ALTE WUNDEN (Black Shuck). Ian Graham
mit diesem Fragenkatalog zu verwirren, dass er etwas Falsches von sich gab, doch das konnte sich der Kerl abschminken. Auch in angeschlagenem Zustand war Declan überzeugt davon, das alles genau so erlebt und die involvierten Männer richtig beschrieben zu haben. »Ich weiß weder, wer sie waren, noch wie sie hießen. Das herauszufinden und sie zu schnappen ist Ihre Aufgabe. Sie fuhren zwei dunkelrote Geländewagen, Suburbans von General Motors. Und es waren insgesamt 13 Personen. Zwei habe ich erschossen, elf sind entwischt. Im Dunkeln sah es so aus, als hätten die meisten von ihnen dunkles Haar und helle Haut gehabt, aber nahegekommen bin ich nur den beiden, die mich umbringen wollten. Der eine mit dem Sack muss ihr Anführer sein, weil die anderen ihn beim Hinausgehen beschützten. Er hatte entweder schütteres Haar oder eine Glatze und machte einen kranken Eindruck, weil er blass und für seine Größe dürr war. Im Übrigen handelt es sich bei den meisten Tschetschenen und Türken sowie einem geringen Prozentsatz von Armeniern um Muslime, das können Sie nachlesen.«
Castellano atmete lange ein. Er schien ein Lächeln unterdrücken zu wollen. Fand er Gefallen an diesem Theater? Als Declan auf die weiße Decke vor sich schaute, unter der seine Füße lagen, kämpfte er gegen die Wut an, die in ihm aufkeimte.
»Ich habe es nachgelesen«, entgegnete der Agent schließlich. »Dies und mehrere andere Dinge. Man fand keine Leichen, die Ihre Behauptung, Sie hätten zwei der Männer getötet, beweisen könnten.«
Declan blickte auf, als er noch einmal an die beiden zurückdachte, die zur Garage gelaufen waren, um den Schüssen auf den Grund zu gehen, und dann einen der Geländewagen vorgefahren hatten. Die anderen mussten ihre Leichen mitgenommen haben, eine andere Erklärung gab es nicht.
»Der Rest der Gruppe ließ die Toten verschwinden.«
»Ach so«, sagte Castellano, während er die Akten in der Mappe auf seinem Schoß durchsah. »Und dieser Anführer, der krank aussehende Glatzköpfige … Sie beschrieben der Polizei, er habe mit einem slawischen Akzent gesprochen, und meinten, Sie könnten sich vorstellen, es handle sich um einen Mann namens Ruslan Baktayew, verstehe ich das richtig?«
»Tun Sie, ja.«
»Aber sicher sind Sie sich da nicht?«
»Ich habe ihn nie gesehen, doch Kafni erzählte mir, er sei aus einem russischen Gefängnis geflohen und auf einem persönlichen Rachefeldzug. Wegen des Akzents lag dieser Schluss nahe, aber nein: Ich bin mir nicht sicher, ob er es war.«
Castellano nickte. »Nun gut, lassen Sie mich erklären, warum ich mich daran stoße, dann können Sie mir vielleicht helfen: Abidan Kafni gab seine Mutmaßungen bezüglich dieses Ruslan Baktayew an Mitarbeiter unseres Außenministeriums weiter, welches sich deshalb kürzlich mit der russischen Regierung in Moskau in Verbindung setzte. Dort teilte man mit, dass der Mann tot wäre. Das war vor mehreren Wochen.«
Declan nahm dies gleichmütig zur Kenntnis. Er erinnerte sich daran, dass Kafnis ihm gegenüber geäußert hatte, die Russen würden lügen, und im Gefängnis sei auch jemand gewesen, der mit dem Mossad sympathisierte, doch die Öffentlichkeit wusste nichts über die frühere Tätigkeit des Israeli als Spion. »Dann war er es eben nicht«, schob Declan vor, weil er nicht über Kafnis Beziehungen zum Geheimdienst sprechen wollte.
Castellano blickte von seiner Mappe auf. Declan zog sich, als ihre Blicke aufeinandertrafen, abermals innerlich zurück. Worauf war dieser Agent wirklich aus? Weshalb hatte er ihn von Anfang an so aggressiv befragt? Lag es nicht auch in seinem Interesse, die Verantwortlichen für den Bombenanschlag auf eine amerikanische Universität und den Mord an einem Mann zu finden, der sowohl seine Wahlheimat in den Staaten als auch sein Vaterland unermüdlich in Schutz genommen hatte?
