Lost Merkel. Bernd Zeller

Lost Merkel - Bernd  Zeller


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auch niemand gesagt, dass er arbeitet.“

      „Ungleiches Paar“, willigte ich ein.

      Er nahm seine Hände aus der bekannten schäubleschen Erklärposition, um nachzusetzen: „Und danke, dass Sie Euros akzeptieren.“

      „Sollen wir die Überwachungsvideos wirklich noch einmal anschauen?“ Mein Assistent pumpte sich noch eine Tasse Kaffee aus der Kanne. Ich hatte den jungen Mann von Innenminister Friedrich ausgehändigt bekommen, der dazu nicht einmal seine Lockenwickler ablegte. „Einer unserer fähigsten Leute aus dem Arbeitsministerium, die gerade abkömmlich sind“, sagte er nur, dann bat er uns, dass wir die Videos anschauen, auf denen Angela Merkel vermutlich zum letzten Mal zu sehen war. Genauer gesagt zum letzten Mal bislang, denn wir gehen davon aus, dass wir sie wiedersehen. Wie üblich meinen wir mit „wir gehen davon aus“ eine Annahme, die wir nicht begründen können und von der wir einfachheitshalber ausgehen.

      Das hatte ich befürchtet, wir würden die Videos wieder und wieder ansehen und auf jedes Detail achten müssen, um vielleicht etwas Ungewöhnliches zu bemerken, vielleicht aber auch völlig vergeblich. „Wie oft haben wir die jetzt schon durchlaufen lassen?“, fragte ich genervt.

      Mein Assistent stöhnte: „Einmal.“

      „Kam mir öfter vor. Ja natürlich schauen wir sie noch mal an“, ordnete ich an, „vielleicht finden wir ja beim zweiten Mal was.“ Auch ich goss mir Kaffee nach.

      Die Bilder zeigten Besucher im Kanzleramt am Tag der offenen Tür. Gar keine schlechte Idee, eine Entführung gerade dann vorzunehmen, wenn die Sicherheitsvorkehrungen zwar hoch, aber ebenso durchgeplant und somit berechenbar sind. Wer hier eine Schwachstelle entdeckt, hat sein Ziel fast erreicht.

      Eine Person unter den Besuchern verhielt sich äußerst auffällig, sprach die anderen an und schien ihnen etwas erzählen zu wollen. Es handelte sich um Peer Steinbrück, der den Tag der offenen Tür nutzte, einfach dort zu sein und zu repräsentieren.

      „Oder wir gehen die Sicherheitsmaßnahmen durch und suchen nach der Lücke, die ...“, wollte mein Assistent ausführen, doch in dem Moment, als ich ihm fast schon zustimmen wollte, fuhr ich auf. „Da!“

      „Oh Chefin, wie konnten wir das nur übersehen.“ Dann fügte er hinzu: „Sie sind brillant.“

      Er trug sein Smartphone am linken Unterarm wie eine Uhr mit Metallarmband. „Ich muss Bericht erstatten, unsere erste Erfolgsmeldung. Möchten Sie die Voice-mail sprechen?“

      Ich überließ es ihm. Er bewegte den Finger auf dem Display, dann sprach er. Auf dem Video ist unter den Besuchern eine vollverschleierte Frau zu sehen, die mit den anderen das Haus verlässt. Hereingekommen aber ist keine solche Person. Weshalb wir ganz sicher sind, dass es sich hierbei um niemand anderen als Objekt A handelt (so ist das Kennwort für die Kanzlerin in unserem Fall), liegt an dem Mann in ihrer Begleitung, der ebenfalls verkleidet ist, und zwar wie ein saudi-arabischer Scheich. So einen kontrolliert natürlich niemand, der kann sich völlig frei bewegen, die verschleierte Frau ebenso, doch jetzt kommt’s: Er geht zwei Schritte hinter ihr.

      So also gelang es dem Entführer, Objekt A zu bedrohen und sie, die keinen diplomatischen Eklat riskieren wollte, aus dem Kanzleramt völlig unbemerkt und unverdächtig herauszuschleusen.

      Draußen verloren sich ihre Spuren. Im Gesicht meines Assistenten löste sich die Anspannung etwas. „Wenigstens geht es schon mal mit rechten Dingen zu, wenn sich eine Kanzlerin scheinbar in Luft auflöst“, stellte er fest.

      Ich dachte nach. Was tut jemand, der die Kanzlerin gerade erfolgreich aus dem Amt entwendet hat? Die Fesseln auf dem Foto dienten weniger dazu, sie festzuhalten, als der Signalwirkung.

