Die große Gauklerin: Ein Roman aus Venedig. Carry Brachvogel
genau unterscheiden konnte, woran ihr Denken hing, daß sie nur eine Sehnsucht empfand, die sie zu gleicher Zeit erschreckte und beglückte, eine Sehnsucht, die die Arme weit ausbreitete, um etwas zu empfangen, dessen Namen sie noch nicht kannte oder sich noch nicht zu nennen traute. An diesem Tag und an andern, die ihm folgten, spürte Elisabeth erst wieder, daß sie jung und daß das Leben ihr noch alles schuldig geblieben war. Im Harm um ihre erste Liebe, in den kleinlichen Sorgen, durch die sie Jahr um Jahr mit den Eltern geschritten war, hatte sie's fast vergessen, war immer schon zufrieden gewesen, wenn keine Katastrophe die bescheidene Zufriedenheit ihres Elternhauses gestört hatte. Nun aber war's ihr, als stünde hier, in Venedig, irgendwo das Glück für sie bereit und hätte seinen Nachen an den weiß-blauen Pfählen des Palazzo Priuli festgebunden.
Während Ettore mit seiner dunkelroten Rose dahinfuhr, war er sehr zufrieden. Heute war er ohne jede Anstrengung der schöne Priuli, dessen Lächeln ganz Venedig kannte und in das die Frauen verliebt waren. Wie alle Tage, so machte er auch heute eine etwa einstündige Fahrt auf dem Canal Grande, denn wenn die elegante Welt Venedigs auch um diese Zeit hier nicht zu sehen war, so hielt Ettore es doch für unterhaltend und auch für klug, sich eben in dieser Stunde in das Fremdengewühl zu mischen. Er wußte ja, wie bestechend er in seiner malerischen Gondel wirkte, und er hatte noch immer, trotz verschiedener Fehlschläge, die Hoffnung nicht aufgegeben, daß sich eines Tages eine Milliardärin hier, auf dem Canal Grande, in ihn und seinen glänzenden Apparat verlieben würde. Früher wenigstens hatte er darauf gerechnet, ehe die Schöttlings in seinen Gesichtskreis getreten waren, jetzt hoffte er, vielleicht noch einmal der Gondel mit dem blonden Mädchen zu begegnen. Er war zufrieden mit sich und eigentlich schon glücklich. Was er auf dem Lido nur wie im Scherz, nur wie unter dem Eindruck einer Laune gesprochen hatte, schien, durch seltsame Zufälle begünstigt, Wirklichkeit werden zu wollen, eine Wirklichkeit, von der ein warmes Glücksgefühl auf ihn niederfloß. Warum ihm Elisabeth und ihr Besitz mit eins so teuer schien? In erster Linie natürlich ihrer großen Erbschaft wegen, denn obwohl die Priuli keine Kriege mehr führten, brauchten sie doch Geld, Geld und nochmal Geld. Seit Jahrzehnten und länger noch waren sie ja nur mehr Nachfahren, hatten niemals die Hände oder die Gedanken geregt, um selbständig zu erwerben, was ihnen große Ahnen hinterlassen hatten. Stolz und fröhlich hatten sie immer von dem gezehrt, was da war, so daß es jetzt Tage und Wochen gab, an denen die Familie nur von den Eintrittsgeldern der Galerie oder von Darlehen Carlo Priulis lebte, die allerdings karg bemessen waren, denn der Ingenieur war sparsam und ärgerte sich jedesmal, wenn er, der sich um seinen Verdienst redlich abmühte, die Hände der faulenzenden Verwandten füllen sollte.
Wohl besaßen die Priuli etliche Güter mit Weinbergen und Oelpressen in Friaul, aber da niemand sich um ihre Verwaltung bekümmerte, warfen sie nur einen kläglichen Pachtzins ab, und es schien unmöglich, für sie einen Käufer zu finden oder eine neue Hypothek, mit der man sie hätte belasten können.
Es war also wohl in erster Linie Elisabeths Reichtum, der Ettore anzog, aber noch anderes kam dazu. Das war: er hatte sich im Laufe der letzten Jahre schon mehrfach Körbe von reichen Mädchen geholt, so daß Miß Mauds Absage ihm nicht wie eine ungeahnte Ueberraschung, sondern mehr wie etwas leidig Gewohntes erschienen war. So seltsam es auf den ersten Blick auch scheinen mochte, daß ein Mann, der immerhin so viel Aeußerlichkeiten zu bieten hatte, als Freier ohne Glück war, so wurde dies doch verständlicher, sobald man Ettore und seine ganze Art näher kannte. Er war naiv und selbstsüchtig wie ein Kind, und wie ein Kind viel zu sehr mit sich und den tausend kleinen Süßigkeiten des Lebens beschäftigt, als daß er sich hätte ernsthaft zusammennehmen und all seine Anstrengung auf ein einziges Ziel richten können. Er konnte ganz hübsch aufschneiden, lügen und ein wenig Komödie spielen, aber heucheln, tiefgründig heucheln konnte er nicht. So war er, sobald er auf die Freite ging, ein primitiver Geldjäger, den jedes Mädchen nach zwei Tagen durchschaute, weil er eben ganz unfähig war, mit großen Gefühlsunwahrheiten oder täuschend gespielter Liebe zu manövrieren. Er überzeugte nur, wenn er selber überzeugt war, und darum hatte er es bisher wohl zu zahlreichen Liebschaften, aber noch zu keiner Braut gebracht. Die Freunde, die's gut mit ihm meinten, wie z. B. der junge Fürst Gaulo, sahen wohl mit Verwunderung, wie täppisch er war, und redeten ihm zu, seine Absichten doch mit etwas mehr Raffinement zu verbrämen. Ettore aber, der auch eigensinnig war wie ein Kind, lachte sie aus und hielt ihnen seine Lieblingsredensart entgegen, die er immer anwendete, gleichviel ob sie paßte oder nicht: »L'italia farà da sè.«
