Dr. Norden Jubiläumsbox 7 – Arztroman. Patricia Vandenberg
überhaupt noch richtig froh sein? Ich muß dich immer wieder bewundern, mit welcher Selbstverständlichkeit du alles hinnimmst.«
»Es ist keine Selbstverständlichkeit, es ist Gelassenheit. Die bekommt man, wenn man solche komplizierten Schicksale erlebt und Heilerfolge erreichen kann. Ich würde das nicht schaffen, wenn ich innerlich auch zerrissen wäre.«
»Wie soll ich mich verhalten, damit die Stimmung nicht unerträglich wird?«
»Geh vor allem ihr aus dem Wege, und wenn du von ihm brüskiert wirst, frag ihn höflich, was ihm nicht mehr an dir paßt.«
»Ich glaube, daß das zur Trennung führen würde.«
Anouk hatte nun doch nach Malenas Hand gegriffen. Schon zweimal war sie drauf und dran gewesen, hatte es dann aber bleiben lassen. Sie drehte die Hand um und betrachtete die Handlinien, was Malena nicht mal aufzufallen schien, da der Mann, mit dem Nadine gekommen war, jetzt an ihrem Tisch vorbeiging und stutzte, als er sie erkannte. Dann ging er aber schnell weiter, und Malena war abgelenkt, als Anouk sagte: »In ein paar Wochen wird alles wieder bessergehen. Halte die Stellung und die Augen offen, und von Dirk wirst du auch bald hören.«
»Wenn du es sagst«, meinte Malena mit einem Seufzer. »Die Worte hörte ich schon, allein mir fehlt der Glaube.«
»Positives Denken ist aber wichtig, sehr wichtig sogar. Vielleicht ist Allwoerden ein kranker Mann und deshalb so verändert. Du sagtest doch, daß er ziemlich lange in der Klinik war.«
»Vier Wochen und dazu so weit entfernt von allem. Als er zurückkam, schien es, als müsse er alles neu begreifen.« Malena griff sich an die Stirn. »Ja, es könnte tatsächlich sein, daß er immer noch krank ist, möglicherweise unheilbar?« Ihre Stimme klang fremd. »Und dann diese Frau, früher hätte er sich mit solcher nicht sehen lassen.«
Ob sie eifersüchtig ist, überlegte Anouk. Vielleicht hat sie viel mehr für ihn übrig, als sie zeigen wollte.
Sie sah Malena forschend an. Aus der Hand konnte sie das allerdings nicht lesen. Da war manches noch nicht ausgeprägt, und für Anouk war das ein Zeichen, daß Malena ihrer Gefühle noch nicht sicher war.
»Dieser Maleski ist gegangen, er scheint nicht zurückzukommen«, sagte Malena mehr zu sich selbst.
»Dann geht sie womöglich auch bald«, meinte Anouk. »Ich würde mich nicht mehr verstecken, Malena. Dazu hast du keinen Grund. Mal abwarten, wie sie sich dann verhält.«
Das erlebten sie bald. Nadine wurde vom Geschäftsführer begleitet, als sie den Nebenraum verließ, und sie bedachte ihn gerade mit einem verführerischen Lächeln. Dann erkannte sie Malena und erstarrte. Aber das war in Sekundenschnelle vorbei, und sie kam an den Tisch getänzelt.
»Welch ein Zufall, Sie hier zu treffen – wie heißen Sie doch gleich?«
»Steiner«, erwiderte Malena spöttisch. »Wir sind sehr häufig hier, wie Ihnen Herr Lange bestätigen kann.«
»Was ich gerne tue«, sagte dieser.
»Wir haben eine kleine interne Feier besprochen«, erklärte Nadine. »Sie werden sicher auch eingeladen, Frau Steiner. Es sollte darüber aber noch Stillschweigen bewahrt werden.«
Wenn sie darauf eine Versicherung erwartete, wurde sie enttäuscht. Malena kam es zu blöd vor, eine Verlegenheitsausrede überhaupt nur zur Kenntnis zu nehmen. Aber es zeugte von Nadines Unsicherheit, daß sie sich dazu veranlaßt sah.
»Ich meine, es soll eine Überraschung für Ihren Boß sein«, sagte sie betont.
»Okay, ich habe verstanden«, erwiderte Malena kühl.
»Es freut mich, daß Ihnen dieses Lokal auch zusagt. Einen schönen Abend wünsche ich.«
»Muh, muh«, machte Malena, als sie verschwunden war.
