ALTE WUNDEN (Black Shuck). Ian Graham

ALTE WUNDEN (Black Shuck) - Ian  Graham


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lachte auf. »Ach was, ich sagte zu Dex, dass er ihn mitnehmen soll. Ich würde dich doch nie derart foltern, oder?«

      »Oh, ganz bestimmt nicht«, antwortete sie und verdrehte ihre Augen. »Wohin willst du?«

      »Abidan und Levi werden in ungefähr einer Stunde zurück nach Israel fliegen. Ich möchte mich von ihnen verabschieden.«

      »Der Arzt meinte, du solltest dich für ein paar Tage nicht hinters Steuer setzen.«

      »Mir geht es gut«, bekräftigte er, während er seine Hände auf ihre Schultern legte. »Glaub mir, ich habe einen harten Schädel.«

      Er lächelte kurz und zog sie auf die Fahrertür des Nissan zu. Nachdem er sie für Constance geöffnet hatte, wartete er, bis sie eingestiegen war, und legte ihre Handtasche auf den Beifahrersitz.

      »Ich komme später nach, aber dann ist es wahrscheinlich schon dunkel. Ruf mich von zu Hause aus an, damit ich weiß, dass du heil angekommen bist. Ich habe eines unserer Diensthandys dabei. Das hier ist die Nummer.«

      Sie schaute ihm in die Augen, als sie den Zettel entgegennahm. »Warum sollte ich nicht heil ankommen?«

      Declans Bemerkung hatte sie überrascht. Obwohl er sie verehrte, wie es jeder liebevolle Ehemann getan hätte, war er nie übertrieben fürsorglich gewesen.

      Er tat gelassen. »Ich wollte dich nicht … keine Ahnung, aber nach allem, was passiert ist …«

      Sie lächelte wieder. »Lass das Handy eingeschaltet.«

      Er schob die Tür zu und beobachtete, wie sie aus der Parklücke zurücksetzte. Nachdem sie ihm kurz gewunken hatte, fuhr sie davon. Er blieb stehen und schaute ihr nach, bis das perlweiße Cabriolet an der Ausfahrt des Parkplatzes rechts abbog und hinter einem Gebäude verschwand. Dann zog er einen anderen Autoschlüssel aus der Tasche und ging zu einem weißen Kastenwagen, den Brendan Regan auf der Parkfläche neben dem Krankenhaus abgestellt hatte. Er entriegelte ihn, rutschte auf die Vinylsitzbank und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad, während er durch die Windschutzscheibe blickte.

      Seit fast zehn Jahren hatte er Kafnis Familie weder gesehen noch gesprochen. Es würde ihm nicht leichtfallen, es jetzt unter diesen Umständen zu tun.

      Kapitel 16

      17:46 Uhr, Eastern Standard Time, Regionalflughafen Lynchburg, Lynchburg, Virginia

      Declan blieb mit dem weißen Truck auf einem Platz für Kurzparker vor dem Hauptterminal stehen, einem langen Kastengebäude mit Glasfront, die in regelmäßigen Abständen durch Ziegelsteinsäulen verstärkt wurde. In der Mitte über mehreren Drehtüren wölbte sich eine durchsichtige Kuppel, die ihn an eine Moschee erinnerte. Nachdem er die Handbremse gezogen hatte, stieg er aus und ging auf den Haupteingang zu, durch den die Innenbeleuchtung im schwindenden Tageslicht glutrote bis gelbe Helligkeit abstrahlte.

      Am Bordstein davor neben einer Reihe von Taxis standen drei Männer in blauen Uniformen, die das Gepäck von eintreffenden Reisenden kontrollierten. Nicht weit entfernt von ihnen verharrte Altair Nazari.

      »Declan«, begann er mit ernster Miene, während er seine Rechte ausstreckte. »Freut mich, dass du Zeit gefunden hast.«

      Declan erwiderte mit bedächtigem Nicken und schüttelte Nazaris Hand. Er wusste, dass sie beide schon lange nichts derart Betrübliches mehr hatten erledigen müssen. Obwohl sie seit fast einem Jahrzehnt keinen regelmäßigen Umgang gepflegt hatten, empfand er das Gleiche für Abidan Kafni wie ein Sohn für seinen greisen Vater.

      Sie waren einander auf Belfasts Straßen begegnet, als Declan eine Gruppe britischer Agenten über einen Waffenhandel zwischen der Belfaster IRA-Führung und der PLO informiert hatte – einer der vielen Akte von Hochverrat seitens des Leiters seiner Einheit Black Shuck. Jene Agenten, die seinerzeit niemand gekannt hatte, waren in Wirklichkeit vom Mossad gekommen, Kafni unterstellt und illegalerweise auf Mission in Nordirland gewesen, um die Palästinenser daran zu hindern, sich Know-how von der erfolgreichsten Terrororganisation der jüngeren Geschichte zu verschaffen: der IRA. Monate später hatte sich Kafni bei ihm revanchiert, als er von einem Komplott gehört hatte, dass Declans IRA-Verband ausgelöscht werden sollte.