Nun wechselte er unvermittelt das Thema: »Was ist mit Ihnen, Mr. McIver, woher genau kannten Sie Abidan Kafni und sein persönliches Umfeld?«
»Ich habe sechs Jahre für ihn gearbeitet.«
»Stimmt«, fuhr Castellano fort. »Überspringen wir das Geplänkel – ich kaufe Ihnen die Geschichte nicht ab, die Sie mir gegeben haben, dass ein flüchtiger Terrorist aus Tschetschenien mit Vernetzungen zu den Mudschaheddin irgendwie in die USA gelangt und in der Lage gewesen sei, einen so gut abgeschirmten Mann wie Abidan Kafni umzubringen. Radikale Islamisten versuchten über fast zwei Jahrzehnte hinweg, ihn zu beseitigen, und bis zuletzt vereitelte seine Garde jeden dürftigen Versuch.«
»Ich weiß. Schließlich gehörte ich zu jener Garde und war selbst an der Verhinderung von drei Attentaten beteiligt.«
»Womit sich für mich weitere Fragen ergeben«, gab Castellano selbstgefällig zurück. »Ihre Einwanderungsakte besagt, dass Sie aus Galway in Irland in die Vereinigten Staaten übergesiedelt sind und in Ihrer Heimat als Fischwirt gearbeitet haben, was Sie nach Ihrer Ankunft bei uns kurzzeitig fortsetzten. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu erklären, wie ein irischer Fischer zu einer Anstellung als Leibwächter eines jüdischen Unruhestifters gelangte?«
Declan hatte damit gerechnet, dass das Verhör irgendwann darauf hinauslaufen würde, doch mit seinem Konfrontationskurs erwischte ihn der Agent auf dem falschen Fuß. Das FBI hatte ihn schon einige Male abgeklopft, als er mitverantwortlich dafür gewesen war, die Mordversuche zu vereiteln, auf die sich Castellano bezog, und ihm seine Angaben stets abgenommen. In der Fischwirtschaft ging es ruppig zu: Man nahm Langzeitverpflichtungen an Bord von Schiffen mit alles andere als idealen Arbeitsbedingungen an und musste sich gezwungenermaßen einigen der unangenehmsten Wetterphasen aussetzen, die auf dem Planeten vorherrschten. Niemand musste große geistige Anstrengungen unternehmen, um sich vorstellen zu können, dass man mit einem solchen beruflichen Hintergrund durchaus als Leibwächter taugte, doch Castellano kaufte ihm das offensichtlich nicht ab – billigerweise, wie Declan wusste, denn die Angaben zu seiner Vergangenheit waren selbstverständlich aus der Luft gegriffen. Als kleiner Junge hatte er einige Zeit mit dem Angeln verbracht und war später auch auf Fischkuttern im Meer rings um Irland unterwegs gewesen, doch diese hatten weder Thunfisch noch Hummer transportiert, sondern Munition und Waffen für den IRA-Einsatz.
»Ich lernte Kafni in Boston kennen. Einige der radikalen Islamisten, die Sie erwähnten, planten einen Anschlag in einem Restaurant in Beacon Hill. Der Anführer dieser Gruppe war Deni Baktayew gewesen, der ältere Bruder von Ruslan.«
Castellano blickte wieder von seiner Akte auf. »Dann sind Sie hineingeplatzt wie ein Tausendsassa und haben den Tag gerettet?«, ergänzte er mit eintöniger Stimme und schaute wieder auf die Papiere.
Declan bestätigte nickend, obwohl er erkannte, dass es keine Frage war, sondern eine Feststellung. Es entsprach der Wahrheit … jedenfalls teilweise, denn er hatte verschwiegen, dass ihm Kafni schon ein paar Jahre früher während seiner Zeit als Mossad-Agent in Belfast begegnet war, und dass Declans Arbeitgeber in Boston zu den Strippenziehern hinter dem Attentat gehörte – eine miese Kröte namens Lorcan O'Rourke und Leiter eines Schmugglerrings im Nordosten der USA, der großzügig von einem Palästinenser, einem gewissen Hashemi, vergütet worden war, um Kafnis Tötung einzufädeln.
Castellano hob wieder seinen Kopf. »Eines führte also zum anderen, und Sie landeten in seiner Leibgarde?«
»Genau.«
»Ich will nicht um den heißen Brei herumreden, Mr. McIver«, fuhr der Agent fort, während er aufstand. »Ich – glaube – Ihnen – nicht.«
Declan blickte ihn kurz erheitert an, als wollte er entgegnen: »Was Sie nicht sagen.«
»Was im La Jetée in Beacon Hill vorgefallen war, wurde hinlänglich dokumentiert, nämlich dass Sie acht Palästinenser mit Schusswaffen unschädlich gemacht haben sollen, die Kafni und seine Familie in dem Lokal festhielten. Des Weiteren war angeblich niemand unter Kafnis Sicherheitsleuten in der Lage, das Feuer zu erwidern, weil die Schützen sie außer Gefecht gesetzt hatten, und Sie hätten nur eine Pistole mit sich geführt.« Castellano legte seine Hände aufs untere Ende des Bettgestells. »Nein, ich kenne mich nicht im Militärbereich aus, habe aber ein wenig Erfahrung und würde deshalb keinen verdammten Pfifferling darauf wetten, dass ein Fischer acht schwer bewaffnete Terroristen überwältigen kann.«
»Ich wette nicht«, erwiderte Declan nachdenklich – abermals im Bewusstsein