Karin Bucha Staffel 2 – Liebesroman. Karin Bucha
bei Magda um einen Menschen handelt, der dringend der Hilfe bedarf.
Sie läßt Magda noch einige Minuten Zeit, sich zu sammeln, und neigt sich abermals über sie.
»Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Sie sind sehr erschöpft. Vielleicht können wie Ihre Angehörigen benachrichtigen, damit Sie abgeholt werden?«
Um Magdas Mund zuckt es. Die Menschen, die ihrem Herzen nahestehen, sind weit weg von hier, auf dem Birkenhof. Vor denen ist sie ja geflohen. Unmöglich kann sie das der hilfreichen Frau erzählen. Aber Vertrauen kann man zu ihr haben, das liest sie aus ihren gühgen Augen.
Sie richtet sich auf, von Schwester Luise unterstützt.
»Ich stehe ganz allein auf der Welt. Ich weiß nicht, ob Sie mir helfen können. Ich suche eine Beschäftigung in Berlin, vielleicht im Haushalt.«
»Haben Sie Ihre Papiere bei sich?«
»Papiere?« Ein Schreck fährt Magda zum Herzen. Sie hat ja nicht einmal Papiere. »Muß man die unbedingt haben?«
Schwester Luise lächelt über so viel Unwissenheit.
»Wenn Sie sich um eine Stellung bewerben wollen, brauchen Sie selbstverständlich in erster Linie Papiere!« antwortet die Schwester.
»Ich bin ein Findelkind«, sagt Magda leise. Mutlos verstummt sie.
»Wo sind Sie denn bisher tätig gewesen?«
Magda schweigt. Ihre Augen hängen in heller Verzweiflung an dem ruhigen Gesicht der fremden Frau.
Man will sie ausfragen, damit man sich mit dem Birkenhof in Verbindung setzen kann. Dann kommt Hanno, holt sie heim, und ihr Geheimnis wird bekannt werden. Verwirrungen werden auf dem Birkenhof entstehen, und sie allein ist die Ursache davon. Nein!
»Ich möchte nicht darüber sprechen«, sagt sie. »Ich habe mit der Vergangenheit abgeschlossen. Ich will mir eine neue Beschäftigung suchen, und wenn ich nicht mehr arbeiten kann, in eine Klinik gehen!«
Der Blick läuft über den zarten Körper Magdas. Was sie von Anfang an ahnte, bestätigte sich. Magda hat das Herz der Schwester und somit auch ihr Vertrauen restlos gewonnen.
Mitleidig streicht sie dem Mädchen das blonde Haar aus der Stirn. Es ist eine weiche, mitfühlende Geste, bei der Magda die Tränen in die Augen steigen. Genauso lind fühlten sich Tante Christines Hände an. Aber nicht mehr daran denken! Nicht rückwärts schauen, sondern sich nur noch mit der Zukunft beschäftigen, nimmt sie sich fest vor.
»Glauben Sie, daß ich trotzdem irgendwo ein Unterkommen finde?« fragt Magda mit bangen Kinderaugen.
Schwester Luise antwortet nicht gleich. Sie sinnt an diesen bittenden, flehenden Augen vorbei ins Leere.
Viele Menschen haben schon vor ihr gestanden, haben sie in ähnlicher Weise gefragt umd Hoffnungen und Wünsche daran geknüpft. Sie hat ihnen allen geholfen, soweit es in ihrer Macht und Kraft stand.
Sie hat dabei auch Undank geerntet. Doch sie half gern, aus gutem Herzen heraus, nicht um des Dankes willen. Sie wird diesem jungen Wesen helfen, auch wenn das Mädel nicht sprechen will.
Kurz entschlossen steht die Bahn-hofs-Schwester auf, geht an den Fernsprecher, der auf dem Tisch am Fenster steht, von Magdas bangen Augen verfolgt, und wählt eme Nummer.
»Bitte, verbinden Sie mich mit Schwester Thea«, hört Magda die fremde, gütige Frau sprechen. In atemloser Spannung und Erwartung lauscht sie auf das Telefongespräch.
»Thea? Ja, hier ist Schwester Luise. Ich habe ein junges Mädchen bei mir und suche für dieses ein Unterkommen. Nehmt ihr noch werdende Mütter als Helferinnen auf? Du sprachst neulich davon.«
Wieder vergehen Sekunden stiller Pein für Magda, dann hört sie mit tiefem Aufatmen die Frau sagen: »Ich danke dir, Thea. Ich werde meinen Schützling zu euch schicken.«
Das Gesicht der Schwester ist freudig bewegt, als sie wieder an das Lager Magdas tritt.
