Robert Blum: Ein Zeit- und Charakterbild für das deutsche Volk. Blum Hans
bezeichnenden Schlußworte des Helden:
Seid einig, Griechen! Wenn Ihr einig seid,
Dann seid Ihr frei und keine Macht der Erde
Vermag es, Euch die Freiheit zu entreißen.
Ein einig Volk ist stark, unüberwindlich!
Um dieses stille Schaffen im Zusammenhang darzustellen, sind wir dem Gange der Lebensschicksale Blum’s um Jahre vorangeeilt. Denn die letzten dieser Dichtungen sind schon auf Leipziger Boden erwachsen.
Nach Leipzig war Ringelhardt mit dem Ende der Kölner Wintersaison von 1831 auf 1832 gezogen und hatte hier das Stadttheater übernommene: Blum sollte Mitte Juli als Theaterdiener folgen. Da wurden dem jungen Manne gleichzeitig zwei lohnendere Stellen angeboten: die eine in der Redaction einer Kölnischen Zeitung, die andere als Theater-Secretär bei einer wandernden Truppe der Rheinprovinz. Beide Angebote meldete er Ringelhardt nach Leipzig, und dieser antwortete am 24. Mai von Ostrau: „In Bezug einer Anstellung für Sie in Leipzig kann ich Ihnen vorläufig Folgendes berichten: ... ich will Ihnen einen monatlichen Gehalt von fünfzehn Thaler zahlen, mit der Zusicherung, daß, wenn Sie sich in die Geschäfte eingearbeitet haben, ich die 200 Thaler“ (pro Jahr) „voll machen will. Sie arbeiten dafür alle Schreibereien im Bureau, die ich Ihnen übertrage, sei es das Schreiben von Briefen, seien es Copialien oder Rechnungen oder das Ausschreiben von Rollen (!). Sie übernehmen ferner (!) die Geschäfte bei der Casse und Controlle, die Ihnen übertragen werden, sowie andere Arbeiten des Theaters, die in das Fach einschlagen.“ Blum sagte zu. Darauf lief, nach einer längeren Abwesenheit Ringelhardt’s in Wien, von diesem ein zweiter Brief vom 25. Juni ein, in dem es hieß: „Ihr Engagement können Sie am 15. July hier antreten, weil ich mit Ihnen alle Casseneinrichtungen vorbereiten will und die Billets einrichten, sowie Bibliothek und Musikalien, die ich unter Ihre Aufsicht stelle. Demnach werden Sie Theatersecretair, Bibliothekar und Cassenassistent (!), das ist die Stellung, die ich Ihnen gebe .... Sagen Sie dem Friseur Deveney, den ich bestens grüße, er solle Ihnen das Recept von dem Spiritus zur Stärkung der Haare geben, und bringen Sie mir es mit!“ Die weiteren Anordnungen des Briefes, welcher unter Anderem versicherte: „Sie können mit Vertrauen zu mir kommen, auch finden Sie hier ein anderes Treiben und Leben als in Köln“, waren der mit Rücksicht auf die Cholera zu wählenden Reiseroute gewidmet, damit Blum unterwegs nicht etwa „Contumaz“ halten müsse.
Ob das heißbegehrte Recept zur Stärkung der Haare mitgenommen worden ist, weiß ich nicht. Jedenfalls konnte Blum erst am 20. Juli nach Leipzig reisen.
Er eilte der Stadt entgegen, die ihm mehr als die eigene Vaterstadt zur Heimath werden sollte, zur Stätte seines Glückes, seines vielseitigsten Wirkens, zur Wiege seines Ruhmes, der weit über die Grenzen seines Vaterlandes und seiner Zeit hinausdringen sollte.
6. Die ersten Jahre in Leipzig.
(1832–1836).
Leipzig war, als Robert Blum hierher übersiedelte, eine Stadt von wenig über vierzigtausend Einwohnern, die sich hauptsächlich in der inneren Stadt zusammendrängten[10]. Große Privatgärten bedeckten noch dicht vor den Thoren der inneren Stadt weite Flächen Landes. Heute ziehen dort zahlreiche Straßenzeilen nach allen Richtungen hin. Zu Vorstädten waren damals überall erst Ansätze vorhanden. Pünktlich um zehn Uhr Nachts wurden alle Thore geschlossen, an denen strumpfstrickende Stadtsoldaten für die Ruhe der Bürger gewacht hatten, bis die glorreiche Errungenschaft der Communalgarde diese Sorge übernahm. In der städtischen Verwaltung herrschte noch unleidlicher Zopf; erst allmählich lernte die Bürgerschaft die Freiheiten üben, welche die neue Städteordnung vom 2. Februar 1832 gewährleistete. Eng war im Allgemeinen der Horizont des Eingeborenen. Von einem Feuer, das in der Stadt ausbrach, konnte man sich eine Woche lang ausschließlich unterhalten. Das Leibblatt des Leipzigers, das „Tageblatt“, hatte damals ein Format von 22:29 Centimeter und bot höchstens — aber sehr selten — zwei Druckseiten eigene Artikel, einschließlich der amtlichen Bekanntmachungen; die übrigen zwei Druckseiten wurden von der berühmten „Eselswiese“ und Anzeigen ausgefüllt. Die große Leipziger Revolution vom 2. September 1830 war in der Hauptsache das Werk von Handwerkern und Studiosen und hatte die Kraft ihrer Sturmeswogen an einigen Fenstern und Mobilien offenbart. Selbst die Kaufmannschaft, das hervorragendste Element der Bürgerschaft, widerstrebte unklar und pessimistisch der wirthschaftlichen Hauptaufgabe der Zeit: dem Anschluß Sachsens an den Zollverein. Von ihr ging der Angstruf aus, der sich zum Glaubenssatze des Leipzigers jener Tage ausgebildet hatte: daß Leipzigs Blüthe dahin sei, und mit dem Anschluß an den Zollverein der ganze Leipziger Handel einpacken müsse! Die neue Verfassung des Landes war noch kein Jahr alt. Als die Weissagung einer neuen besseren Zeit war sie auch in Leipzig begrüßt worden.
