Karin Bucha Staffel 2 – Liebesroman. Karin Bucha
Er tanzt wenig, fast gar nicht. Auch das läßt sie verdrießlich werden. Er trinkt langsam sein Glas leer und raucht gedankenvoll seine Zigarette dazu.
Manchmal streift ein Seitenblick seine Begleiterin, dann verschwimmt alles vor seinen Augen, und ein anderes Antlitz taucht auf. Ein schmales Antlitz mit märchenhaften Augen, süßem Mund und kindlichem Blick. Er sieht die ganze zarte Erscheinung, die in ihm das Gefühl des Beschützers erweckt hat.
Morgen wird er sie wiedersehen! Nichts kann er mehr denken. Er gibt zerstreute Antworten und muß sich ein paarmal bei Mary entschuldigen, weil er überhaupt nicht zugehört hat.
»Du bist unausstehlich«, raunt sie ihm zu und zerknüllt das feine Spitzentuch in ihren Händen. »So langweilig habe ich dich noch nie gesehen und erlebt.«
»Ich glaube, du gehst etwas zu weit«, sagt er mit eisiger Miene. »Du suchst ein Ventil für deinen aufgespeicherten Ärger. Dazu bin ich mir zu schade. Bitte, beherrsche dich.«
»Wie sprichst du eigentlich mit mir?«
Ihre kühlen grauen Augen blitzen ihn feindselig. an. »Du bist anders, völlig verändert. So habe ich mir meinen zukünftigen Mann nicht vorgestellt «
Mit erschreckender Klarheit erkennt er: Niemals kann er Mary zu seiner Frau machen. Niemals! Er sieht ein süßes wunderschönes Antlitz vor sich das ihm alle Vernunft raubt.
»Soweit sind wir noch lange nicht«, sagt er mit schroffer Offenheit, ihr blasses Gesicht mit einem kühlen Blick streifend.
Sie lehnt sich ein wenig zu ihm: »Was willst du damit sagen, Donald? Willst du alle enttäuschen, die den berechtigten Glauben haben, in uns ein Brautpaar zu sehen?«
Fast beleidigt blickt er sie an. »Du sprichst von Menschen, denen unser persönliches Glück sehr gleichgültig ist. Ihnen geht es nur um ein glänzendes gesellschaftliches Ereignis.«
Aus weit aufgerissenen Augen sieht sie ihn an. So sehr kann sich ein Mensch verändern? War er nicht immer der höfliche, nachgiebige Mann gewesen, in dem sie, solange sie denken kann, den zukünftigen Gatten sah?
»Du – du hast es dir doch nicht etwa anders überlegt?« stößt sie erregt hervor.
Er sieht abermals das wunderschöne anschmiegsame Geschöpf vor sich und nennt sich selbst einen Feigling. Wäre jetzt nicht der gegebene Augenblick, ihr zu sagen, daß sich seine Gefühle völlig verändert haben? Aber
als er den angstvollen Blick sieht, entschließt er sich, nicht über seine wahren Gedanken zu sprechen. Was weiß er denn, was aus seiner plötzlich erwachten Liebe werden wird?
Er versucht, einen überzeugenden Klang in seine Stimme zu legen. »Du bist erregt, Mary. Wir wollen dieses Gespräch abbrechen. Es ergibt sich noch Gelegenheit genug, darüber zu sprechen.«
»Aber ich habe dein Wort«, beharrt sie eigenwillig, getrieben von der Angst, vor der Gesellschaft lächerlich gemacht zu werden.
»Natürlich hast du mein Wort, Mary«, beruhigt er sie, und sie atmet tief und schwer.
»Ich möchte schlafen gehen, Donald. Bitte, bring mich hinauf.«
Sofort erhebt er sich, und nach einem kühlen Abschied von den Bekannten Marys geht er an ihrer Seite dem Fahrstuhl zu.
Vor der Tür ihres Zimmers steht sie in einer seltsam hilflosen Haltung vor ihm.
»Gute Nacht, Mary!«
Er will ihr die Hand küssen, aber sie schlingt plötzlich leidenschaftlich die Arme um seinen Hals und preßt ihre heiße Wange gegen seine Schulter.
»Donald, du darfst mich nicht verlassen.«
»Was redest du da«, unterbricht er sie heftig.
