Karin Bucha Staffel 2 – Liebesroman. Karin Bucha
sprechen, aber er kann es nicht, angesichts der klaren Augen, in denen eine reine Seele liegt.
»Bis morgen.«
Patricia kehrt in das Wohnzimmer zurück. Sie streicht über die einzelnen Möbelstücke. Das alles gehört ihr. Auch die Wohnung wird sie behalten können.
Ja, sie wird arbeiten, hart arbeiten, um zu vergessen. Zweierlei muß sie vergessen, einmal, daß sie einen Schritt in die große Welt getan hat und die Liebe kennenlernte, und zum andern, daß sie der geliebten Mutter nur noch die Augen zudrücken konnte.
Um sich von ihren trüben Gedanken abzulenken, beginnt sie die Wohnung aufzuräumen, so wie sie es immer getan hat, als ihre Mutter noch lebte. Manchmal bleibt sie stehen und lauscht. Gleich wird es vom Nebenzimmer rufen. Aber es bleibt still, unheimlich still.
Patricia sinkt auf den nächsten Stuhl, birgt das Gesicht in den Händen und weint bitterlich. Es sind die ersten Tränen, die sie seit dem Tod der Mutter findet. Sie wirken erlösend auf ihr bedrücktes Gemüt.
Donald – schreit ihr Herz, und Mutti, liebe, geliebte Mutti.
*
Donald hat seinen Wagen an die Bahn kommen lassen.
Als sie die kleine Bahnstation verlassen, steht der schwarzglänzende schwere Wagen vor dem Eingang, und der Chauffeur eilt hinzu.
»Gute Reise gehabt, Sir?« erkundigt Jack sich höflich, und als er die Damen Kingston gewahrt, verneigt er sich tief. Sein Gesichtsausdruck verändert sich im Handumdrehen.
»Wie steht es, Jack?« fragt Johnson und wirft einen schnellen Seitenblick auf die Damen.
»Schlecht, sehr schlecht, Sir«, antwortet der Chauffeur. »Es wäre sicher angebracht, die Damen zuerst zu uns zu bringen.«
Lady Kingston schiebt Mary zur Seite. »Jack, Sie wissen, wie es um unseren Besitz steht. Sagen Sie die Wahrheit.«
»Das – das Herrenhaus ist völlig abgebrannt.«
Danach bleibt es totenstill. Gott sei Dank, möchte Mary am liebsten ausrufen. Sie hat sich nie richtig wohl gefühlt in dem alten Bau mit den gro-ßen Räumen, den vergilbten Tapeten und der ganzen alten verstaubten Herrlichkeit, an der ihre Mutter so sehr hing.
Wenn sie dagegen Donalds modernisiertes Wohnhaus vor Augen hat, das den ganzen Reichtum und die dennoch erhaltene Tradition der Johnsons widerspiegelt, dann klopft ihr Herz schneller. Einmal wird sie in diesem Haus die Herrin sein. Was gilt ihr dagegen das Elternhaus?
Lady Kingston taumelt, und schnell reicht Donald ihr den Arm.
»Selbstverständlich kommst du mit Mary zu mir, Tante Helen«, sagt er begütigend, doch sie wehrt heftig ab.
»Bitte, Donald, fahre zuerst zu unserem Besitz«, fleht sie. Ihr Gesicht hat jede Farbe verloren, und Donald ängstigt sich um sie. Er weiß, ihr Herz ist nicht stark. Wird es diese Belastungsprobe aushalten? Lady Kingston hängt an diesem Haus, in dem sie unsagbar glücklich war, in dem sie geboren wurde und wohin ihr auch der geliebte, verstorbene Gatte gefolgt war.
»Wie du willst, Tante Helen«, fügt er sich. Jack hat inzwischen das Gepäck verstaut.
Aus leeren Augen sieht Donald aus dem Wagenfenster. Alles verschwimmt vor seinen Augen. Das Dörfchen, das sie passieren, das kleine Waldstück, die angrenzenden Wiesen und dann die Allee.
Schon von weitem sehen sie die Ruine des Gebäudes, das einstmals Lady Kingstons stolzes Elternhaus war. Noch schwelt und raucht es unter den Trümmern, und es wimmelt von Menschen.
Lady Kingston trommelt Donald auf die Schulter.
»Kehr um, Donald, bitte, ich kann den Anblick nicht ertragen. Wir werden vorläufig von deiner Gastfreundschaft Gebrauch machen.«
Sie schließt die Augen und lehnt sich zurück. Ruhen, denkt sie. Morgen werde ich alles besichtigen, und Donald wird mich begleiten.
