Seefahrt ist not!. Gorch Fock
sollte, ihren Mann auf See zu wissen. Sie liebte ihn tief und heiß und lag in seinen Armen wie im Sonnenschein, aber seine Fahrten machten sie bange und sie wünschte im Herzen nichts sehnlicher, als daß er kein Seefischer wäre, sondern Bauer oder Handwerker oder sonst etwas anderes an Land. Könnte er nicht etwas anderes beschicken, könnte er nicht sein Fahrzeug verkaufen, wie andere Fischer es getan hatten?
Aber Klaus Mewes — und das tun? Sie mußte doch lächeln über den Gedanken. Bis Blankenese müßte es gewiß zu hören sein, sein Lachen, wenn sie davon spräche, daß er an Land bleiben solle.
Da saß sie nun in ihrem Glück, um das die ganze arme Heide sie beneidete, war eine große Seefischerfrau mit Haus und Hof und Deich, der jede Reise die Hundertmarkscheine auf den Tisch flogen, und war doch nur ein armes Weib voll Unruhe und Bangigkeit, die immer und überall Wetter und Wolken aufsteigen sah und ihres Lebens nicht froh werden konnte. Wie manchen Tag sehnte sie sich schon nach der stillen, einsamen Geest zurück, wo sie nichts von Schiffen und von Seefahrt gewußt hatte, wie manchen Tag, wenn die Elbe in Gischt und Schaum einherging! Wie manche Nacht ließ der Wind sie nicht einschlafen, wie manches Mal jagten die Blitze sie aus dem Bett, wie oft schreckten sie die Stimmen der geängstigten Schiffahrt im Nebel! Und immer allein zu sein! Der Mann war auf See, der Junge auf der Elbe! Mit den Finkenwärder Frauen aber hatte sie wenig Verkehr und Freundschaft, weil sie fühlte, daß sie als Butenländerin nicht ganz für voll angesehen wurde.
Wie wichtig sie es in der Dönß hatten! Als wenn sie sie gar nicht vermißten! Wie sie lachten, Klaus Mewes am lautesten!
Dieses Lachen hatte es ihr angetan, als er um sie geworben hatte, denn so hatte sie noch niemals jemand lachen gehört! Das hatte sie in seine Arme gedrängt, hatte sie von der Geest in die Marsch gelockt, von dem Heidehof in das Fischerhaus, und hatte sie nicht an die Not und Schwere des Seefischerlebens denken lassen. Vergessen war es gewesen, was sie gehört und gelesen hatte von Sturm und Untergang: wo einer so lachen konnte, da konnte weder Unglück noch Gefahr sein, hatte sie gemeint, als Klaus sie freite.
Er lachte noch just so wie damals, er hatte es noch nicht verlernt, aber sie konnte es jetzt nicht mehr ohne Schmerz hören, es schnitt ihr ins Herz, wenn sie an das Finkenwärder Elend, an die Witwen und Waisen, an all die Tränen und unruhigen Stunden dachte, es kam ihr wie ein Frevel, wie eine Sünde vor. Daß er so verwegen war, machte ihr das Herz noch schwerer, und eine trübe Ahnung früher Witwenschaft hing ewig wie ein dunkles Gewölk über ihrem Leben.
Wie laut sie erzählten, die beiden Seefischer! Gewiß von nichts anderem als von Fahrt und See, und die durstige Seele des Jungen trank es. Der war schon der See verfallen, war dem Deich und ihr schon verfremdet und wurde es von Tag zu Tag mehr. Es war ja schon ausgemacht, daß er den Sommer mit an Bord solle: all ihr Bitten war bisher vergeblich gewesen.
Es war ein Herzleid, ein hartes Leid! An sie und ihre Heide dachte kein einziger, niemand bekümmerte sich darum. Wie lange Zeit war sie nicht mehr zu ihren Eltern gekommen, die ihren Enkel kaum kannten! Klaus lachte, wenn sie davon sprach, sie solle gern hingehen und alle grüßen, aber was er auf der Geest beschicken solle? Er könne auch so weit nicht laufen. Den Jungen bekam sie nur mit halber Gewalt dazu, daß er mitging. Seitdem er wußte, daß sein Vater sich nichts aus der Geest machte, trug auch er kein Verlangen danach. Dort sei für einen Seefischer nichts zu lernen, echote er, dort gäbe es ja nur Heide und Sand und Steine und weiter gar nichts.
Schließlich aber ging Gesa doch nach der Dönß zurück, weil ihr zu kalt wurde, suchte ihr Strickzeug her und setzte sich neben den weißen Kachelofen.
„Kiek mol an, Mudder knütt ok, Vadder,“ rief der Junge lustig, „kiek mol an, Kap Horn, un uns will se wat seggen!“
Da mußte sie wider Willen doch mitlachen.
