ALTE WUNDEN (Black Shuck). Ian Graham

ALTE WUNDEN (Black Shuck) - Ian  Graham


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Angreifer sprang hinter der Beifahrerseite des roten Wagens in Sicherheit, die Kugeln flogen über ihn hinweg. Im Augenwinkel bemerkte Declan, dass der andere Mann über die Schwelle des Tores trat. Er bewegte sich vielleicht eine Millisekunde zu spät nach links, um einem Hieb mit einer Schaufel auszuweichen. Ihr Blatt traf flach auf seine ausgestreckten Arme und schlug gleich darauf, als er in die Knie ging, gegen eine Seite seines Kopfes.

      Er fiel nach hinten um, verlor die Pistole aber nicht, als er unsanft mit dem Rücken auf dem Beton landete und nach Luft ringen musste. Sein Peiniger betrat die Garage und holte erneut mit der Schaufel aus. Declan wälzte sich nach links, sodass sie auf den Boden schepperte, wo wenige Sekunden zuvor sein Kopf gelegen hatte. Dann rollte er nach rechts zurück und hob die Pistole, während sein Angreifer das Werkzeug abermals über seinem Kopf hochriss. Auf einmal fielen weitere Schüsse, und drei Löcher zeigten sich in der Brust des Mannes, der durch die Wucht der Treffer zurückgeworfen wurde.

      Declan atmete einmal flach ein; so lange währte seine Erleichterung, ehe die nächste Salve aus einem Schalldämpfer platzte. Er kroch aus der Garage und erwiderte das Feuer auf den roten Geländewagen, dessen Windschutzscheibe mit dem ersten Schuss barst. Während sich sein Gegner seitwärts zur Front des Fahrzeugs bewegte, nahm Declan ihn systematisch aufs Korn – fest entschlossen, nicht zu verfehlen. Der Mann stieß einen Schrei aus, als eine Kugel seine Schulter traf, gefolgt von einer zweiten ins Schläfenbein. Er brach zusammen. Declan schnaufte angestrengt, als die letzte Hülse auf die Erde fiel und Stille einkehrte, umweht vom Geruch der abgefeuerten Ladungen. Das friedliche Zirpen von Grillen im Gehölz an den Rändern des Fahrtweges vor der Garage stellte sich wieder ein, unterbrochen von einem einzelnen Knall, einem Schussecho aus der Ferne irgendwo nördlich der Garage.

      Declan musste sich an der Seite des schwarzen Suburban abstützen, wobei er zum ersten Mal seine Kopfverletzung spürte. Alles ringsum fing an, sich zu drehen. Er hob eine Hand und befühlte seine rechte Augenbraue, die vor Schmerz pochte. Als er die Hand herunternahm, klebte Blut an seinen Fingerspitzen, und auf dem Handrücken entdeckte er einen Schnitt, den die Schaufel verursacht hatte. Nachdem er das Blut an seinem Hemd abgewischt hatte, machte er sich von dem Auto los und trat über den toten Schuft aufs Garagentor zu.

      Draußen zielte er mit der Pistole dorthin, woher die beiden Männer gekommen waren. Weiter entfernt sah er noch ein Gebäude mit Blechdach, das länger als die Garage war. Der Weg zu ihr führte daran vorbei und verschwand ungefähr 15 Yards vor der Stelle, wo Declan stand, im Schotter. Er stellte sich vor den dunkelroten Wagen und schaute hinüber. Auf dem Pflaster dahinter lag der Schütze, den er wenige Augenblicke zuvor getötet hatte. Declan ging hin und schob die schallgedämpfte Waffe des Mannes mit einem Fuß weg. An seinem krausen Bart und einer gehäkelten, schwarzen Thagiya auf seinem Kopf ließ er sich als Muslim identifizieren, obwohl er nicht so aussah, als stamme er aus dem Mittleren Osten. Sein Teint war leicht blass, das Haar schwarz und die Haut rau, als sei er über lange Zeit hinweg harschen Witterungsverhältnissen ausgesetzt gewesen. Declan stieß ihn fest mit einer Schuhspitze an, wobei der Körper auf den Rücken rollte. Die Augen starrten geisterhaft nach oben, und an einer Gesichtsseite haftete Blut, das aus der Wunde über seinem Ohr gequollen und unter ihm zusammengeflossen war. Er lebte nicht mehr.

      Als noch ein Schuss an dem abgelegenen Gebäude mit dem Blechdach fiel, besann sich Declan darauf, warum er hier war, und lief los. Unterwegs bekam er weiche Knie und einen verschwommenen Blick, weshalb er an einem Baum stehen blieb und sich am Stamm festhielt. Er glaubte, dass seine Kopfverletzung ernster sein musste, bemühte sich aber, es zu verdrängen, und rannte weiter auf das Gebäude zu, das 50 Yards vor ihm lag.

      Im Gegensatz zu Haus und Garage bestand es aus Holz, das mit den Jahren schwarz geworden war. Mehrere Scheunentore nahmen die Wände ein, und mehrere Enteiser ragten vom Blech auf, um während der Wintermonate Schneedecken auf dem Dach aufzubrechen. Declan legte sich hinter einem Baum bäuchlings auf die Erde, als zwei schwarz gekleidete Männer mit Maschinenpistolen um die Seite des Gebäudes kamen und den Weg hinauf zur Garage liefen. Er wartete auf dem nassen Boden, bis sie vorbeigezogen waren. Als sie drüben eintrafen, blieben sie stehen und unterhielten sich hastig in einer fremden Sprache.