Mary schiebt ihren Arm unter den ihrer Mutter.
»Wir werden das Haus wieder aufbauen, Mama. Wir haben doch genügend Geld. Vorläufig sind wir bei Donald gut aufgehoben.«
Lady Kingston antwortet nicht. Was weiß das Kind schon von den Erinnerungen, die mit dem abgebrannten Besitz verbunden sind? Nichts! Überhaupt schlägt Mary ganz aus der Art. Sie zeigt mitunter eine Herzenskälte, die sie erschreckt. Donald, der gütige, warmherzige Mensch, und ihre Mary?
Und doch wüßte sie Mary bei keinem Mann so gut aufgehoben wie bei Donald Johnson, dem Gentleman, der sich bisher willig Marys Launen beugte.
Erstmals befürchtet sie, daß die Verbindung der beiden Menschen für Donald nicht gerade glückbringend sein kann. Sie kennt Mary! Und sie kennt auch Donald!
Viele Gedanken huschen ihr während der Fahrt durch den Kopf. Zum Schluß ist sie überzeugt, daß nur Donald mit Mary fertig werden und für beide ein beständiges Glück aufbauen kann.
Anders Donald. Er hat Mary völlig vergessen. Er denkt zurück an die zwei wunderschönen Tage mit Patricia. Er sieht sie beinahe leibhaftig vor sich, und er empfindet einen heftigen Schmerz, weil er ohne Abschied, ohne Erklärung abreisen mußte.
Der Wagen nimmt in flottem Tempo die kleine Steigung zu dem Hügel, auf dem Johnsons Haus steht. Es wirkt mit seinen Terrassen und Altanen von weitem wie eine Burg. Es leuchtet weithin mit seinen hellen Mauern.
Hierher werde ich Patricia führen, denkt Donald, und er hat noch nie das geräumige Haus mit so viel Freude begrüßt wie bei dieser Heimkehr.
Der Butler empfängt seinen Herrn und die Gäste. Donald selbst führt Lady Kingston in ihre Räume. Es sind die schönsten Gasträume des Hauses. Er schickt eines der Zimmermädchen zu den Damen, damit sie ihnen behilflich sei.
Er selbst sucht seine Zimmer auf, erfrischt sich im Bad und wechselt den Anzug.
Dann kehrt er an den bereits gerichteten Teetisch, den der Butler vor dem Kamin hat decken lassen, zurück.
Ein lustiges Feuer knistert im Kamin. Donalds Jagdhündin erhebt sich schwanzwedelnd vom Boden und springt ihn freudig an.
»Ist ja gut, Seila, ist ja gut«, beschwichtigt er die Freude des Tieres. »Herrchen ist ja wieder da.«
Er läßt sich abseits vom Kamin nieder und greift zur Zigarettendose. Der Hund liegt zu seinen Füßen. Immer noch schlägt er mit seiner Rute den Boden.
Gedankenvoll krault Donald das Fell des Hundes, während er dicke Rauchwolken in die Luft bläst.
Wie schön es ist, heimzukehren. Er hat es allen Dienstboten angesehen, daß sie ihn lieben.
Er zahlt gute Löhne und behandelt sein Personal, wie es sich gehört. Jeder würde für ihn durchs Feuer gehen. Das weiß er. Aber er weiß auch, daß diesem Haus die Krönung fehlt.
Die Herrin!
Nicht Mary sieht er durch die Räume schreiten, sondern Patricia, das wunderschöne Mädchen aus Deutschland. Er hat Pat schon in ihrem Zigeunergewand maßlos bewundert. Wie wird es erst sein, wenn sie in kostbare Stoffe gehüllt an seiner Seite dies Haus zum erstenmal sieht?
Patricia!
Sehnsucht nach ihr macht ihn beinahe krank. Ob er sie wiederfinden wird? Ob sie die Anzeige liest?
Unendlich viele Fragen stürmen auf ihn ein. Er hofft mit aller Inbrunst, daß er sie wiederfinden möge.
Aus seinen Träumen wird er jäh durch Marys Erscheinen herausgerissen.
»Mama läßt sich entschuldigen, Donald. Sie hat sich hingelegt.«
»Dann wollen wir ihr die Ruhe gönnen, Mary«, sagt er enttäuscht, denn er fürchtet sich vor einem Alleinsein mit Mary, die ihn schon als ihren Besitz betrachtet.
Er klingelt, und der Butler erscheint. Mary weist ihn mit einer Handbewegung wieder aus dem Zimmer.
»Danke, George, ich bediene selbst.«