Mit seiner Naivität und seinem Egoismus spürte er jetzt, daß Elisabeth in ihm nicht nur den schönen Mann sah oder den gierigen Freier sehen würde, sondern noch etwas anderes, das er zwar nicht verstand, das ihm aber ihr gegenüber eine starke Ueberlegenheit lieh. Nicht bewußt, rein instinktiv fühlte er, daß dies Mädchen mit dem gütigen, verklärten Gesicht sich von seinem Egoismus würde ausbeuten und beherrschen lassen, daß sie bereit war, ihn und das, was sie in ihm sah, zu lieben, zu verwöhnen und anzubeten. Weil er wie ein Kind sich über Nichtigkeiten erzürnen oder freuen konnte, hatte er jetzt, da Miß Mauds Absage doch noch immer in ihm fortklang, ein Bedürfnis sich anzuschmiegen, sich verhätscheln zu lassen und von einer Frau, von einer wirklichen Frau, nicht von einem kleinen, liederlichen Mädel, zu hören, daß er ihr Schatz, ihr alles auf der Welt sei … Damals, auf dem Lido hatte er Elisabeth, wie sie verträumt übers Meer hinblickte, sofort als Phantastin erkannt, und wenn er selber auch keine Spur von Phantasie besaß, sondern immerfort mit beiden Füßen auf der Erde stand, so wußte er doch, was Phantasie wert sein kann, hauptsächlich für einen Realisten, der sich die Einbildungskraft eines Andern zunutze macht. Weil sie so anders war als die tückische Miß Maud, von der er damals gekommen war, hatte diese Deutsche sein Empfinden gerührt, hatte ihn immer mehr in ihren Bannkreis gezogen, daß er jetzt entschlossen war, sie zu heiraten, selbst wenn sie viel, viel weniger besaß als die Amerikanerin. Wenn sie auch nur eine halbe Million Mitgift bekam, wollte er schon zufrieden sein, obgleich sie, wenn sie im Freundeskreis auf dem Lido oder im Klub saßen, allesamt schworen, daß man unter 60 000 Lire Rente nichts anfangen könne …
Seine Spazierfahrt war heute völlig zwecklos. Er beobachtete die fremden Gondeln nur mit abwesenden Blicken, sah kaum die bewundernden Gesichter, die sich ihm zuwandten. Er streichelte wieder, als wär's eine Mädchenwange, seine dunkelrote Rose und war vergnügt, daß er die Begegnung heute morgen so fein abgepaßt hatte. Ja wirklich, er würde dies Mädchen heiraten! Sie gefiel ihm, sie würde eine liebe, gute Frau sein und ihn von dem Leben des Scheins erlösen, dessen er müde war oder wenigstens seit einigen Tagen müde zu sein glaubte. Das Leben der Priuli war ja nur eine Fassade, die mit ihrem Glanz über Aermlichkeit und Verfall wegtäuschen mußte. So prächtig sich die Räume der Galerie im Palast präsentierten, so heruntergekommen sahen die Wohnzimmer aus, und der elegante Diener war nur für die Besuchsstunden gemietet. Den Haushalt besorgte eine alte, schmutzige Magd, die seit vielen Jahren bei den Priuli diente und sich nicht mehr wunderte, wenn so und so oft die ganze Hauptmahlzeit aus einer Schüssel Polenta oder Tomaten bestand. Die verwitwete Gräfin und ihre Tochter Eleonore saßen unfrisiert, in schmutzige Schlafröcke gehüllt in Zimmern, deren Oede noch trostloser wirkte, weil zerfetzte Seidengardinen, kostbare, aber zerfressene und zerschlissene Möbel, alte Bilder in zerstoßenen Rahmen von früherer Pracht und Größe sprachen. Saßen da und führten ein Dasein, das ein wenig gespenstisch und ein wenig marionettenhaft anmutete: die alte Gräfin betete stundenlang und legte stundenlang Patiencen, die junge rekelte sich in einem Lehnstuhl, studierte in der Zeitung die Lotterienummern, las einen Schmöker und dachte an einen Mann. Wenn sie miteinander schwatzten, so war es immer dasselbe Thema, immer eine reiche Heirat Eleonorens, für die noch gar keine Aussicht vorhanden war, oder die reiche Heirat Ettores, deren Aussichten immer wieder scheiterten. Dann klagte die alte Gräfin mit jammernder Stimme, daß ihre Kinder so wenig Glück hätten, und die schöne Eleonore lachte und tröstete die Mutter und war überzeugt, daß das Glück schon noch kommen würde. Einmal im Tag bewegte sich dann dies gespenstische Marionettenleben nach außen, das war um die Stunde, wenn die alte Gräfin in die Kirche ging und Ettore die Schwester mitnahm zur Spazierfahrt auf den Canal Grande. Er tat es sonst stets, nur heute hatte er's vergessen, vielleicht auch vergessen wollen. Da kämmten die Frauen ihre wirren Haare zu schönen Scheiteln, Zöpfen und Gewinden, die alte Gräfin legte ein schwarzes Seidenkleid an, die junge die einzige modische Toilette, die sie jeweils besaß, nebst einem mächtigen Blumenhut, und wer die beiden so in der Kirche oder in der Gondel sah,