Lost Merkel. Bernd Zeller
Lost Merkel
Seit 1993 ist Bernd Zeller (*1966) Zeichner und Karikaturist u. a. für zitty/Berlin, Die Welt, Süddeutsche Zeitung, Berliner Zeitung, Eulenspiegel, Thüringer Allgemeine und Focus. Parallel schreibt er seit 1994 als Gag-Autor für Late-Night-Shows, insbesondere die Harald Schmidt-Show. 1999 folgte ein Intermezzo als Eulenspiegel-Redakteur. 2000 war er Titanic-Redakteur mit anschließender fester freier Mitarbeit. 2004 unternahm er die Wiedergründung der renommierten Satirezeitschrift pardon, deren Herausgeber er bis 2007 war. Ausstellungen seiner stets frech-subversiven Werke fanden im Thüringer Landtag und im Greizer Satirikum statt. Mehrere Ausstellungsbeteiligungen folgten, wie die Caricatura Kassel.
Bernd Zeller
LOST MERKEL
Die verrückte
Entführung der
unheimlichen
Kanzlerin
1. Bernd Zeller: Lost Merkel.
Die verrückte Entführung der unheimlichen Kanzlerin
1. Aufl. 2013, ISBN 978-3-932927-56-0
1. Aufl. 2013, eISBN 978-3-932927-57-7 (epub)
1. Auflage 2013 / Originalausgabe
© SOLIBRO® Verlag, Münster 2013
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung:
Bernd Zeller, Jena (Zeichnungen) / Wolfgang Neumann, Münster Foto des Autors: © privat
Illustrationen Innenteil: Bernd Zeller, Jena
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„Wer sich seiner Existenz in einer makaberen Welt bewusst ist, weiß ohnehin, dass ein Humor, der sie erträglich macht, seinerseits makaber sein muss.“
Constanze Alt, Ostthüringer Zeitung
Eine Regierungschefin verschwindet nicht einfach so von der Erdoberfläche.
Wenn man mich fragen würde, ob ich erwartet hätte, mit dem Fall betraut zu werden, müsste ich sagen: Ja, von Anfang an. Und ich hatte nie an etwas anderes als eine Entführung geglaubt. Als in den amtlichen Verlautbarungen von einer Bronchitis der Kanzlerin die Rede war, durch die sie gezwungen wäre, alle Termine abzusagen, sollte das zu offensichtlich nach Burn-out aussehen. Und vielleicht hofften diejenigen, die sich darauf versteiften, tatsächlich, Angela Merkel sei bloß mal entflohen und bade inkognito in der Ostsee, bis sie nach ein paar Tagen wieder da ist, als wäre sie nie weg gewesen.
Nein, nicht die Bundeskanzlerin. Wenn es wie eine Entführung aussieht, dann ist es eine, und man würde eine Detektivin wie mich benötigen, also mich.
Ich sehe recht gut aus für mein Alter, was auch so bleiben wird in nächster Zeit. Heutzutage sind ja alle zehn Jahre älter, als sie aussehen. Ich habe den Vorteil, dass ich wirklich noch nicht vierzig bin und bestens in Form. Ich bin verheiratet, mein Ehemann ist pensioniert. Ich habe Zeit und Mittel und genügend Durchhaltevermögen. Was mich zum Detektivberuf qualifiziert, ist nicht das Übliche wie Diskretion, das können alle, ich verfüge über die seltene Fähigkeit, überall einfach so dabei zu sein. Ich falle auf und erwecke sogleich Desinteresse, verschwinde aus der Wahrnehmung, deshalb bin ich in der Lage, Informationen einzusammeln, ohne dass es als Abschöpfungsarbeit bemerkt wird.
Als das Bundespresseamt das von zwei Autoren verfasste Tagebuch von Merkels Ehemann herausgab, das in seiner harmlosen Langweiligkeit suggerieren sollte: „Alles entspannt, kein Grund zur Sorge!“, war klar: Die Lage ist ernst. Nachdem im Polit- und Medien-Berlin Zweifel an der heimlichen, nie ausgesprochenen Version vom Erschöpfungssyndrom der Kanzlerin kursierten und die Fehltage an die Öffentlichkeit zu gelangen drohten, klingelte mein Telefon, und ich hörte am Ton, dass jemand nicht meine bekannte, sondern die mehrfach codierte geheime Nummer gewählt hatte. Der Klingelton ist die Melodie von John Cages 4’33“.
