Verschwindende Diamanten und andere Detektivgeschichten. Mathias McDonnell Bodkin

Verschwindende Diamanten und andere Detektivgeschichten - Mathias McDonnell Bodkin


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Vermögen, das in Häusern und Ländereien besteht, dem Doktor Coleman Woodriff zufällt, der der gesetzliche Erbe des Verstorbenen ist.«

      »Da haben mir ja einen klaren Beweggrund, der auch stark genug sein dürfte,« sagte Beck.

      »Aber der Gedanke ist unsinnig,« versicherte Woodriff mit Bestimmtheit. »Selbst wenn man annehmen wollte, daß der Sohn meines Bruders ein solcher Teufel wäre, was ich für unmöglich halte, so kann er doch nichts damit zu tun haben. Er war in Liverpool, als Barbara vergiftet wurde. Er ist auch jetzt dort, während Letty hier an Gift gestorben ist.«

      »Was für ein Mensch ist denn dieser Coleman Woodriff überhaupt?«

      »Ein ganz braver und kluger Mann, wie ich höre, obgleich er nie auf einen grünen Zweig gekommen ist. Das wenige, was ich von ihm gesehen habe, hat mir nicht mißfallen. Meine verwitwete Schwester – seine Tante – Frau Coolin, die in Liverpool wohnt und ihn kennt, liebt ihn sehr. Ihre einzige Tochter Anna ist bei uns zu Besuch.«

      »Was hält denn Anna von Doktor Coleman?«

      »Sie mag ihn nicht leiden, das steht fest. Aber junge Mädchen sind oft unvernünftig. Anna ist ein schüchternes, stilles kleines Ding, zwei Jahre älter als Milly, doch würde man sie für viel jünger halten; sie ist unerfahren wie ein Kind und kennt die Welt noch wenig. Trotz ihrer Abneigung gegen Doktor Coleman, weiß sie doch nur Gutes von ihm zu berichten, Glaube mir, Paul, du tust am besten, ihn ganz aus dem Spiel zu lassen, wenn du der Sache wirklich auf den Grund kommen willst.«

      Wieder schwiegen sie eine geraume Weile. »Hat denn deine Tochter Letty den Brief erhalten, welchen sie erwartete?« fragte Beck endlich.

      »Ich weiß es nicht. Das Feuer in ihrem Zimmer war ausgegangen, aber in der Asche fand sich etwas verbranntes Papier.«

      »Und nirgends wurde eine Spur von Gift entdeckt?«

      »Nicht die geringste. Nach Aussage der Dienerschaft hat sie bei ihrer Rückkehr nichts gegessen. Ich habe ihre Tür gleich abgeschlossen in der Hoffnung, daß du kommen würdest.«

      Es kostete den unglücklichen Vater offenbar die größte Anstrengung, auf Becks Fragen klaren, ruhigen Bescheid zu geben, während Schmerz und Furcht ihn zu überwältigen drohten. Schweigend und mit völlig ausdruckslosem Gesicht schritt Beck weiter, ohne den flehenden, hilfesuchenden Blick seines Gefährten zu beachten. Endlich ertrug es Woodriff nicht länger. »Um Gottes willen, Mensch, so sprich doch ein Wort!« rief er.

      »Ich weiß nichts, was zu sagen der Mühe lohnte,« gab Beck kurz zur Antwort.

      »Glaubst du, daß ein Bubenstück verübt worden ist und daß Milly Gefahr droht?«

      »Ich fürchte es.«

      Mit der Selbstbeherrschung des armen Vaters war es aus. »Hilf mir, Paul,« flehte er verzweifelt, »rette mir die geliebte Tochter, mein einziges Kind! Gott erbarme sich meiner! Nicht wahr, du wirst mir beistehen um unsrer alten Freundschaft willen?« Inniges Mitgefühl leuchtete aus Becks Zügen auf, die wie verwandelt erschienen. »Nimm dich zusammen, John,« sagte er, dem Schulkameraden herzlich die Hand drückend. »Du wirst deine ganze Kraft brauchen, bevor die Sache zum Austrag kommt. Wie alt ist deine Tochter Milly jetzt?«

      »In einem Monat wird sie achtzehn Jahre.«

      »Das kürzt unser Geschäft ab. Könnte nicht dein älterer Bruder aus Chicago – Peter heißt er ja wohl? – dir auf der Stelle seinen Besuch machen?«

      Woodriff starrte ihn an, als hätte er plötzlich den Verstand verloren.

      »Ich meine, kann ich deinen ältesten Bruder vorstellen und etwa einen Monat lang bei dir im Hause wohnen, ohne Verdacht zu erregen?«

      »Ganz gewiß. Niemand kennt ihn hier und alle sind davon unterrichtet, daß ich ihn längst erwarte.«

      »Also, das ist abgemacht. Übermorgen wird dein Bruder Peter ganz überraschend aus Chicago eintreffen. Aber merke wohl, außer uns beiden soll niemand um das Geheimnis wissen. Keine Seele darf ein Wort davon erfahren.«

      »Auch Milly und Anna nicht?«

      »Unter keiner Bedingung. Sie müssen mich alle für Peter Woodriff halten. Heute möchte ich aber noch einen Blick in das Zimmer werfen, wo deine Tochter gestorben ist, ehe ich nach der Stadt zurückkehre.«

      »Wenn du als Peter kommen willst, solltest du dich lieber vorher gar nicht hier zeigen,« warf Woodriff klüglich ein.

