Dr. Norden Jubiläumsbox 7 – Arztroman. Patricia Vandenberg
nicht kontrollieren konnte.
Sie zündete die Kerze an, die Flamme flackerte und sie sah, wie sich Lennarts Blick darauf richtete, aber dann senkten sich seine Lider, und die Flamme wurde ganz ruhig.
»Was empfinden Sie jetzt, Lennart?« fragte sie betont.
»Ich bin weit weg und doch ganz nah. Ich fühle mich wohl und möchte immer hierbleiben.«
»An wen denken Sie dabei?«
»Sie heißt Anouk.«
O Gott, was soll das werden, ging es ihr durch den Sinn und konnte sich überhaupt nicht konzentrieren, aber er lehnte mit verklärtem Gesicht in dem Sessel, völlig entrückt. Anouk merkte, daß er sich bereits da befand, wohin sie ihn hatte bringen wollen.
»Erzählen Sie, wo Sie waren, bevor Sie hierherkamen. Anouk möchte es wissen.«
Jetzt wirkte sein Gesicht wieder düster. »Wir waren auf dem Schiff. Es war sehr heiß. Dina und Lo streiten schon wieder. Fred ist betrunken. Ich will nach Hause. Immer nur Wasser, Wasser und die Sonne brennt. Was haben sie vor.« Ein Stöhnen folgte, es war wie ein Schrei.
Anouk trat hinter den Sessel und legte ihre Hände um sein Gesicht. Sie spürte, wie das Blut in seinen Adern pulsierte und dann richtete er sich jäh auf. Schnell zog sie die Hände zurück. »Wo bin ich?« fragte er überstürzt.
»Bei mir«, erwiderte sie und ging zu ihrem Stuhl zurück.
»Bin ich eingeschlafen?« fragte er verwirrt. »Ich habe geträumt.«
»Es gehört zur Therapie, daß Sie schlafen und träumen. Sie entspannen sich, und so kommen Erinnerungen.«
»Habe ich geredet?«
»Sie haben von einem Schiff gesprochen, vom Meer und daß die Sonne brennt. Dina und Lo haben gestritten, und Fred war betrunken.«
»Dina, Lo und Fred«, murmelte er schleppend. »Es sind Schatten, ich weiß nicht, ob sie wirklich sind, ich weiß nicht, wer ich bin«, flüsterte er. Hilflos sah er Anouk an. »Können Sie sich vorstellen, wie das ist?«
»Ja, ich kann es mir vorstellen«, erwiderte sie. »Ich möchte Ihnen helfen, Lennart.«
»Ich weiß nicht, ob es gut ist, mich wiederzufinden, ich bin gern Lennart van Eicken. Der alte Herr war so gütig, Thilo wurde mein Freund. Ich hatte früher keine wahren Freunde, sonst würde mich jemand vermissen.«
Da mag er recht haben, dachte Anouk, man wollte ihn aus dem Weg räumen, aber warum? Ging es um Geld oder um eine Frau?
»Können wir morgen wieder eine Sitzung vereinbaren?« fragte sie. »Ich muß um siebzehn Uhr zu einer Besprechung. Meine Freundin wurde mit einem Betäubungsmittel außer Gefecht gesetzt. Dafür habe ich auch keine Erklärung. Sie ist jetzt in der Behnisch-Klinik. Ich werde herausfinden, wem das zuzuschreiben ist.«
»Es tut mir leid, daß Sie sich so viele Sorgen um andere machen.«
»Ich habe mir den Beruf ausgesucht, aber für Freunde ist man doch doppelt gern da.«
»Ich möchte auch ein guter Freund sein«, sagte er leise. »Ich bewundere Sie und bin sehr dankbar, daß Sie sich Zeit für mich nehmen.«
Sie schenkte ihm ein Lächeln. »Es wäre schön, wenn wir gemeinsam zu einem Erfolg kommen. Können Sie morgen vormittag kommen?«
»Ich kann mich ganz nach Ihnen richten, aber Sie können mich auch telefonisch erreichen, wenn bei Ihnen etwas dazwischen kommt.«
Sie reichte ihm die Hand. »Dann morgen, zehn Uhr?«
»Sehr gern.« Er verneigte sich tief und verabschiedete sich mit einem Handkuß.