      „Sie müssen schon sagen, was sie denken“, merkte mein Assistent an, „sonst kann ich nicht assistieren.“

      „Mir scheint der Schlüssel für die Tat das Motiv zu sein. Denn darüber haben uns die Kidnapper noch gar nichts verraten. Ich schätze, sie wissen sehr wohl, dass sie sich im Motiv zu erkennen geben würden. Entweder ist es dazu noch zu früh, oder Motiv und Täter sollen im Dunkeln bleiben.“

      Er stimmte zu: „Also kein typischer Terrorakt mit Forderungen.“

      „So sieht es aus. Wir müssen an alles Untypische denken. Es kann der Anfang einer Serie sein, und die Forderungen kommen später. Oder auch der irrationale Akt basierend auf einem herkömmlichen Motiv. Wer könnte sich an der Kanzlerin rächen wollen?“

      „Na, Sie zum Beispiel. Ihr Mann. Schon vergessen?“

      „Stimmt. Aber wir haben sie nicht.“

      „Das glaube ich Ihnen“, räumte er ein. „Sonst hätten Sie abgestritten, ein Motiv zu haben. So stark ist es ja auch wieder nicht, sie hat euch befördert, um euch loszuwerden. Ein gewöhnlicher politischer Vorgang.“

      „Jetzt sind Sie brillant. Vielleicht sind wir gar nicht so ungleich, wie es gemeint war.“

      Zur selben Zeit, an einem anderen Ort, was ich damals natürlich noch nicht wusste, beugte sich eine Gestalt aus dem Schatten vor das Gesicht der Kanzlerin. „Braves Mädchen, du warst böse“, brummte seine Stimme.

      „Ja“, stammelte Merkel hervor.

      „Habe ich dir befohlen, ja zu sagen?“ Er wurde lauter.

      „Nein“, sagte sie.

      „Und habe ich dir befohlen zu antworten?“

      „Implizit schon, mit der Frage.“

      Er nahm einen Faden Zahnseide und zog ihn langsam zwischen Angela Merkels Lippen hin und her. „Künftig werde ich dich jedes Mal versohlen, wenn du so etwas tust, verstanden? Und jetzt bestrafe ich dich, weil du die Mundwinkel heruntergezogen hast.“

      Sekunden später knöpfte er ganz langsam ihr Hosenanzugoberteil auf. „Das nächste Mal werde ich dich richtig hart rannehmen.“

      „Das ist ein eindeutiger Rechtsbruch“, begehrte Merkel auf. Im selben Moment erschallte seine Stimme wie ein Donner: „Rechtsbruch? Was höre ich da? Und was ist mit der Zentralbank, dem Euro, den Griechenlandmilliarden?“

      „Ach, darum geht’s hier. Weil die Zinsen unten sind, weil die Spareinlagen für die Eurorettung nach Griechenland gehen. Tja, dann bin ich im europäischen Interesse hier.“

      „Nein, darum geht es nicht! Du bist hier, weil ich dich kontrolliere! Weil du in meiner Macht bist!“ Schwer atmend ließ er sich sinken und rieb sein Gesicht in ihrem Haar.

      Mein Assistent hatte auf seinem Display ein Glas Bier skizziert und mir auf mein Pad gesendet. Ich nickte zu ihm herüber. „Es ist ganz gut, wenn wir Unterbrechungen machen. Da hat man das Gefühl, etwas geschafft zu haben, und das braucht man gerade bei einem nicht absehbaren Pensum.“ So verlangt es zumindest die Detektivgewerkschaft für den Fall, dass man nicht die gesamte Zeit über Whiskey einnimmt.

      Wir fuhren mit dem Lift in die U-Bahn-Station unter dem Kanzleramt. Die Linie ist mit dem restlichen U-Bahn-Netz verbunden, aber nicht auf den Plänen verzeichnet.

      „Eines müssten wir noch klären“, wandte ich mich zu ihm. „Mir ist klar, Sie sind zu meiner Kontrolle eingesetzt. Aber ist Ihre Aufgabe eventuell auch, mich gegebenenfalls zu behindern? Etwa, wenn es unangenehm wird für einige Ihrer Chefs?“

      „Ich habe diese Frage erwartet“, entgegnete er nachdenklich. „Und wissen Sie was? Ich habe sie mir auch schon gestellt. Ich habe keinen dahingehend ausformulierten Auftrag. Aber wird mir denn alles gesagt? Genaugenommen haben wir beide gar keinen bestimmten Auftrag. Den Fall lösen, was heißt das denn? Objekt A wiederfinden? Die Befreiung ermöglichen? Oder nur die Schuldigen ausfindig machen? Sind wir womöglich die Alibi-Veranstaltung, und Objekt A soll überhaupt nicht wieder auftauchen?“

      Da


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