Der Weltkrieg, Deutsche Träume. August Niemann

Der Weltkrieg, Deutsche Träume - August  Niemann


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Frankreich für den Fall eines Krieges gegen England abgeschlossenen Schutz- und Trutzbündnisses den meisten der hier Versammelten nicht mehr unbekannt gewesen sein, so war die Vorlesung der Depesche, der man in atemloser Spannung gefolgt war, doch unverkennbar von tiefer Wirkung. Ihre Bekanntgabe ließ keinen Zweifel mehr, daß man an höchster Stelle zu diesem Kriege entschlossen sei, und wenn auch keine laute Kundgebung des Beifalls erfolgte, ging es doch wie ein Aufatmen der Erleichterung durch die illustre Versammlung, und deutlich war auf fast allen Gesichtern die freudigste Genugtuung zu lesen.

      Einer nur blickte mit finster zusammengezogenen Brauen wie in ernster Mißbilligung drein — und dieser Eine galt seit Jahrzehnten für den einflußreichsten Mann in Rußland — für eine Macht, die schon oft alle Pläne der leitenden Staatsmänner durchkreuzt und mit unbeugsamer Energie ihren Willen durchgesetzt hatte.

      Das war der vielgehaßte und noch mehr gefürchtete greise Pobjedonoszew, der Oberprokurator des heiligen Synod.

      Seine düstere Miene und sein Kopfschütteln waren dem präsidierenden Großfürsten nicht entgangen. Und er hielt es offenbar für seine Pflicht, dem durch die Gunst dreier Zaren fast allmächtig gewordenen Manne Gelegenheit zur Aeußerung seiner abweichenden Meinung zu geben.

      Auf seinen Wink erhob sich der Oberprokurator und sagte unter lautloser Stille der Versammelten:

      „Es kann nicht meine Aufgabe sein, mich über die Möglichkeit oder die Aussichten eines Bündnisses mit Deutschland zu äußern. Denn ich kenne ebensowenig wie einer der hier Anwesenden die Absichten und Pläne des deutschen Kaisers. Wilhelm II. ist die große Sphinx unserer Zeit. Er spricht viel, und seine Reden machen den Eindruck vollster Offenherzigkeit. Wer aber mag erraten, was sich hinter ihnen verbirgt? Daß er sich ein bestimmtes Programm für sein Lebenswerk gesetzt hat, und daß er der Mann ist, es durchzuführen, gleichviel, ob die öffentliche Meinung für ihn oder gegen ihn sei, scheint mir gewiß. Bildet die Niederwerfung Englands einen Teil dieses Programms, so dürfte die Hoffnung des französischen Ministers ja in der Tat keine Utopie sein, vorausgesetzt, daß Kaiser Wilhelm den gegenwärtigen Zeitpunkt für den geeigneten hält, der Welt seine letzten Ziele zu offenbaren. Die Aufgabe unseres diplomatischen Vertreters am Berliner Hofe würde es sein, sich darüber zu informieren. Aber eine andere Frage wäre es, ob Rußland eines Bündnisses mit Deutschland oder mit der westlichen Macht, die vorhin hier genannt worden ist, überhaupt bedarf. Und meine Anschauung der Dinge führt mich dahin, diese Frage zu verneinen. Rußland ist zur Zeit in Europa der letzte und einzige Hort des absolutistischen Prinzips. Und wenn ein von Gottes Gnade zu dem höchsten und verantwortlichsten aller irdischen Aemter berufener Herrscher stark genug bleiben soll, den Geist der Unbotmäßigkeit und der Unmoral niederzuwerfen, der sich hier und da unter dem Einfluß fremder staatsfeindlicher Elemente in unserem geliebten Vaterlande regen will, so müssen wir vor allem darauf bedacht sein, das Gift der sogenannten liberalen Ideen, des Unglaubens und des Atheismus, mit dem es von Westen her verseucht werden soll, von unserem Volke fernzuhalten. Wie wir vor einem Jahrhundert den mächtigen Heerführer der Revolution niedergeworfen haben, so werden wir auch heute über unsern Feind triumphieren — wir ganz allein! Laßt unsere Heere in Persien, Afghanistan und Indien einmarschieren und durch ganz Asien die Herrschaft des wahren Glaubens zum Siege führen. Aber hütet unser heiliges Rußland vor der Ansteckung durch das Gift jenes ketzerischen Geistes, der ihm ein schlimmerer Feind werden würde, als es ihm je eine auswärtige Macht sein kann.“

      Er setzte sich, und sekundenlang herrschte eine tiefe Stille. Der Großfürst machte ein ernstes Gesicht und wechselte ein paar geflüsterte Worte mit seinen beiden Neffen.