Ganz in Gedanken versunken machte sich Anouk für ihren Besuch bei Inspektor Heller fertig. Sie konnte Lennart schon ganz gut einschätzen. Er hatte beste Umgangsformen, das lernte man nicht in kurzer Zeit, wenn die Voraussetzungen nicht gegeben waren, er war gebildet und sensibel. Plötzlich huschte er wieder mit einem anderen Gesicht an ihrem geistigen Auge vorbei, und sie hätte dieses Gesicht gern deutlicher gesehen und festgehalten. Als sie aber zum Präsidium fuhr, kam ihr der Gedanke, warum das jetzt mit Malena passieren mußte, ausgerechnet jetzt, da sie sich auch ihr widmen mußte und sich nicht allein auf Lennart konzentrieren konnte. Und nächste Woche hatte sie dann noch zwei andere Patienten.
Ich muß mich morgen mit seinen Handlinien befassen, vielleicht kann ich da mehr ersehen. Sie ahnte, daß es noch lange dauern konnte, bis er auch ein klares Bild über diese drei Namen fand, hinter der wohl auch lebendige Menschen stehen mußten. Aber was für Menschen? Seine Feinde? Alles sprach jetzt dafür.
*
Inspektor Heller hörte Anouk aufmerksam zu. Er kannte und bewunderte sie und wußte, daß sie nicht Hirngespinsten nachjagte und sich auch nicht wichtig machen wollte. Inzwischen hatte er auch von Jenny Behnisch erfahren, daß Malena mit einem sehr starken Betäubungsmittel mattgesetzt worden war, das auch anhaltende Nebenwirkungen haben konnte. Es war eine Quecksilberverbindung, die als Medikament nicht auf dem Markt war und anscheinend von einem Chemiker zusammengestellt worden war.
»Ich komme auch nicht umhin, anzunehmen, daß es mit der Absicht verabreicht wurde, ihr zu schaden«, sagte Inspektor Heller. »Vielleicht ist dieses Gift auch schon in anderen ungeklärten Fällen verwandt worden. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, daß der Firmenchef selbst die Hände im Spiel hat, um Frau Steiner loszuwerden.«
Anouk erzählte von dem Zwischenfall in dem Lokal und ihrem Mißtrauen gegen Nadine Devaine. Dabei erwähnte sie den Namen Maleski. Da horchte Heller auf.
»Das ist allerdings interessant«, sagte er. »Ein Mann dieses Namens wird mit dem Handel mit Drogen und Falschgeld in Verbindung gebracht, aber man hat doch keine Beweise gegen ihn. Und da kommt mir auch der Gedanke, daß man eine Großhandelsgesellschaft sehr gut für Schmuggelgeschäfte nutzen kann.«
»Allwoerden hatte aber immer einen guten Namen«, sagte Anouk.
»Er muß ja nicht darin verwickelt sein, wenn andere Leute die Möglichkeit haben, Transporte zweckentfremden zu können. Wir erleben da immer wieder Überraschungen. Man hält es kaum für möglich, auf was diese Gangster alles kommen. Es sind übrigens wieder große Mengen Falschgeld im Umlauf, und auch der Waffenschmuggel ist in voller Blüte. Könnte es sein, daß Ihre Freundin Wind bekommen hat von krummen Geschäften?«
»Malena hat mir nur gesagt, daß ihr Chef sich sehr verändert hat seit seiner Operation.«
»Was war das für eine Operation?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß er in Palermo operiert wurde.«
»Weiter weg ging es wohl nicht«, sagte Heller spöttisch.
»Er hat wohl auf Sizilien Urlaub gemacht, aber der scheint ihm nicht bekommen zu sein. Und diese Nadine Devaine hat sich in dem Restaurant wirklich sehr merkwürdig benommen. Ich habe gespürt, daß sie etwas gegen Malena hat.«
»Ich werde mich um diese Sache kümmern. Sie haben mich neugierig gemacht, weil Maleski da mitspielt. Es wäre eine Genugtuung, wenn dem endlich mal etwas nachzuweisen wäre.«
»Malena hat erwähnt, daß er ein Kunde von Allwoerden ist.«
»Das gibt zu denken.«
So neigte sich langsam ein weiterer ereignisreicher Tag für Anouk zu Ende, aber sie fuhr noch einmal zur Behnisch Klinik, um den Ärzten zu sagen, daß sie niemand zu Malena lassen sollten. Sie hatte plötzlich ein beklemmendes Gefühl.
*
Allwoerden war es auch nicht geheuer. Er wartete ungeduldig auf Nadine, aber er mußte lange warten. Sie war bestens gelaunt, als sie endlich zu ihm kam in seine feudale Villa, die er auch erst nach seiner Rückkehr aus Sizilien erworben hatte.
Nadine lebte die meiste Zeit bei ihm, aber pro forma hatte sie eine eigene Wohnung und darauf hatte sie aus mehreren Gründen bestanden.
»Was ist denn los,