Die Feier des Verfassungsfestes (4. Sept.) bietet von 1832 an den fortschreitenden Elementen der Bürgerschaft den legitimen Anlaß, sich feierlich zu versammeln und in Trinksprüchen und Reden Umschau zu halten über die öffentlichen Zustände, die noch unerfüllten Wünsche des Landes. Mit großer allgemeiner Illumination wurde 1832 das Verfassungsfest gefeiert. Der reiche geadelte Wollhändler und Schafzüchter Speck von Sternburg ließ an seinem Hause in der Reichsstraße ein Transparent erscheinen, das die Worte trug:
O möchte doch in unserm schönen Sachsen
Electoral veredelt wachsen.
Den nächsten Abend erschien gegenüber ein Transparent, das diese beiden Verse wiederholte und hinzufügte:
Damit der Speck auf dieser Erde,
Noch immer fetter, fetter werde.
Ueberhaupt liebte es der gesunde Bürgersinn des Leipzigers, an Denjenigen seinen Witz zu üben, die nach Standeserhöhung trachteten. Als ungefähr um dieselbe Zeit ein Mitinhaber der alten Firma Limburger und Frosch geadelt wurde, war am Tage nach der Bekanntmachung des Ereignisses an dem Geschäftslokal der Firma folgende Schrift zu lesen:
Ici demeure le chevalier sans peur et sans reproche, Autrefois Limburger et Frosch.
Wie eigenartig, vielseitig und vielversprechend für die Zukunft pulsirte überhaupt das geistige Leben in dieser deutschen Mittelstadt! Wohl kaum ein Schriftsteller der damaligen Zeit hatte nicht Verlagsbeziehungen zu Leipzig; fast Jeder von ihnen ist irgend einmal vorübergehend oder für längere Zeit nach Leipzig geführt worden. Nicht die unbedeutendsten hatten in Leipzig dauernd ihre Heimath gewählt. Sie alle lernte Blum allmählich kennen. Weithin glänzte schon damals der klare Stern der Leipziger Hochschule. Mit dem Verfassungsbruche in Hannover (12. Nov. 1837) ward auch der bedeutende Germanist Albrecht der Universität dauernd gewonnen. In der Musik braucht man nur an Namen wie Mendelssohn, Robert Schumann, Rietz, zu erinnern[11]. Das Theater, von jeher ein Liebling des Leipziger Publicums in Freud und Leid, in Fried und Streit, war von 1817 bis 1828 unter Küstner’s Leitung gestanden, 1829 sollte es unter königlicher Aegide neu organisirt werden. Unter Ringelhardt (1832) und noch mehr unter Schmidt (1844 flg.) wurde es zu einer Pflanzstätte der reinsten künstlerischen Bestrebungen und Darstellungskunst. Kaum ein berühmter Schauspieler, der hier nicht längere Zeit wirkte! Rasch und freudig hat endlich die rege, gesunde Stadt von den Freiheiten, welche Verfassung, Städteordnung, Zollverein boten, kräftig Besitz ergriffen. Am Ausgange der dreißiger Jahre schon regt sich Handel und Industrie der Stadt nicht minder hoffnungsvoll wie politischer und communaler Freisinn. Die stillen Freundschaftsgemeinden, die hier zahlreicher und intensiver wirken, als anderswo, thaten das Beste zu dieser Wandlung.
Von selbst bot das Theater und Robert Blum’s Stellung als Secretair an demselben, mit einem so großen Wirkungs- und Pflichtenkreis wie die contractliche Vereinbarung mit Ringelhardt ihn Blum auferlegte, zahlreiche Gelegenheiten zur Anknüpfung interessanter Bekanntschaften. Das Theater führte ihn mit allen Kreisen der Gesellschaft in Berührung, zumeist mit Schriftstellern, Musikern, Künstlern, aber auch mit dem Rathe, Redacteuren, Buchhändlern, Gelehrten. — Mit Herloßsohn, Marggraff, Gustav Kühne, Julius Mosen, Burkhardt, Dr. Apel, Sporschil, Georg Günther, Carl Cramer, Lortzing, Hofrath Winkler (Th. Hell), sehen wir ihn bald in eifrigem, persönlichem oder schriftlichem