»Fühlen Sie sich kräftig genug, um einen kurzen Weg zurücklegen zu können?« fragt sie.
Magda bejaht und erhebt sich, von Schwester Luise unterstützt. Sie taumelt, schüttelt aber die Schwäche ab und schaut tapfer und erwartungsvoll auf die liebe Frau.
Aufmerksam lauscht Magda den Ausführungen der Schwester, und neue Hoffnung belebt sie. Jetzt erscheint es ihr fast unwirklich, daß sie nach dem Schwächeanfall gleich verzweifeln wollte.
»Ich danke Ihnen. Sie sind unendlich gut zu mir!« Magda neigt sich über die Hand der Schwester und drückt ihre Lippen darauf.
»Nicht doch! Was ich tue, ist einfachste Menschenpflicht«, wehrt die Schwester die ungewöhnliche Dankesbezeigung ab und drängt Magda sanft zur Tür. »Nun gehen Sie. Sie wissen ja Bescheid. Wegen der Papiere müssen Sie mit der Oberschwester sprechen. Die nötigsten Angaben werden Sie bestimmt machen müssen, denn die Klinik ist verpflichtet, Sie zu melden.«
»Ja – und nochmals vielen Dank!« ruft Magda zurück und entfernt sich.
Das Handköfferchen – ein Geschenk Hannos – an sich drückend, schlägt sie den Weg zu der ihr genannten Klinik ein und kommt wohlbehalten dort an.
Es ist ein schöner, langgestreckter Bau mit kleineren Nebengebäuden, deren rote Ziegeldächer zwischen mächtigen Bäumen hindurchschimmern. Wie ein Stück Heimat mutet sie das Anwesen an.
Am Pförtner vorbei geht sie die gepflegte Auffahrt hinan dem Haupteingang zu Schwester Luise hat ihr ein Schreiben mitgegeben, so daß sie ohne Aufenthalt zu Schwester Thea geführt wird.
Mit großer Scheu geht Magda hinter einer jungen Schwester durch die lichtdurchfluteten Gänge. Der Klinikgeruch legt sich ihr beklemmend auf die Brust. Aber daran wird sie sich gewöhnen. Es ist immerhin ein beruhigendes Gefühl für sie, nicht planlos umherstreifen zu müssen und Arbeit zu suchen.
»Ach, da sind Sie ja schon!«
Eine kräftige Frauengestalt erhebt sich von dem Platz vor dem Schreibtisch nahe bei dem Fenster, sieht scharf, aber nicht unfreundüch auf die zögernd Nähertretende.
»Bitte, nehmen Sie Platz!«
Magdas blasses, durchsichtiges Aussehen scheint ihr Mitgefühl zu erwecken.
Magda nimmt nur eine Ecke des Stuhles ein. Sie kommt sich vor wie ein Eindringling. Das kleine Lächeln, das sekundenlang den schmalen Mund der Oberschwester umspielt, entgeht ihr.
»Schwester Luise hat Sie mir warm ans Herz gelegt.« Sie läßt einen flüchtigen Blick über die schlanke Gestalt Magdas gleiten. »Sie werden sich bei uns wohl fühlen. Außer Kost und Wohnung bekommen Sie ein kleines Tagegeld und müssen dafür leichte Hausarbeit verrichten. Ich werde Sie vorläufig in der Säuglingspflege unterbringen. Allerdings kann ich nicht darüber entscheiden, ob Sie dauernd bei uns bleiben können. Der Herr Professor ist augenblicklich verreist. In seinen Händen liegt also Ihr weiteres Geschick.«
Magda ist mit allem einverstanden. Zu einer Entgegnung kommt sie nicht, da die Oberschwester bereits fortfährt zu sprechen.
»Schauen Sie nicht so mutlos drein. Unser verehrter Herr Professor hat noch niemand wieder fortgeschickt. Haben Sie Mut! Es wird schon alles zu Ihrer Zufriedenheit ausgehen.« Bis jetzt hat sie fürsorglich und mit Wärme gesprochen, nun wird sie geschäftsmäßig. »Ihre Papiere, bitte.«
»Ich – besitze – keine«, kommt es stockend von Magdas Lippen, und fliegende Röte steigt ihr bis unter das Blondhaar.
»Keine Papiere?« Oberschwester Thea blickt verwundert und verständnislos auf das verlegen dasitzende Mädchen.
»Meine Reise nach Berlin erfolgte Hals über Kopf.«
Magda stockt, würgt an den wenigen Worten, sie kommt sich dem hochherzigen Anerbieten gegenüber unehrlich vor.
»Haben Sie etwas zu verbergen?« fragt die Oberschwester mit Strenge.
»Ja!« Magdas