      »Weiß irgend jemand, daß du den Geheimpolizisten Beck hierher berufen hast?« »Nur meine Tochter Milly.«

      »So wird es doch gut sein, wenn ich erscheine; es schadet auch gar nichts, daß ich sowohl mit Paul Becks, als mit Peter Woodriffs Augen Umschau halte. Ich glaube schwerlich, daß eine der jungen Damen oder sonst jemand mich bei meinem nächsten Besuch erkennen wird. Wie sieht denn übrigens dein Bruder Peter aus?«

      »Man sagt, daß er mir gleiche; nur ist er größer.«

      Im Hause zeigte sich Milly Woodriff sehr schüchtern und ängstlich in Gegenwart des Detektivs aus London. Die sonst so stille Anna Coolin sorgte dagegen freundlich für ihn, leistete ihm bei der Mahlzeit Gesellschaft und führte ihn nach dem Zimmer, wo noch die Leiche ihrer Cousine lag.

      »Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie behilflich sein, Herr Beck?« fragte sie und schaute ihn mit ihren unschuldsvollen blauen Augen wehmütig an. »Ich habe die arme Letty sehr liebgehabt.«

      »Davon bin ich überzeugt, mein Kind,« versetzte er in sanftem Ton. »Aber ich tue meine Arbeit am liebsten allein.«

      Beck verschloß die Tür von innen und machte sich sogleich ans Werk. Nichts entging seinen raschen Blicken, seinen flinken Händen. Zuletzt fegte er noch den Staub vom Fußboden in einen Winkel und untersuchte ihn genau; dann ließ er die Asche im Kamin durch seine Finger laufen. Er fand darin ein blaues Glaskügelchen, das an einem Ende zu einer langen Nadel geschmolzen war, und ein halbverbranntes Stückchen von einer weißen Pappschachtel. Im Kehricht entdeckte er einen kleinen gewundenen Goldring von geringem Wert, ein schmales Endchen weißes ausgezacktes Band, ein Gewirr von hellfarbigen Seidenfäden nebst vielen Stecknadeln und Haarnadeln, Diese Schätze zeigte er John Woodriff in der hohlen Hand, bevor er Abschied nahm.

      »Es sollte mich wundern, wenn ich nicht hier ein paar Buchstaben des Rätselworts hätte; nur muß es mir gelingen, sie aus dem Plunder herauszulesen,« sagte er.

      Zwei Tage später ließ sich ein großer, starkknochiger Mann, der, nach Anzug, Gestalt und Sprache zu urteilen, nur ein Jankee sein konnte, bei Herrn John Woodriff melden. Im ersten Augenblick war Woodriff ganz verblüfft. Als der Fremde ihn jedoch in seiner näselnden Sprache also anredete: »Wahrhaftig, John, du kennst deinen eigenen Bruder Peter nicht mehr. Und ich bin doch um die halbe Erde 'rum gefahren, weil ich dich mal wieder zu Gesicht bekommen wollte,« da faßte er ihn bei der Hand und hieß Beck mit großer Herzlichkeit willkommen.

      Dieser hatte sich für seine Rolle wunderbar herausstaffiert. Peter Woodriff aus Chicago war ein hochgewachsener Mann, fast drei Zoll größer als Herr Beck, dem er nicht im geringsten glich. Um die Augen und den Mund hatte er eine starke Familienähnlichkeit mit John Woodriff, die jedermann sogleich auffiel; man erkannte beim ersten Blick, daß sie Brüder waren. Als die beiden Mädchen gerufen wurden, um den Onkel Peter zu begrüßen, kamen sie schnell mit ihm auf vertrauten Fuß. Er war so klug und dabei so lieb und gut. Als er von ihrem Kummer hörte, zeigte er sich tief betrübt und bahnte sich damit den Weg zu aller Herzen.

      Von Tag zu Tag wuchs ihre Liebe zu dem Onkel, der gegen beide Nichten die Güte selber war, doch schien Anna Coolin sein Liebling zu sein. Aus der früher so lustigen, lebensfrohen Milly Woodriff lastete der Verlust ihrer Zwillingsschwester noch zentnerschwer. Wenn sie auch von Zeit zu Zeit auf Augenblicke ihren Gram vergaß und ihre feurigen dunkeln Augen wieder wie früher aufleuchteten, wenn sie einen der komischen Späße des Onkels mit heiterem Scherzwort erwiderte oder ein lustiges Liedchen zu trällern begann, so verstummte doch der fröhliche Laut gleich wieder, und der Glanz verschwand aus ihren Augen, weil die Erinnerung an ihren nie endenden Kummer von neuem erwachte.


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