THE ASCENT - DER AUFSTIEG. Ronald Malfi

THE ASCENT - DER AUFSTIEG - Ronald  Malfi


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finde es gemütlich«, entgegnete ich und nahm dabei die Wohnung etwas genauer in Augenschein.

      Klamotten lagen lose wie herabgefallenes Blattwerk auf dem Sofa und auf beinahe jeder sich anbietenden Oberfläche türmten sich Stapel von DVD's und Büchern, selbst auf dem Schirm einer Lampe; eine mögliche Brandquelle. Eine halbe Flasche Macallan Scotch zusammen mit einem Arrangement benutzter, nicht gespülter Whisky-Gläser sowie einem einzelnen Champagnerglas zierten die Oberseite eines Lautsprechers. Leere Lebensmittelboxen verschiedener Restaurants mit Lieferservice schienen über Nacht wie kleine Städte aus dem Boden gewachsen zu sein. Besonders eine Kollektion aus Boxen eines chinesischen Restaurants, welche kunstvoll auf einem Stapel DVD's thronte, der wiederum entgegen jeder Logik auf einem Haufen Bücher balancierte, zeugte von meiner Erbärmlichkeit.

      »Wie auch immer«, fuhr ich fort, das Chaos und den Zerfall um mich weiter ignorierend, »ich bin noch an diesen Stuhl gefesselt: Das erschwert natürlich das Aufräumen.«

      »Ich dachte, du würdest inzwischen die Krücken benutzen?«

      Ich warf einen raschen Blick auf die achtlos in eine Ecke gestellten Krücken. Ein Hawaiihemd hing von einer der gepolsterten Armlehnen herab.

      »Du kannst ja die Nachbarn fragen, und vielleicht werden sie dir gegenüber sogar bezeugen, jemanden gesehen zu haben, Ende 30, mit teigiger Haut, schlecht sitzender Kleidung, der ab und zu auf Krücken durch die Lobby getorkelt ist. Aber sie werden dir auch den frustrierten und niedergeschlagenen Ausdruck auf seinem Gesicht bestätigen.«

      »Du bist ein Arschloch, Tim«, stellte Marta nüchtern fest. »Ich habe eine Überraschung für dich.«

      »Tatsächlich? Was ist es, etwa eine neue Haushälterin?«

      Sie stand in der Küchentür und sah verführerisch aus in ihrem pinkfarbenen, schulterfreien Sonnentop und ihrer zu kurzen schwarzen Hose, aus der ein Paar gebräunte Beine wie helle Strahlen aus Tageslicht rauszukommen schienen. Wir waren befreundet und bisher war es nie zu einem Date gekommen. Bis auf jene Nacht vor einigen Jahren, als wir einige Stunden zusammen in einer Bar damit zugebracht hatten, uns zu besaufen. Danach kehrten wir in die Wohnung zurück, wo wir uns vor dem Fernseher etwa bei der Hälfte eines Films der Cohen-Brüder küssten. Vom Küssen steigerten wir uns zu unbeholfenem Fummeln, Marta mit nacktem Oberkörper auf der Couch, ich über ihr, mit einer Hand an ihrem Schritt – aus derselben Position war ich am folgenden Morgen aufgewacht. Wir waren beschämt über das, was zwischen uns beinahe vorgefallen wäre, und ich hatte sie seit damals weder geküsst, noch ihre Brüste gesehen. Sie durchschritt den Raum und warf mir eine DVD in den Schoß.

      »Das Fenster zum Hof«, las ich. »Witzig. Lass dir ja von niemandem einreden, du hättest keinen Sinn für Humor.«

      »Hast du die Boote gesehen?«, fragte sie, als sie wieder in die Küche verschwand.

      »Welche Boote?«

      »Sie scheinen sich für ein großes Rennen bereit zu machen. Menschen aus dem ganzen Land tummeln sich in der Stadt. Du solltest die großen Schiffe unten am Ego Alley sehen.«

      Ego Alley war der von der einheimischen Bevölkerung benutzte Name für den Hafen in der Nähe der Innenstadt, wo die grauhaarigen, inzwischen aus dem Geschäftsleben ausgeschiedenen Mogule mit stolzer Brust in ihren riesigen Jachten im Hafen herum schipperten, während bernsteinfarbene Schönheiten in knapp sitzenden Bikinis die Decks zierten. Wenn man sich diese Männer genauer besah, konnte man Pfauenfedern aus ihren Ärschen sprießen sehen. Ich schob den Rollstuhl wieder auf den Balkon und griff mir die Flasche mit dem Scotch. Ich war mir sicher, in Hafennähe einen ganzen Schwarm weißer Segel sehen zu können.

