Südwärts. Ernest Henry Shackleton
Der Fockmast ist wie bei einer Bark rahgetakelt, die beiden hinteren Masten tragen die Schratsegel eines Schoners.
5Dreifach-Expansionsmaschine: Dampfmaschine, deren Wirkungsgrad durch die Expansion des einströmenden Dampfes erhöht wird. Bei Mehrfach-Expansionsdampfmaschinen sind mehrere Zylinder zu einer Verbunddampfmaschine hintereinander gereiht.
6Knoten: Die Geschwindigkeit von einem Knoten entspricht 1 Seemeile (1,852 km) pro Stunde.
7Tonnen: Einheit zur Bezeichnung von Schiffsgrößen, die je nach Berechnungsart unterschiedlich ausfallen kann.
8Sir Douglas Mawson, 1882–1958, australischer Geologe und Antarktisforscher. Hatte unter Shackleton an der »Nimrod«-Expedition (1907–09) teilgenommen.
9Seiner Majestät: George V., regierte von 1910–1936, pflegte eine Leidenschaft für den Segelsport, nahm selbst aktiv an Regatten – auch der Cowes Week – teil. Auf seinen Wunsch hin wurde seine Segelyacht nach seinem Tod vor der Isle of Wight von einem Kriegsschiff versenkt.
10Cowes Week: Segelregatta, die seit 1826 jährlich im August ausgetragen wird; benannt nach der Hafenstadt Cowes auf der Isle of Wight.
KAPITEL 1
Ins Weddellmeer
Ich beschloss, Südgeorgien um den 5. Dezember herum zu verlassen, und ging bis dahin als letzte Vorbereitung nochmals die Pläne für die Fahrt zu den Winterquartieren durch. Welch einen Empfang würde uns das Weddellmeer bereiten? Die Kapitäne der Walfänger in Südgeorgien gaben mir bereitwillig Auskunft über die Gewässer, in denen sie ihrem Gewerbe nachgingen. Sie bestätigten zuvor erlangte Informationen über die extrem schwierigen Eisverhältnisse in diesem Teil der Antarktis und gaben zudem noch weitere wertvolle Ratschläge.
Es scheint angebracht, hier kurz die Überlegungen wiederzugeben, die mich zu diesem Zeitpunkt und in den folgenden Wochen beschäftigten. Ich wusste, dass das Eis in diesem Jahr weit nach Norden vorgedrungen war, und entschied, nachdem ich die Ratschläge der Walfangkapitäne eingeholt hatte, die Südlichen Sandwichinseln anzusteuern, Süd-Thule zu umfahren und uns bis zum 15. Grad westlicher Länge ostwärts vorzuarbeiten, bevor wir Richtung Süden stießen. Die Walfänger betonten, wie schwierig es sei, bei den Südlichen Sandwichinseln durch das Eis zu kommen. Sie berichteten, dass sie selbst im Sommer Eisschollen bei den Inseln gesichtet hätten, und vermuteten, die Expedition müsse sich durch dichtes Packeis kämpfen, um ins Weddellmeer zu gelangen. Die beste Zeit für eine Fahrt ins Weddellmeer sei Ende Februar oder Anfang März. Die Walfänger hatten die Südlichen Sandwichinseln umfahren und waren mit den Bedingungen dort vertraut. Ihre Vorhersagen veranlassten mich, eine Deckladung Kohle zu übernehmen, denn wenn wir uns mühsam unseren Weg zum Coatsland bahnen mussten, würden wir jede Tonne Brennstoff brauchen, die das Schiff tragen konnte.
Ich hoffte, das Vordringen bis zum 15. westlichen Längengrad werde uns ermöglichen, durch dünneres Eis in den Süden zu gelangen, Coatsland anzusteuern und letztlich die Vahselbucht zu erreichen, wo Filchner11 1912 seinen Landungsversuch unternahm. Zwei Überlegungen gingen mir bei diesem Stand der Dinge durch den Kopf. Ich war aus bestimmten Gründen bestrebt, die Endurance im Weddellmeer überwintern zu lassen, aber es konnte sehr schwierig werden, einen sicheren Hafen zu finden. Ließ sich kein sicherer Hafen finden, müsste das Schiff in Südgeorgien überwintern. Es schien mir jetzt kaum Hoffnung, die Querung des Kontinents in diesem ersten Sommer durchführen zu können, da die Jahreszeit bereits weit vorangeschritten war und die Eisbedingungen sich wahrscheinlich als ungünstig erweisen würden. In Hinblick auf die Möglichkeit, mit dem Schiff im Eis zu überwintern, besorgten wir uns aus den Lagern der verschiedenen Stationen in Südgeorgien noch zusätzliche Kleidung.
