Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen. Jakob Wassermann

Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen - Jakob Wassermann


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      Lassunsky

      Nun wohl, ihr werdet binnen kurzem Besuch erhalten, noch dazu sehr unwillkommenen. Sperr die Tore zu.

      Chidrowo

      Sperr die Tore zu, Alter.

      Lassunsky

      Ja, sperr die beiden Tore zu, das nach der Gasse und das nach dem Garten.

      Rodion

      Ist Gefahr für Seine gräfliche Gnaden?

      Chidrowo

      Schwatz nicht, Alter, tu, was man dir befiehlt. (Rodion ab.)

      Lassunsky

      (wirft sich in einen Sessel)

      Ich bin hin.

      Chidrowo

      (ungestüm auf und ab gehend)

      Wie glaubst du, daß Alexei Grigorjewitsch die Nachricht aufnehmen wird?

      Lassunsky

      Kann mich nicht erinnern, ihn je sonderlich erstaunt gesehen zu haben.

      Chidrowo

      Das ist böse.

      Lassunsky

      Bah! wer viel staunt, handelt wenig.

      Chidrowo

      So viel sag ich dir: wenn die Kaiserin den Orlow heiratet, nehm ich meinen Abschied.

      Lassunsky

      Nach Sibirien.

      Chidrowo

      Einem Orlow huldigen? Eher nach Sibirien.

      Lassunsky

      Was können wir dagegen tun?

      Chidrowo

      Die Fürstin Chilkow hat geweint, als sie davon erfuhr.

      Lassunsky

      Die flennt, wenn man einem Huhn den Hals abdreht. Als Rakitin mit ihrem Wissen ihren Mann erschlug, hat sie keine Träne vergossen. (Man hört Waffenlärm von der Straße.) Horch –! (Beide lauschen.)

      Chidrowo

      (nähert sich dem Erker)

      Nein – nichts. (Stellt sich vor Lassunsky; ungestüm.) Michael Jefimowitsch! Wir sollten hingehen und die Kaiserin bitten, es nicht zu tun. Haben wir ihr nicht auf den Thron geholfen? Wir alle? Wir sind bereit, für sie zu sterben, nur das, das eine, das nicht! Sie kann sich unsern Gründen nicht verschließen.

      Lassunsky

      Sie wird aus deinen Gründen einen Strick für den Henker drehen.

      Chidrowo

      Herrgott, Michael Jefimowitsch, sie ist doch eine kluge Frau!

      Lassunsky

      Sie ist verliebt.

      Chidrowo

      Was ist denn an einem Orlow zu lieben?

      Lassunsky

      Was wir an ihm hassen.

      Chidrowo

      Sein Ehrgeiz macht ihn verrückt.

      Lassunsky

      Er ist schön, und stark wie ein Bär.

      Chidrowo

      Er hat keine Erziehung.

      Lassunsky

      Umso weniger ist er gehemmt.

      Chidrowo

      (leise durch die Zähne)

      Ich sage dir: er wird sie ermorden, so wie er den Zaren ermordet hat.

      Lassunsky

      Dummkopf! Er war nur die Hand. Katharina ist tausendmal schlauer als er. O, das ist ein Weib, mein Lieber, die steckt uns alle in den Sack.

      Chidrowo

      Wo ist da die Schlauheit? Die Mariage ist projektiert. Es muß ein Mittel gefunden werden, sie davon abzubringen.

      Lassunsky

      Du bist Soldat und mußt schweigen.

      Chidrowo

      Schweigen kostet Herzblut.

      Lassunsky

      Ich meinerseits will nicht Politik treiben, da hast du’s.

      Chidrowo

      Aber die Zähne knirschen? Das ist auch eine Art von Politik und eine schlechte. Wie stumpf du bist!

      Lassunsky

      Stumpf?

      Chidrowo

      Oder du weißt mehr als du sagen willst.

      Lassunsky

      Wohl möglich. Vielleicht wirst du heute noch alles erfahren.

      Chidrowo

      Wie ist’s? warum wollte der Großkanzler mit Rasumowsky verhandeln?

      Lassunsky

      Ist dir nicht bekannt, daß Alexei Grigorjewitsch heimlich vermählt war mit der verstorbenen Kaiserin Elisabeth Petrowna?

      Chidrowo

      Dies ist mir wohl bekannt, allein – wie hängt das zusammen?

      Lassunsky

      (sieht sich um)

      Schweig, schweig.

      Chidrowo

      Im Hause Rasumowskys sind die Wände taub.

      Lassunsky

      Nicht um die Wände handelt sich’s. (Steht auf.) Aber er! Er! Dieser furchtlose Mann! Der furchtloseste, der in Rußland lebt. Wie ich ihn verehre, Fedor Alexandrowitsch! Wüßtest du wie ich ... In wunderbarer Verschwiegenheit ist er der Geliebte einer Kaiserin gewesen. Niemals hat ihn eine Miene, nie ein Lächeln verraten. Nie hat er Schacher getrieben mit seinem Glück. Nie war er ungerecht. Und jetzt (schmerzlich) jetzt soll er sich ausliefern. Weil ein Orlow mit der Vergangenheit dieses gerechten Mannes seine Zukunft gründen will!

      Chidrowo

      Ausliefern? Ich verstehe dich nicht, Michael Jefimowitsch. Kein Wort verstehe ich von allem was du sagst.

      Lassunsky

      (kummervoll)

      Und er wird Grigorij Orlow empfangen. Er wird ihn einlassen, ich weiß es.

      Chidrowo

      Du meinst, weil er sich nicht getrauen wird, den ersten Günstling der Krone von seiner Türe zu weisen?

      Lassunsky

      Nicht deshalb, Fedor Alexandrowitsch, nicht deshalb. Sondern eben, weil er so gerecht ist. Und wenn Orlow vor ihm steht, dieser Sturmwind, dieser Leopard, kannst du ermessen, was dann geschieht? Mich jammert’s, Fedor Alexandrowitsch, und ich fühle mich machtlos. Die Dinge geschehen, und wir sind machtlos.

      Chidrowo

      Du schwaches russisches Herz! So will ich dir sagen: Rasumowsky wird Grigorij Orlow nicht empfangen.

      Lassunsky

      (aufmerksam)

      Schon vorhin hast du angedeutet, daß Orlow es nicht wagen würde ... Da steckt was dahinter.

      Chidrowo

      Weißt du nicht, was sich am Ostertag auf der Morskaja zugetragen hat?

      Lassunsky

      Kein Sterbenswort.

      Chidrowo

      Wahrlich, in unserm Leben sind die Geschehnisse wie Träume ... (Faßt sich an die Stirn.) So kurz die Zeit, so weit entrückt.


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