Anouk lachte leise.
Dann aber meinte sie nachdenklich, daß Nadine sehr besorgt sei, Allwoerden könnte etwas von ihrem Date erfahren.
»Das denke ich auch«, stellte Malena sarkastisch fest. »Da ist etwas faul. Dieser Maleski ist ein Schlitzohr, soviel Menschenkenntnis besitze ich auch.«
Sie tranken noch einen Espresso, dann machten sie sich auf den Heimweg.
*
Daniel Norden führte ein langes Telefongespräch mit Professor Röttgen, der ihm schilderte, wie Lennart aufgefunden und behandelt worden war.
»Er soll Ihnen jetzt meinen ausführlichen Bericht geben«, sagte Röttgen. »Ich möchte gern wissen, was Sie jetzt mit ihm vorhaben. Daniel deutete ihm an, daß er Lennart von Anouk therapieren lassen wollte, aber er verriet nichts von deren eigenwilliger Methode.
Er erwähnte das Frage- und Antwort-Spiel und sagte, daß er annehme, daß Lennart länger in München gelebt hätte.
»Und vielleicht ist er doch mal mit der Polizei in Berührung gekommen, und wir könnten auf diese Weise weiterkommen. Ich will ihn natürlich nicht vor den Kopf stoßen, aber er macht einen sehr vernünftigen Eindruck. Wie kam es denn zu der Adoption durch van Eicken?«
»Der alte Herr war mein Patient, ein Menschenfreund. Ich habe mit ihm über den armen Burschen gesprochen, und es war seine Idee, ihm seinen Namen zu vermachen. Außerdem auch ein ganz hübsches Vermögen, das ihm einen guten Start bietet. Er meinte, daß so doch etwas von ihm zurückbliebe. Er ist bald darauf gestorben, mit einem zufriedenen Lächeln.«
»Es wird ihm gedankt werden. Ich hoffe nur, daß sein Schicksal nicht im Dunkel bleibt.«
Fee massierte ihm die Schultern, als er das Telefonat beendet hatte, was ihm sehr gefiel.
»Glaubst du, daß Anouk etwas erreicht?« fragte Fee.
»Etwas ganz sicher, aber mit der Zeit wird er sich selbst an so manches erinnern, davon bin ich überzeugt. Vielleicht in den Bergen, wenn Schnee ist. Er weiß, daß er gern Ski gefahren ist. Das kam ganz spontan. Er hat Angst vor salzigem Wasser, weil es sein Gesicht zerfressen hat.«
»Du meinst, das Wasser war schuld?«
»Kannst du dir vorstellen, was Salzwasser anrichten kann, wenn die Haut dann auch noch glühender Sonne ausgesetzt ist? Er muß lange im Wasser gewesen sein.«
»Aber er kann doch nicht lange geschwommen sein«, meinte Fee.
»Laß mich mal kombinieren. Er könnte an Bord eines größeren Schiffes gewesen sein. Er hat mit jemand gekämpft, das verraten seine Wunden, und vielleicht konnte er mit einem Rettungsboot fliehen.«
»Das sind schreckliche Gedanken.«
»Er hat bestimmt Schreckliches durchgemacht, aber er ist stark und wird damit fertig werden.«
»Dann hoffen wir auf Anouk.«
»So ist es, mein Schatz.«
*
Schon am nächsten Tag bat er Anouk um ein Gespräch, und sie war auch sofort dazu bereit. Als er ihr sagte, daß es um Lennart gehe, nickte sie.
»Ich dachte es mir«, sagte sie.
Er brauchte nicht viel zu sagen. »Ich finde schon alles selbst heraus«, erklärte sie. »Ich habe freie Hand?«
»Selbstverständlich. Sie können alles versuchen, womit er einverstanden ist.«
Das nahm sie mit einem geheimnisvollen Lächeln zur Kenntnis. Dann fragte sie, wann Lennart Zeit hätte.
»Immer, er kann sich ganz nach Ihnen richten, Anouk. Die Therapiesitzungen finden doch sicher bei Ihnen statt.«
Sie nickte. »Sagen Sie mir nur kurz Bescheid, wann er bereit ist.«
»So bald wie möglich, wie ich ihn einschätze. Ich rufe ihn an, er wohnt bei Frau Horten.«
»Frau Horten ist mir bekannt«, sagte Anouk stockend.
»Sie ist die Schwester von Professor Röttgen,