„Wat sä de Pastur denn Godes, Klaus?“ fragte der Knecht, „hette ok beet, dat dat Is bald doldrifft un wi no See seilen könnt?“
„Jo, dat segg man,“ sagte Klaus und riß grimmig an seiner Kurre, „ik wull, dor keum mol Westenwind achter!“
Er blickte über die Schallen, auf denen die Fleek, das dicke Eis, schon seit Fastelabend lag. Bis an den Nienstedter Fall, bis in die Mitte der Elbe stand es noch, zwar schwärzlich und mürbe, aber es hing doch noch zusammen. Dagegen war das Fahrwasser drüben schon fast frei von Eis, dort trieben nur noch große und kleine Schollen. Dort segelten denn auch schon die Fischerfahrzeuge vom Audeich, dem anderen Ende des Eilandes, dort kreuzten schon die Dreuchewer und Jalken, dort fischten schon die Altenwerder Jollen nach Stinten und Sturen und die Hamburger Smietnettfischer nach Butten, während das Neßgeschwader, das aus dreißig Ewern, neun Kuttern, sieben Wattjollen, einigen fünfzig Elbjollen und Böten bestand, noch im Eise festsaß und nicht mitkonnte. Die Auer und Blankeneser kamen schon mit den ersten lebendigen Schollen die Elbe herauf, einige hatten schon große Reisen nach der Weser gemacht: Klaus Mewes aber und seine Nachbarn saßen noch fest. Wenn der Eisbrecher binnen Wasser genug gehabt hätte, wäre ihnen längst geholfen gewesen, aber der große Beißer konnte nur eben den Rand ein wenig glatt fressen.
Klaus Mewes sah, daß zwei weiße Kutter von einem kleinen Schlepper von Blankenese heraufbugsiert wurden, die sicherlich den Bünn voller Schollen hatten, und kam sehr in Fahrt. Seine Gedanken zertrümmerten das Eis und brachen sich einen Weg nach dem offenen Wasser.
„Kap Horn, wat meenst dorto, wenn wi sülben Isbreker speelt?“ rief er.
„Wat seggst du, Klaus? Du wullt en Isbreker utgeben?“ fragte der alte Janmaat, der gerade mit brausendem Monsun in den Segeln zwischen dem Kap der guten Hoffnung und Singapur schipperte und deshalb nicht zugehört hatte.
„Wi weut di bi Isbrekers,“ warf Störtebeker laut dazwischen, „swarten Kaffe schallst du hebben!“ Klaus aber hatte seinen Plan schon unter Segeln. „Wi möt allemann bi,“ rief er, „Hütz mitte Mütz, Lütjfischers un Seefischers, Schippers un Lüd! Wi stekt uns beiden Kurrlienens ut un spannt uns alltohop vör un denn teht wi an! Schallst mol sehn, wo gau wi denn not Fohrwoter raf kommt!“
„Jä!“
„Wat jä? Meenst, wat wi ne soveel Hölpslüd uppen Hümpel kriegt?“ fragte der Schiffer.
„Ik hilp ok mit,“ versicherte der Junge wichtig, „ik kann wat tehn, Vadder!“
„Du bliffst hier, Klaus,“ kam es aber mit Gegenwind vom Ofen her, „meenst du, wat du dor ünnert Is kommen schallst!“
An Hilfsleuten würde es wohl nicht fehlen, gab der Knecht zu, aber wer würde sein Fahrzeug zum Eisbrecher machen wollen? Das sei der Knoten!
Der am weitesten im Eis stecke, erwiderte Klaus. Er selbst! Er wolle es wagen, sein Ewer sei einer der stärksten und könne es am besten ab, er wolle gleich am andern Morgen alles klar machen, und Kap Horn solle dann den Deich abklopfen und es aussingen, daß die Eisbrecherei mit Hochwasser anfangen solle. „Denn könt wi offermorgen all up de Schullen dol, Mudder!“
„Huroh, offermorgen geiht no See!“ rief der Junge, warf die Bunge hin und machte, daß er hinauskam. In voller Fahrt lief er den Deich entlang, daß die Enten im Graben ein lautes Gequark anstimmten und sich erst nach und nach von dem grünköpfigen Wart beruhigen ließen. Wat, wat hebbt ji egentlich, dat, dat is de Jung doch, doch jo bloß! So schnatterte der Wart.
„Du kummst ober noch ne mit,“ wollte Klaus gerade sagen, aber er kam gar nicht mehr dazu. Der Junge war schon um die Huk, er hörte auch nicht mehr, daß Gesa laut ans Fenster klopfte und ihn zurückrufen wollte.
„Wat will he? All Bescheed seggen?“ fragte Kap Horn lachend, aber sein Schiffer lachte noch lauter und sagte: „De? Ne, de will no den Schoster hin un sien Seestebeln holen. Wenn de klor sünd, schall he jo mit an Burd, un he will woll all gliek de irste Reis giern mit.“
„Dor hest du ok wat scheunes mokt, Klaus,“ sagte Gesa kopfschüttelnd, „dat du em de Stebeln anmeten loten hest! He löppt elken Dag söbenmol hin un kött an! De Schoster seggt, he kann em all gorne mihr hinholen.“
„Jä — du liebe Zeit,“ erwiderte