      Declan folgte Nazari ins Flughafenterminal. Rechter Hand erblickte er eine Reihe Ticketschalter mit Neonschildern, während sich weiter entfernt auf der linken Seite hektische Passagiere an einer Gepäckausgabe tummelten, denen der Frust genervter Reisender ins Gesicht geschrieben stand. In der Mitte des Gebäudes erstreckte sich ein breiter Gang an einem Caféimbiss und einem Kiosk vorbei zu mehreren Metalldetektoren, die von Sicherheitspersonal in hellblauen Hemden und schwarzen Hosen bedient wurden. Nazari näherte sich der Schlange, die sich dort gebildet hatte, und blieb stehen, um kurz mit einer untersetzten Dame mit dunklen Locken zu sprechen. Nach mehrmaligem Nicken ging sie mit einem Handmetalldetektor an ihm vorbei und auf Declan zu.

      »Sir, ich muss Sie hiermit untersuchen, bevor ich Sie hinaus auf die Rollbahn lassen darf, das dauert wirklich nicht lange«, versicherte sie lächelnd.

      Declan hielt still und hob seine Arme, während sie seine Gliedmaßen mit dem Gerät abtastete.

      »Vielen Dank, Sir.« Sie gab den Detektor an einen ihrer Mitarbeiter. »Jetzt bringe ich Sie beide nach unten.«

      Nazari und Declan folgten der Frau am Kontrollpunkt des Sicherheitsdienstes vorbei zu einer fensterlosen Metalltür mit einem Notausgangsschild. Sie schaltete den Alarm mit einem Schlüssel von einem Bund aus, der an einem Karabinerhaken an ihrer Gürtelschlaufe hing, öffnete und hielt die Tür auf, bis die Männer das Treppenhaus betreten hatten. Am Fuß der Stufen sperrte sie eine weitere als Rettungsweg gekennzeichnete Tür auf und trat zur Seite, um die beiden Männer in einen Raum gehen zu lassen, wo mehrere Gepäcktransporter standen.

      »Wir fahren damit hinüber«, bemerkte sie mit Blick auf einen weißen Ford Explorer mit orangefarbener Lichtleiste auf dem Dach und einem roten Schriftzug, der ihn als zum Flughafen gehörendes Polizeiauto auswies.

      Nachdem sie eingestiegen und die Türen geschlossen waren, schaute die Frau unruhig zwischen ihren Passagieren hin und her. Da ihr die Stille offensichtlich nicht behagte, wollte sie beim Hinausfahren ein Gespräch beginnen. »Wirklich schlimm, was da passiert ist. Niemand hier hätte sich so etwas vorstellen können. Ich meine, wir alle wurden in unserer Ausbildung auf so etwas vorbereitet, aber mit einem Ernstfall rechnet man ja eigentlich nicht – und dann tritt er doch ein.« Ihre Stimme wurde immer leiser.

      Declans Miene verfinsterte sich, als eine Boeing 737 mit hebräischer Kennung und einer israelischen Flagge am Heck in Sicht geriet. Die Maschine stand neben einem großen Hangar und war auf drei Seiten von Fahrzeugen umgeben. Als die Frau nahe genug herangefahren war, lenkte sie ruckartig ein und bremste.

      »Danke fürs Fahren«, sagte Nazari beim Aussteigen und drückte die Tür zu. Declan verließ den Wagen schweigend. Die Frau fuhr wieder los, während die Männer auf eine Gruppe Personen am Heck des Flugzeugs zugingen. Ein kräftiger Wind wehte über die Betonfläche des Rollfeldes. Declan wurde untröstlich, als er den Hinterbliebenen – Kafnis Frau und seinem ältestem Sohn David – in die Gesichter schaute.

      Zeva, eine Frau Mitte 50 mit langem, dunklen Haar unter einem bunten Schal, blickte zu den zwei Männern auf, die sich näherten. Sie schien Declan sofort wiederzuerkennen. Sie löste sich aus der kleinen Versammlung und ging ihnen entgegen, wobei sie die Arme ausbreitete, um ihn zu begrüßen.

      Declan drückte sie fest an sich. Nachdem er sie losgelassen hatte, versuchte er, seine Trauer mit den Augen zu vermitteln, da ihm die Worte fehlten. »Tut mir leid«, brachte er kopfschüttelnd heraus. »Es … tut mir leid.«

      In der Vergangenheit hatte er vielen Beerdigungen beigewohnt und nie so recht gewusst, was er einer Witwe oder den anderen Familienmitgliedern sagen sollte. Als Mann, der sich emotional selten die Blöße gab, war eine wenig überzeugende Beileidsbekundung zumeist alles gewesen, was er sich abgerungen hatte. Dankenswerterweise waren die Bestattungen in Nordirland entweder aufwendige Feiern mit viel Tamtam und Fahnenschwingen


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