Karin Bucha Staffel 2 – Liebesroman. Karin Bucha
Inhalt
Mein Herz hat nichts davon gewußt
Denken Sie an Ihren Eid, Herr Doktor
Fasching!
Tolles, ausgelassenes Treiben, übersprudelnde Lebensfreude! Gesang, Musik erfüllen die Straßen. Die Menschen sind wie umgewandelt. Alles haben sie vergessen oder wollen sie vergessen, Kummer und Sorgen, Schmerz und Herzeleid – für ein paar armselige Tage, für drei tolle Tage.
Patricia Hellberg läßt den Strom der singenden Menschen in ihren bunten, teilweise verwegenen Kostümen vorbeitreiben. Ganz fest preßt sie sich an die Hauswand. Verloren kommt sie sich inmitten der tobenden Menge vor. Längst ist das Tuch von ihrem nachtschwarzen seidigen Haar auf die Schultern geglitten. Es ist ein kostbares Tuch mit Goldfransen. Der weite Ausschnitt ihres Zigeunerkostüms läßt einen blendend weißen, schönen Hals frei. Fröstelnd zieht sie das Tuch enger um sich.
Das bunte, immer wechselnde Bild versinkt vor ihren Augen. Sie sieht sich in Gedanken wieder in der Wohnung, die sie eben erst verlassen hat. Sie sieht alles wieder deutlich vor sich:
Vom Fenster her hört sie nur schwach die Musik, das Lachen und Scherzen.
»Patricia!«
Sie zuckt zusammen und eilt an das Bett der kranken Mutter. Große fieberglänzende Augen sind voll Güte auf sie gerichtet.
»Mutti, hast du einen Wunsch?«
Patricia kniet vor dem Bett nieder und nimmt die schmale heiße Hand der Kranken in ihre Hände.
»Ja, Kind, ich habe einen Wunsch. Du solltest heute mit den anderen fröhlich sein.«
»Aber Mutti!«
»Sei still!« Eine kleine abwehrende Handbewegung läßt Patricia verstummen. Aufmerksam lauscht sie den Worten ihrer Mutter, die sie mit aller Liebe und Hingabe gepflegt hat. Sie zittert um deren Leben. Es ist der einzige Mensch, der zu ihr gehört und den sie nicht verlieren will.
»Dort in der Truhe, Kind«, Anna Hellberg weist auf die dunkeleichene Truhe, die an der Wand steht, »dort findest du ein Kostüm. Bitte, Kind, probiere es an, und dann geh für ein paar Stunden unter fröhliche Menschen.«
»Ich soll dich allein lassen? Und du, Mutti?«
Die Kranke lächelt leicht. Ihre Züge, von jahrelanger Krankheit zerstört, weisen immer noch Spuren einstiger Schönheit auf.
»Ich schlafe, Pat. Du brauchst dich nicht um mich zu sorgen, wirklich nicht. Mir geht es heute sehr gut. So wohl habe ich mich lange nicht gefühlt. Nur schlafen möchte ich.«
»Aber das geht doch nicht, Mutti! Ich kann dich doch nicht, Mutti –«
»Doch – doch«, beharrt die Kranke. »Du kannst mich allein lassen. Es geht mir gut. Ich habe keinen Wunsch, außer zu schlafen.«
Nur zögernd öffnet Pat, wie sie zärtlich von der Mutter genannt wird, die Truhe. Noch nie hat die Mutter ihr erlaubt, sie zu öffnen. Sie findet gleich obenauf ein Zigeunerkostüm. Es sieht neu aus und ist aus kostbarem Stoff angefertigt. Pats Hände tasten darüber hin. Ja, es ist ein zauberhaftes Kleid, und es sitzt wie angegossen auf ihrem schlanken Körper.
Immer noch ist die Sorge um die Kranke größer als die Versuchung, damit wegzulaufen.
»Behalt es an, Pat, bitte, ich will dich in diesem Kleid glücklich sehen.«
Wortlos dreht Pat sich dem Spiegel zu. Das soll sie sein? Dieses wunderschöne Mädchen in dem fremdländischen Kostüm, mit übergroßen samtdunklen Augen, in denen Staunen liegt?
»Leg auch den Schmuck an, Kind«, hört sie hinter sich die Mutter sagen.
Sie legt eine goldene Kette um den Hals und steckt zwei eigenartig geformte Ringe in die Ohren, die bei jeder Bewegung ihres Kopfes ein feines klingendes Geräusch von sich geben.
»Schön, Pat, komm näher.«
Wieder kniet Pat vor dem Bett. Zärtlich streicheln der Kranken Hände über den Stoff und liebkosen Pats Wangen. »Schön bist du, mein Kind.«
»Das Kleid ist sehr kostbar, Mutti.«
Die Kranke nickt und schiebt Pat von sich. »Nun geh, Pat. Sieh dir den Rosenmontagszug an. Ich bitte dich darum.«
Pat umschlingt die Mutter zärtlich.
»Du schickst mich einfach fort, Mutti, und ich habe Angst vor dem Trubel. Viel lieber möchte ich bei dir bleiben.«
»Nein, Kind, geh!« Die Stimme der Kranken klingt fest und entschieden. »Du bist so jung, bist ewig in den vier Wänden meines Krankenzimmers eingeschlossen. Einmal sollst auch du von Herzen fröhlich sein.«
Schweren Herzens hat Pat die Wohnung verlassen und sich unter die fröhliche Menge gemischt. Sie hat sich schieben und treiben lassen, gleichgültig wohin, bis sie endlich. Vor der johlenden und kreischenden Menge geflohen ist und Schutz an der Hausmauer suchte.
Pat fährt sich über die Augen. Verwirrt sieht sie sich um. Es besteht kaum eine Möglichkeit, hier herauszukommen. Und sie will heim! Sie zittert, da ein kühler Wind durch die Straßen fegt. Ein Mann im Clownkostüm mit einer riesenhaften komischen Pappnase versucht sie mit sich zu ziehen. Verzweifelt wehrt sie sich. Gellend schreit sie auf.
»Hilfe!«
Gelächter ist die Antwort. Aber dann kommt die Rettung. Ein hochgewachsener Mann steht plötzlich schützend vor Pat und verscheucht den Betrunkenen. Wie eine Mauer steht er vor ihr. Sie sieht nur seinen breiten Rücken und hat das Gefühl, in diesem Durcheinander beschützt zu sein.
Endlich dreht der Fremde sich um.
»Verzeihen Sie, schönes Kind. Mir scheint, Sie gehören nicht hierher. Außerdem frieren Sie. Darf ich Sie zu einem warmen Trunk einladen? Mir dürfen Sie sich anvertrauen.«
Fassungslos starrt Pat den Fremden an. Seine dunkle wohltönende Stimme und der zwingende Blick der grauen Augen faszinieren sie.
Sie nickt nur, und der Fremde zieht ihren Arm durch den seinen, und bald sitzt sie in einem der vornehmen Lokale, wo es auch lustig zugeht, doch viel gedämpfter und gemäßigter als draußen auf der Straße.
Mit großen Augen sieht Patricia sich um und bemerkt so nicht die forschenden Blicke des Fremden. Er glaubt noch nie ein so schönes Menschenkind gesehen zu haben. Dazu das wirklich kostbar zu nennende Kostüm, wovon er einiges versteht. Auch der Schmuck ist echt. Aber das schöne Geschöpf macht einen bescheidenen, bedrückten Eindruck.
Er