      Declan schlich weiter, gebückt und ohne die beiden aus den Augen zu lassen. Als er das Gebäude erreichte, ruhte er an das alte Holz gelehnt aus, bevor er auf der Suche nach einem offenen Eingang herumging. Mit wie vielen Gegnern musste er rechnen? In dem Fahrzeug, mit dem die Männer gekommen waren, war ohne Weiteres Platz für sechs und sogar acht bis neun Personen, wenn man neben den regulären Sitzplätzen den Stauraum im Heck nutzte. Als er langsam um die Ecke ging – er achtete darauf, nicht ins Sichtfeld der beiden an der Garage zu gelangen –, stieß er auf einen zweiten dunkelroten Geländewagen, dessen Beifahrertür offenstand. Jetzt wusste er, dass es sich um eine Überzahl handelte, mit der er es unmöglich aufnehmen konnte. In seinem angeschlagenen Zustand und mit nur noch sieben von 16 Patronen im Magazin brauchte er sich keinerlei Hoffnungen darauf zu machen, bis zu 20 Mann die Stirn zu bieten.

      Mit einem Mal startete ein Motor, und zwei Lichtkegel wanderten über den Fahrtweg, kurz bevor der Wagen in Sicht rollte, der an der Garage gestanden hatte. Er kam von der entgegengesetzten Seite, während Duncan hinter dem Gebäude verharrte, und blieb vor dem baugleichen Modell stehen. Die Beifahrertür ging auf, und einer der Männer, die gerade hinübergelaufen waren, stieg aus. Er trat durch ein offenes Tor ein.

      »Jemand ist hier«, sagte er zu einer anderen Person im Inneren. »Tariq und Nadir sind tot!«

      »Beweg dich wieder nach draußen und halt die Augen offen!«, gab der andere in scharfem Ton zurück. Bei diesem Sprecher war sich Declan des slawischen Akzents sicher. »Sieht so aus, als würde unsere Party hier ein Ende finden, kleiner Bruder, doch bevor du stirbst, möchte ich dich wissen lassen, dass ich deinen Angehörigen deinen abgetrennten Kopf schicken werde!« Daraufhin antwortete eine Stimme, die Declan ganz sicher Abidan Kafni zuzuordnen glaubte, aber er verstand das Gesagte nicht. Als ausgelassenes Gejohle losbrach, schloss er seine Augen.

      »Allahu akbar! Allahu akbar!«

      Er entfernte sich von dem Gebäude und schlich auf eine Baumgruppe zu. Soeben war sein Freund auf eine der grässlichsten Arten hingerichtet worden, die man sich vorstellen konnte, ohne dass Declan es irgendwie hätte verhindern können. Er versteckte sich und sah, wie zehn Schwerbewaffnete herauskamen. Sie zielten mit ihren MGs und Pistolen in alle Richtungen, während ein elfter Mann durch die Tür lief und geradewegs auf einen der geparkten Geländewagen zuging. In einer Hand hielt er einen weißen Sack, an dessen Boden sich ein tiefroter Fleck ausbreitete. Declan blieb die Luft weg, weil ihn schlagartig Wut packt. Er drehte sich hinter einem Baum um und lehnte sich an, sank nieder und blieb sitzen. Bremslichter blinkten auf, ein hellrotes Schwelen im Dunkeln, und Türen knallten zu, als die Männer in beide Autos einstiegen. Sie fuhren nacheinander los, wobei sie eine Staubwolke aufwirbelten. Als sie den Hügel an dem trichterförmigen Hof umrundeten und hinter der Anhöhe verschwanden, schlug Declan die Augen zu und konzentrierte sich ausschließlich aufs Luftholen, was ihm schwerfiel, da er gegen ein stärker werdendes Ohnmachtsgefühl ankämpfen musste.

      Kapitel 10

      19:38 Uhr, Eastern Standard Time – Freitag, Graemont Lane, Charlottesville, Virginia

      Senator David Kemiss schluckte den Rest eines Cocktails hinunter, den er sich genehmigt hatte, und zog sein vibrierendes Handy aus der Tasche. Sein Blick fiel zuerst aufs leuchtende Display und dann die angesäuerte Miene seiner Ehefrau. Mary Ellen Kemiss saß am anderen Ende ihres Sofas, und zwischen ihnen lag ein Kissen wie gefühlte tausend Meilen schneebedeckter Ebene. Zicke, dachte er beim Aufstehen.

      »Bin gleich wieder da«, sagte er.

      Sie verdrehte missfällig die Augen. Ihre beiden Kinder, die auf dem Boden des abgedunkelten Wohnzimmers hockten, stierten auf den leuchtenden Fernsehbildschirm, ohne aufzuschauen oder überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, dass jemand etwas gesagt hatte. Ihre Gesichter blieben ausdrucks- und emotionslos, bezaubert vom jüngsten Abenteuerfilm, der gerade die Verkaufsauslagen und Streamingportale beherrschte.

      Dies sollte eigentlich ein Familienabend sein, den das Paar seinem vollen Wochenplan abgetrotzt hatte – gemeinsam


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