»Doch, doch, Donald, ich fühle es. Etwas Fremdes ist zwischen uns getreten«, spricht sie hastig, die Worte fast überstürzend, zu ihm. »Den ganzen Abend spüre ich es schon. Sag mir die Wahrheit, willst du dich von mir trennen? Waren wir nicht immer gute Kameraden? Hast du nicht einmal selbst behauptet, eine gute Kameradschaft sei ein sicheres Fundament einer Ehe? Soll das alles nicht wahr gewesen sein?«
»Mary!« Seine Stimme klingt streng, und schroffer als beabsichtigt spricht er weiter, peinlich berührt von ihrer ungewohnten Leidenschaftlichkeit. »Heute ist keine günstige Gelegenheit, solche Dinge zu erörtern. Du bist beschwipst. Geh schlafen!«
Sie lehnt reglos an der Wand. Den Kopf hat sie gesenkt. Sie spürt auf einmal, daß sie sich ihm gegenüber etwas vergeben hat, was er so schnell nicht vergessen kann.
Einem Mann wirft man sich nicht an den Hals, hört sie im Geist ihre kluge Mutter sagen, und das bedrückt sie noch viel mehr.
»Nacht!« flüstert sie und huscht in ihr Zimmer.
Langsam, nachdenklich sucht auch Johnson sein Zimmer auf. Er ist nicht weniger verwirrt als Mary. Seit ein paar Stunden scheint das stabil gewesene Fundament seines Lebens ins Wanken zu geraten. Eine schöne dunkelhaarige Frau mit nachtdunklen Augen. Eine Frau? Nein! Ein junges Mädchen, über deren ganzer Erscheinung ein Hauch von Unschuld und Unberührtheit liegt, hat ihn verzaubert. Nichts anderes kann er mehr denken als: Patricia! Und morgen sehe ich sie wieder.
*
Der Morgen ist noch in dunstige Schleier gehüllt, als Patricia das Zimmer ihrer Mutter betritt.
Die Kranke ist bereits wach und blickt Patricia aus großen Augen fragend entgegen.
Rasch setzt Pat das Tablett mit dem Frühstück ab und eilt ans Bett. Sie streut einen Arm voll der schönsten Rosen auf die seidene Decke. Sofort schwebt ein süßer Duft zu der Kranken empor. Ihre Hände streichen liebkosend über die zarten Blätter.
»Wie wunderschön, Kind«, sagt sie, und über die Rosen hinweg forscht sie in Pats Augen. »War es schön gestern, Kind? Ich habe dich nicht heimkehren gehört.«
»Mutti!« Patricia läßt sich auf dem Bettrand nieder. »Es war wunderbar. Laß dir erzählen.«
Gewohnt, ihrer Mutter alles anvertrauen zu können, schildert sie das
Erlebnis vom Abend zuvor in allen
Einzelheiten. Alles, was ihr das Herz schier abdrückt, sprudelt sie hervor, und Anna Hellberg lauscht andächtig. Wann hat sie die ruhige, gelassene Pat einmal so aufgewühlt gesehen? Weiß das Mädel überhaupt, wie schön es ist?
»Und heute soll ich ihn wiedersehen, Mutti«, schließt sie atemlos. »Natürlich gehe ich nicht.« Sie stockt, fährt sich mit der Zungenspitze schnell über die Oberlippe, als könne sie damit ihre Erregung verbergen, und auf ein ermunterndes Lächeln ihrer Mutter hin spricht sie weiter. »Nein, ich werde nicht wieder gehen, Mutti. Er kennt meine Adresse nicht, also wird er mich auch nicht finden.«
»Und warum willst du ihn nicht wiedersehen, diesen Idealmann mit Namen Donald?« fragt Anna Hellberg leise.
»Warum?« Pats Augen werden weit vor Staunen. »Kannst du mich nicht verstehen, Mutti? Es war ein so wunderschöner Abend! Ich glaube kaum, daß er sich wiederholen kann. Deshalb bin ich auch an der Ecke ausgestiegen, damit er nicht weiß, wo ich wirklich wohne.«
Frau Hellberg lächelt nachsichtig. »Weißt du, was ich glaube, Pat?« Sie neigt ihren Kopf ein wenig ihrem Kinde zu. »Du wirst heute abend doch gehen. Ja, ja, das glaube ich ganz bestimmt.«
»Oh, Mutti, wie kannst du das denken.« Pat spricht voll Eifer, aber dahinter steht doch die Unschlüssigkeit, die Anna Hellberg mühelos erraten hat. »Es soll ein einmaliges Erlebnis für mich bleiben.«
»Vielleicht ist es jetzt schon mehr, Pat?«
Patricia legt das Gesicht auf die Bettdecke. »Ich weiß nicht, Mutti«, flüstert sie kaum hörbar. »Ich habe kaum geschlafen, immer wieder mußte ich an ihn denken.«
»Dann wirst du heute abend gehen«, sagt die Kranke ganz entschieden. »Das Glück hat dich verwirrt, Pat. Ich wollte so gern, daß es zu dir kommt. Deshalb habe ich dich weggeschickt.«