Die andere Frage, die mir Kopfzerbrechen bereitete, betraf die Größe der Gruppe, die an Land gehen sollte. Wenn das Schiff während des Winters ausfahren müsste oder vom Winterquartier weggetrieben würde, wäre es von Vorteil, eine kleinere, sorgfältig ausgesuchte Gruppe von Männern an Land zu haben, nachdem die Schutzhütten gebaut und die Vorräte verstaut waren. Diese Männer könnten bereits aus eigener Kraft Depots anlegen und kurze Touren mit den Hunden unternehmen, um mit ihnen für den langen ersten Marsch im nächsten Frühjahr zu üben. Die Mehrzahl der Wissenschaftler würde an Bord bleiben, wo sie ihre Arbeiten unter guten Bedingungen durchführen könnten. Sie wären bei Bedarf in der Lage, kurze Ausflüge zu unternehmen, mit der Endurance als Station. All diese Pläne gründeten auf der Annahme, dass es wahrscheinlich schwierig werden würde, ein Winterquartier zu finden. Wenn sich auf dem Festland ein wirklich sicheres Basislager errichten ließe, würde ich an dem ursprünglichen Plan festhalten, eine Gruppe Richtung Süden zu senden, eine Richtung Westen, um die Bucht des Weddellmeeres herum zum Grahamland, und eine Richtung Osten zum Enderbyland.
Wir hatten alle Einzelheiten ausgearbeitet, was Entfernungen, Routen, notwendige Vorräte und so weiter betraf. Der Proviant für die Schlitten war perfekt eingeteilt, ein Ergebnis sowohl aus Erfahrungen als auch genauester Untersuchungen. Die Hunde ließen hoffen, nach etwas Übung mit beladenem Schlitten täglich etwa fünfzehn bis zwanzig Meilen zurücklegen zu können. Bei diesem Tempo könnte die Durchquerung des Kontinents innerhalb von hundertundzwanzig Tagen bewältigt werden, falls nichts Unvorhergesehenes dazwischenkam. Wir warteten ungeduldig auf den Tag, an dem wir diesen Marsch antreten konnten, dieses letzte große Abenteuer in der Geschichte der Erforschung des Südpols, doch das Wissen um die Schwierigkeiten, die zwischen uns und unserem Ausgangspunkt lagen, halfen, unsere Ungeduld im Zaum zu halten. Alles hing von der Landung ab. Wenn es uns gelänge, an Filchners Station anzulanden, gab es keinen Grund, warum ein Trupp erfahrener Männer dort nicht in Sicherheit überwintern können sollte. Doch das Weddellmeer war berüchtigt für seine Unwirtlichkeit, und wir wussten bereits, dass es sich uns von seiner schlechtesten Seite präsentierte. Aus seemännischer Sicht waren alle Bedingungen im Weddellmeer ungünstig. Die Winde wehten vergleichsweise schwach, so konnte sich selbst im Sommer neues Eis bilden. Das Fehlen starker Winde sorgt zusätzlich dafür, dass sich das Eis ungehindert massiv aufbauen kann. Dann treiben große Mengen von Eis unter Einfluss der vorherrschenden Strömung an der Küste entlang und füllen die Bucht des Weddellmeeres, indem sie sich in einem großen Halbkreis nordwärts bewegen. Ein Teil des Eises beschreibt sogar einen fast vollständigen Kreis und bewegt sich in kalten Jahren letztlich Richtung Südliche Sandwichinseln. Die starken Strömungen pressen die Eismassen gegen die Küste und bauen einen höheren Druck auf als irgendwo sonst in der Antarktis. Dieser Druck muss ähnlich groß sein wie der in dem gestauten Becken des Nordpolarmeeres, und ich neige zu der Ansicht, dass ein Vergleich für die Arktis sogar günstiger ausfallen würde. All diese Überlegungen hatten natürlich Auswirkungen auf unser gegenwärtiges Problem, nämlich ins Packeis vorzudringen und an der Küste des Südkontinents einen sicheren Hafen zu finden.
Dann kam der Tag der Abreise. Am 5. Dezember 1914 gab ich um 8:45 Uhr Befehl, den Anker zu lichten, und mit dem Gerassel der Ankerwinde zerbrach unsere letzte Verbindung zur Zivilisation. Der Morgen war trüb und wolkenverhangen, mit gelegentlichen Regen- und Schneeschauern, doch an Bord der Endurance waren alle frohen Mutes. Die lange Zeit der Vorbereitung war vorbei, und das Abenteuer lag vor uns.
Wir hatten gehofft, dass irgendein Dampfer aus dem Norden vor unserer Abreise Neuigkeiten vom Krieg und vielleicht Briefe aus der Heimat bringen würde. Am Abend des 4. Dezember traf ein Schiff ein, aber es brachte weder Post noch Aufschlüsse über das Weltgeschehen. Der Kapitän und die Besatzung waren alle stramm deutschfreundlich, und ihre »Nachrichten« bestanden aus unbefriedigenden Berichten über Niederlagen der Briten und Franzosen. Wir wären froh gewesen, die letzten Neuigkeiten aus einer freundlicheren Quelle erfahren zu haben. Anderthalb Jahre später erfuhren wir, dass der Dampfer Harpoon, der die Grytviken-Station versorgt, keine zwei Stunden,