      Nachdem ich die Flasche geöffnet hatte, führte ich sie an meine Lippen und genehmigte mir einen kurzen, aber kräftigen Schluck. Marta hatte während meiner Medikation mit Schmerzmitteln aufgegeben, mich wegen des Trinkens zu ermahnen, wissend, dass ich eher auf die Medikamente, denn auf meinen geliebten Whisky verzichtet hätte. Würde sie mich jetzt beim Trinken erwischte, würde sie nur den Kopf schütteln wie jemand, der im Radio einen Bericht über einen schlimmen Autounfall gehört hatte.

      Der Unfall in der Höhle lag nun sechs Monate zurück, die letzte Operation vier Monate. Das Ergebnis waren eine Stahlplatte und ein Dutzend rostfreier Stahlschrauben, die in den Knochen meines linken Beins hineingetrieben worden waren. So etwas ließ sich nicht einfach mit herkömmlichen Schmerzmitteln lindern; so etwas befand sich weitab von jedweder, erfolgreichen Schmerzmedikation.

      »Ist der neu?«

      Ihre Stimme kam aus der Wohnung. Ich sah über meine Schulter nach hinten. Sie stand in der Diele mit einem Umschlag in den Händen.

      »Wieder aus New York?«

      »Sie sind immer aus New York«, erinnerte ich sie.

      »Du hast sie ja nicht mal geöffnet.«

      Ich nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche und beobachtete, wie ein Jet-Ski unten im Hafen schaumige Wellen auf der Wasseroberfläche hinter sich herzog. Marta war an mich herangetreten und fächerte sich mit dem ungeöffneten Brief Luft in ihr Gesicht.

      »Darf ich ihn öffnen?«

      »Von mir aus.«

      Sie riss den Umschlag auf, legte mir einen Streifen weißes Papier in den Schoß und begann, laut aus dem Schreiben vorzulesen. Allerdings kam sie nicht weit, da sie schon bald aufhörte, und humorlos fragte, was mit mir nicht stimmen würde. »Diese Leute unterbreiten dir ein tolles Angebot. Sie möchten dir den Flug bezahlen und mit dir die Details besprechen. Scheiße, was für einen Tag haben wir heute?«

      »Ich habe keine Ahnung.«

      »Scheiße. Die Deadline war bereits letzte Woche. Du hast den Deal verpatzt.«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Ist nicht wichtig.«

      »Natürlich. Nichts ist wichtig. Weder dieser Brief hier, noch all die anderen davor. Ein Schuhkarton voller Briefe liegt unter deinem Bett, weißt du das?«

      »Ich dachte, du hättest sie entsorgt.«

      »Warum sollte ich? Du hast mich nie danach gefragt, was ich mit den Briefen gemacht habe, und ich selbst habe dir gegenüber nichts davon erwähnt.«

      »Warum interessiert dich das so plötzlich?«

      Marta zerknüllte den Brief und ließ ihn in meinen Schoß fallen. Auch ohne die Papierkugel wieder zu glätten, konnte ich die hohe Qualität des Papiers erkennen, auf dem der Brief verfasst worden war. Wahrscheinlich mit einem Wasserzeichen versehen und einem Wappen – oder dem Firmenaufdruck kurz unterhalb der Überschrift.

      »Weil es zu lange her ist«, antwortete sie, während sie wieder in die Wohnung trat. »Es ist genug Zeit vergangen und du hast nichts unternommen, um wieder in die Spur zu kommen.«

      Ich wendete den Rollstuhl auf dem Balkon und folgte ihr. »Es ist aber nicht meine Absicht gewesen, wieder in die Spur zu kommen.«

      »Dann ist es höchste Zeit, dass du es tust. Du brauchst eine Aufgabe. Diese Wohnung hier gleicht einer Mülldeponie und dein Erspartes neigt sich dem Ende zu.«

      Das allerdings entsprach den Tatsachen. Seit dem Unfall war ich nicht in der Lage gewesen, meine Arbeitsstätte am College aufzusuchen. Der Versuch, die Studenten über das Semester hindurch per E-Learning durch den Kurs zu führen, scheiterte an meinen bescheidenen Fertigkeiten als Dozent. Abgesehen davon war es nicht möglich, Kunst über das Internet zu lehren.

      Glücklicherweise konnte ich mir einen langen Genesungsurlaub nehmen und so verbrachte ich die letzten Monate damit, DVD's zu schauen und mit meinem verkrüppelten Bein sämtliche Spelunken in Annapolis abzuklappern.

      »Ich hatte es dir bereits gesagt«, obwohl ich mir dessen selbst nicht sicher war, »dass ich es nicht mehr drauf habe. Mein Talent hat mich verlassen.«

      »Bist du sicher? Wann hast du das letzte Mal versucht, eine Skulptur zu erstellen?«

      »Vor dem Unfall habe ich jeden Tag im Unterricht Skulpturen …«


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