      Dann sagte er: „Von all den Herren, die uns hier ihre Ansichten vorgetragen haben, ist die Kriegserklärung an England als eine zwar tief beklagenswerte aber den Umständen nach unabweisbare Notwendigkeit bezeichnet worden. Ehe ich aber Seiner Majestät, unserem erhabenen Herrn, diese Anschauung als die der hier Versammelten unterbreite, richte ich an Sie, meine Herren, die Frage, ob unter Ihnen jemand ist, der eine abweichende Meinung vertritt. Ich würde ihn bitten, sich zum Worte zu melden.“

      Er wartete eine kleine Weile, aber niemand leistete der Aufforderung Folge. Da erhob er sich aus seinem Sessel und gab durch ein kurzes Wort des Dankes und durch eine leichte Verneigung gegen die ebenfalls aufgestandenen Würdenträger kund, daß er die Sitzung, die für die Geschicke der Welt von entscheidender Bedeutung gewesen war, als geschlossen betrachte.

       Inhaltsverzeichnis

      Es war zu Chanidigot im britischen Ostindien. — Der blendenden Helligkeit des heißen Tages war unvermittelt, fast ohne Dämmerungsübergang, die abendliche Dunkelheit gefolgt und mit ihr eine erquickende Kühle, die alles Lebendige aufatmen ließ.

      In dem weiten Camp, das dem englischen Lancerregiment als Lagerplatz diente, war es mit dem Sinken der Sonne lebendig geworden. Die Soldaten, frei von der Last des Dienstes, vergnügten sich je nach Laune und Temperament mit Spiel, Gesang und fröhlichem Zechen. Auch in dem großen Zelt, das als Offiziersmesse benutzt wurde, ging es lebhaft her. Das gemeinsame Mahl war vorüber, und ein Teil der Herren hatte sich nach täglicher Gewohnheit zum Kartenspiel niedergesetzt. Aber die Unterhaltung war hier weniger harmlos als draußen bei den gemeinen Soldaten. Denn man begnügte sich nicht mit einem unschuldigen Whist, sondern spielte bei ziemlich hohen Einsätzen das in Amerika und teilweise auch in England beliebte Poker, bei dem lediglich der Zufall und eine gewisse schauspielerische Geschicklichkeit der Teilnehmer den Ausschlag gibt. Zumeist allerdings waren es die jüngeren Herren, die diesen abendlichen Nervenkitzel in dem eintönigen Lagerleben als unentbehrlich betrachteten. Die älteren saßen mit ihren kurzen Pfeifen und ihrem Whisky und Sodawasser plaudernd an den abseits stehenden Tischen. Auch ein Herr in bürgerlicher Kleidung war unter ihnen. Die zuvorkommende Höflichkeit, mit der man ihn behandelte, ließ vermuten, daß er nicht dem Offizierkorps des Regiments angehörte, sondern nur dessen Gast war. Der Klang seines Namens — man redete ihn mit Mr. Heideck an — würde seine deutsche Abstammung verraten haben, auch wenn sie sich nicht schon in seiner äußeren Erscheinung kundgegeben hätte. Er war von nur mittelgroßer Gestalt, aber von athletischem Körperbau. Seine straffe, soldatische Haltung und die elastische Leichtigkeit seiner Bewegungen waren unzweideutige Kennzeichen einer vortrefflichen Gesundheit und einer nicht geringen körperlichen Kraft. Für den Engländer aber kann der Fremde kaum eine bessere Empfehlung mitbringen als diese. Und vielleicht war es vor allem seine imponierende Erscheinung gewesen, die im Verein mit seinem liebenswürdigen, durchaus gentlemanmäßigen Auftreten diesem blondbärtigen jungen Deutschen mit dem scharf geschnittenen, energischen Gesicht und den treuherzig blickenden, blauen Augen so schnell Zutritt in die sonst sehr exklusiven Offizierskreise verschafft hatte.

      Seinem Stande nach mochte er ja nach der Auffassung einiger dieser Herren nicht gerade in ihre Gesellschaft gehören. Denn man wußte, daß er zu geschäftlichen Zwecken für ein großes Hamburger Handelshaus reiste. Sein Oheim, der Chef dieses Hauses, befaßte sich mit dem Import von Indigo. Und da der Maharadjah von Chanidigot sehr ausgedehnte Indigo-Plantagen besaß, hielt die geschäftliche Verhandlung mit dem Fürsten den jungen Heideck nun schon seit vierzehn Tagen hier fest. Es war ihm gelungen, während dieser Zeit die lebhaften Sympathien namentlich der älteren britischen Offiziere zu gewinnen. In den indischen Garnisonen ist jeder Europäer willkommen, man zog Heideck auch zu denjenigen geselligen Veranstaltungen hinzu, an denen die Damen des Regiments teilnahmen.

      Die Einladung zum Spiel hatte er indessen jedesmal mit höflicher Bestimmtheit abgelehnt, und auch heute machte er dabei nur den unbeteiligten, wenig interessierten Zuschauer.

      Jetzt öffnete sich die Tür des Zeltes, und sporenklirrend, in sehr selbstbewußter, fast hochmütiger Haltung trat ein hochgewachsener, aber auffallend hagerer Offizier in den Kreis der Kameraden. Er war im Dienstanzuge und sprach zu einem der Herren, der ihn als Kapitän Irwin begrüßt hatte, davon, daß er einen zur Inspizierung eines Außenpostens unternommenen anstrengenden Ritt hinter sich habe. Von einer der


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