotten Nadine zurück. Sag bloß, du weißt auch davon nichts.«
»Richtig geraten, ich weiß davon nichts, ich saß in einer supermodernen Fabrik und lernte Teamgeist.«
»Den gab es bei uns seit Monaten nicht mehr.«
»Eigentlich überhaupt nicht. In jeder Abteilung saß einer oder auch zwei, die aus der Reihe tanzten.«
»Und dann wurde die Atmosphäre unerträglich. Mich geht’s ja nichts mehr an, aber wie es aussieht, gibt es bald den großen Knall.«
»Ich kann das nicht verstehen. Gut, Konni war zu tolerant, aber er hatte die Firma im Griff.«
»Jetzt ist er nicht mehr tolerant und hat die Firma nicht mehr im Griff. Nadine ist eines mysteriösen Todes gestorben, Malena soll vergiftet worden sein…«
»Was sagst du da?« fiel ihm Dirk erregt ins Wort.
»Sie ist nicht tot, aber gleichgültig scheint sie dir doch nicht zu sein. Gemunkelt wird viel, nichts Genaues weiß man nicht. Mich geht’s ja nichts mehr an, aber ich möchte schon wissen, wie es weitergehen wird. Du solltest wirklich mal mit Allwoerden reden.«
»Das werde ich auch. Weißt du, in welcher Klinik Malena liegt?«
Jens Karsten warf ihm einen schrägen Blick zu. »Ihr wart ein tolles Paar, du hättest nicht weggehen sollen. Aber es gab keinen andern, soviel ich weiß. Man hört doch noch so manches.«
»Ja, es wird viel geredet«, meinte Dirk, und dann war er froh, als sich Jens endlich verabschiedete.
Aber er hatte noch erfahren, daß Malena in der Behnisch-Klinik lag.
Er befand sich in einem tiefen Zwiespalt, war hin- und hergerissen zwischen verletztem Stolz und der Besorgnis, was Malena widerfahren war. Sein Verstand sagte nein, sein Gefühl sagte ja, als er sich nach einer Ruhepause auf den Weg zur Behnisch-Klinik machte. Zu Fuß war es ziemlich weit, aber ihm machte das nichts aus. Die kalte Winterluft machte seinen Kopf klar.
Es war sinnlos, den Kopf in den Sand zu stecken, es war besser, sich ein für allemal Klarheit zu verschaffen. Es war ja nicht nur ein Flirt gewesen mit Malena, es war Liebe, sie hatten Zukunftspläne. Oder hatte er ihr das nicht deutlich genug zu verstehen gegeben?
Für ihn war alles gut und richtig gewesen, und er hatte gemeint, sie würde genauso denken wie er. Sie waren beide nicht solche Schmusetypen, die ständig Liebesschwüre austauschten, jeden Tag x-mal ›ich liebe dich‹, sagten. Sie brauchten ihr Eigenleben und hatten ihre eigenen Ansichten, aber sie hatten nie aneinander vorbeigeredet.
Als er vor der Klinik stand, zögerte er wieder, aber dann wurde ihm die Entscheidung abgenommen, denn vom Wald her kamen Anouk und Lennart.
Anouk stutzte, und Dirk stutzte auch, aber vor allem, weil Anouk Arm in Arm mit Lennart nahte. Jetzt blieben sie ganz nahe stehen.
»Dirk«, sagte Anouk staunend.
»Dirk«, sagte auch Lennart heiser, und noch einmal »Dirk«.
Der sah ihn verblüfft an. »Kennen wir uns?« fragte er.
»Lennart van Eicken, du muß mich doch kennen.«
»Dirk kannte dich sicher unter deinem früheren Namen und mit einem anderen Gesicht, Lennart«, sagte Anouk.
»Wie soll ich das verstehen?« fragte Dirk konsterniert.
»Lennart hatte einen schweren Unfall und völligen Gedächtnisschwund«, erklärte Anouk, »und er hat auch eine Gesichtsoperation hinter sich, die ihn verändert hat. Wir suchen seinen richtigen Namen, aber vielleicht kannst du uns jetzt helfen, Dirk.«
»Ich weiß es momentan wirklich nicht. Ich mache mir Sorgen um Malena, da ich gerade erst erfahren habe, was geschehen ist. Ich bin heute aus Australien zurück.«
»Warum hast du nie geschrieben? Malena war sehr enttäuscht«, sagte Anouk.
»Sie hat mir doch per Fax mitgeteilt, daß sie keinen Kontakt mehr wünscht. Daran habe ich mich gehalten.«
»Das kann nicht stimmen«, sagte Anouk. »Sie hat immer auf eine Nachricht von dir gewartet, aber dann hat sie es aufgegeben. Ich muß es schließlich wissen, denn wir waren oft genug zusammen.«
»Da scheint so manches nicht zu stimmen«, sagte Dirk tonlos.
»Das glaube ich auch«, warf Lennart ein. »Du siehst es, Anouk, ich habe diesen Mann erkannt, aber ich werde verleugnet. Niemand will sich an mich erinnern.«
»Weißt du Dirks Nachnamen, Lennart?« fragte Anouk.
»Ambach, Dirk Ambach, er war doch mein Freund«, sagte Lennart.
»Dein Freund«, sagte Dirk und sah ihm fest in die Augen, »aber das kann doch nicht wahr