„Hier ist Bettina Wulff, Privatdetektivin, was kann ich für Sie tun?“
„Es gibt Probleme.“ Ich erkannte die Stimme von Wolfgang Schäuble. „Wir haben ein Erpresserfoto. Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen, nämlich dass sie noch lebt.“
Ich ließ ihn kurz schmoren, dann sagte ich: „Sie kennen meine Honorarsätze, Herr Minister.“
„Ja, deswegen rufe ja ich an und nicht der Innenminister. Können Sie als genehmigt ansehen.“
„Ich komme.“
Eigentlich hätte ich fragen müssen, zu wem und wohin ich kommen sollte, aber so wirkte es einfach viel cooler. Ich besorgte einen Blumenstrauß an der Tankstelle und ging zu Fuß zum Kanzleramt. „Ich mache einen Krankenbesuch“, sagte ich und wurde durchgelassen von den wachhabenden Fotografen, denen ich noch das Statement abgab, die Kanzlerin habe mich persönlich um diesen – ich hielt ein Fläschchen aus meiner Handtasche in die Kameras – Hustensaft gebeten.
Wie ich erwartet hatte, kam Schäuble mir entgegen und bat mich in einen wie ein Wohnzimmer eingerichteten Konferenzraum. Die Wände waren mit Euro-Scheinen tapeziert. Ich verstand, dass das keine Verschwendung war, sondern die beste Möglichkeit, sie nicht auszugeben. „Sie möchten das Foto sehen, nehme ich an“, sagte er und zog ein Bild aus seinem Aktenordner.
„Oh Gott, die haben sie ja übel zugerichtet!“, entfuhr es mir.
„Nein, das ist nicht das Erpresserfoto“, korrigierte er mich, „das ist ihre Autogrammkarte. Nur zum Vergleich. Das hier lag heute im Briefkasten.“
Auf dem Bild war Angela Merkel gefesselt an einen Stuhl zu sehen, vor einer holzvertäfelten Wand. Das Foto war ein Digitalabzug, wie man ihn in Drogeriemärkten am Selbstbedienungsautomaten macht. Mein Blick tastete es ab. „Keine Fingerabdrücke, vermute ich? Man könnte sicherlich bestimmen, wo das ausgedruckt wurde. Wichtiger ist, hat man überprüft, ob das Foto nachbearbeitet wurde?“
„Sehr wahrscheinlich sind keine Montagen vorgenommen worden“, sagte Schäuble, „sie sitzt offenbar wirklich so da, wie es zu sehen ist. Ihr Gesicht ist wohl etwas aufgehellt, die Schweißflecke sind weggenommen worden, um die Augen herum – na das sehen Sie ja.“ Die Fältchen waren weichgezeichnet. „Wir halten das für einen Teil der Botschaft“, erklärte er weiter, „in der Art: Wir meinen es gut, wenn passiert, was wir wollen. Weiter gab es nichts.“
Clever ist Schäuble, dachte ich. Aber interessanter ist, was er nicht gesagt hat. Er hat keinen Verdacht geäußert, denn das hätte nur so ausgesehen, als wollte er von sich selbst ablenken. Das heißt aber, er hat einen Verdacht, will aber, dass ich allein darauf komme.
„Dann wäre das erst einmal alles, was ich brauche. Auf Wiedersehen, Herr Schäuble.“
Er stutzte kurz, dann erwiderte er: „Ach ja richtig, auf Wiedersehen, ich habe ganz vergessen, dass Sie noch da sind.“
Das ging ja schnell bei ihm, die meisten brauchen weitaus länger, bis sie mich nicht mehr bemerken. Ich erhob mich und wandte mich zur Tür.
„Ach eine Kleinigkeit wäre da noch“, rief Schäuble mir nach. „Sie bekommen Verstärkung, einen Assistenten, der zu uns