Die große Gauklerin: Ein Roman aus Venedig. Carry Brachvogel

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Palast zurückgekehrt waren, alsbald wieder in ihre Schlafröcke, ihre Patiencekarten, ihren Schmöker, ihren Jammer und ihre Zuversicht. Ettore, der Sohn, führte derweilen die Existenz seiner Standesgenossen. Er war den ganzen Tag über sorgfältig gekleidet, lief seinem Vergnügen nach und überließ die Sorge für den nächsten Tag dem lieben Gott. Er liebte seine Mutter und seine Schwester, wie die Italiener ihre Mütter und Schwestern immer lieben, und darum bestimmte er in all seinen Zukunftsträumen stets eine ansehnliche Summe für sie beide, damit die mamma stets all ihre Rechnungen bezahlen und Eleonore endlich den Mann bekommen könnte, an den sie dachte, wenngleich sie ihn bisher noch nicht erblickt hatte.

      Während die Gondel langsam auf dem Kanal dahinglitt, dachte sich Ettore ein wenig sein künftiges Dasein aus. Er träumte gar nicht von besonderen Ausschweifungen oder Extravaganzen, sondern nur von einem unendlichen süßen Genuß, in dem man weder von Gläubigern gestört wurde noch Carlo Priuli um ein Darlehen angehen mußte. Die Hand dieser blonden, gütigen Deutschen würde ihm alles geben, was er vom Leben begehrte, und je mehr er an sie dachte, um so lieber wurde ihm ihr stiller Reiz, gerade weil so vieles an ihr seinem eigenen Wesen fremd und unverständlich blieb.

      Die Hauptsache war nun freilich, sie endlich kennen zu lernen. Das war offenbar schwerer, als es den Anschein hatte, denn Ettore erwog diesen und jenen Plan, der zu einer Anknüpfung dienen sollte, verwarf sie aber alle als töricht oder gar zu plump. Hätte sich's um eine Amerikanerin gehandelt, so wäre er ganz einfach mit dem Portier des Hotels in Verbindung getreten, aber sein Instinkt sagte ihm, daß er hier vorsichtiger sein müßte, daß dies Mädchen und seine Rasse subtilere Begriffe von Liebe und Ehe hat als die Völker des Südens oder des andern Erdteils. Da fiel ihm ein, daß in etwa acht Tagen auf dem Canal Grande ein großer Blumenkorso geplant war, und er beschloß, diese festliche Veranstaltung auszunützen, um sich den Schöttlings zu nähern. Freilich waren acht Tage eine lange Zeit, und die Schöttlings konnten inzwischen abgereist sein, aber Ettore fühlte sich schon so sicher, daß er solche Abreise gar nicht mehr ernsthaft in den Kreis seiner Betrachtungen zog, sondern sich auf Elisabeths Verliebtheit und ihre Frauenlist verließ. Die Kleine war gewiß schon vergafft in ihn, und wenn er es klug anstellte, da und dort nochmals wie von ungefähr ihren Weg kreuzte, würde sie gewiß den Vater drängen, immer noch ein paar Tage zuzugeben, bis sie vor dem Blumenkorso standen, den sie als eifrige Italienreisende doch sicher nicht versäumen wollten. Als Ettore in seinen Gedanken so weit gekommen war, fuhr die Gondel wieder sacht am Palazzo Priuli vor, und er sprang vergnügt die breite Marmortreppe hinan, um der mamma und Eleonore von seinen heiteren Zukunftsplänen zu sprechen! –

      Am Tag des Blumenkorsos bot der Canal Grande ein prächtiges Bild. Von den Fenstern aller Paläste hingen purpurfarbene oder golddurchwirkte Prunktücher hernieder, zwischen den Schiffspilonen spannten sich grüne oder bunte Girlanden, und von den Knäufen wehten farbige Wimpel in eine helle, von sommerlicher Lust durchleuchtete Luft hinein. Zahllose Gondeln tummelten sich auf der sanftbewegten Welle, und ihr düsteres Schwarz verschwand beinahe unter der weißen, rosigen, violetten, blauen, zitronenfarbenen und scharlachenen Blumenpracht, mit der man sie verschüttet hatte. Was Venedig an Schönheit, Adel und Reichtum besaß, kam in der Blumenbarke einhergefahren, gerudert von Gondolieri in prächtigen, hellen Gewändern mit Blumensträußen auf den breitrandigen Hüten und im Schärpengurt. Da sah man weltberühmte Schönheiten, vor deren Zauber selbst Kaiser die Stirne neigten, Spitzen, Ohrgehänge, Ringe und Hutagraffen, die den Brautschatz einer Königstochter beschämt hätten, und neben ihnen jüngere Reize, jüngeren Reichtum, denen aber noch das verbriefte Recht der allgemeinen Anerkennung fehlte, und die doch danach drängten, morgen das zu sein, was die Erbgesessenen heute schon waren. Ueber allen aber, gleichviel zu welcher Zeit und zu welcher Kaste sie gehörten, lag eine jauchzende Fröhlichkeit, die kindliche Freude des Südländers am Dasein, an der Stunde, überall sah man dunkle Augen, die entzückt leuchteten, rote Lippen, die übermütig lachten, üppige Frauenkörper, die sich wie in wonnigem Rausch über den Blumenhügel beugten, der zu ihren Füßen lag, mit Verschwenderwonne hineingriffen, jauchzend eine Garbe voll köstlichen Duftes in eine andere Gondel hineinschleuderten, um von dort die holde Gegengabe zu empfangen. Mit all seinen geschmückten Palästen und Gondeln, seinen schönen, heiteren Menschen sah der Canal Grande aus, als wäre aus dem Schutt und der Nüchternheit der Gegenwart Venedig für ein paar Stunden zu seiner alten Pracht erwacht und feiere in der Sonne eines Frühsommertags ein Fest der Renaissance. Schöttlings, die ihre Abreise von Tag zu Tag verschoben, hatten zuerst gemeint, daß sie den Blumenkorso von einem Hotelfenster aus ansehen wollten. Der Direktor des Hotels hatte ihnen aber zugeredet, doch lieber eine Gondel zu mieten, damit sie den ganzen Kanal überblicken konnten, und so fuhren sie jetzt in einer etwas banal und dürftig mit Mimosen geputzten Gondel daher, sahen auch, sie fühlten es wohl, mit ihren blonden Gesichtern und ihrer diskreten Eleganz, die jede kecke Farbe oder Nüance verschmähte, fremd und ernsthaft aus in dem dunkeläugigen, bunten und jauchzenden Getriebe um sie her. Sie hatten aber kaum Muße, über sich oder den Eindruck, den sie hervorbrachten, nachzudenken, denn immerfort gab es, bald auf dieser, bald auf jener Seite, irgend etwas zu sehen, was ihre Aufmerksamkeit fesselte und entzückte; außerdem schaute sich Elisabeth die Augen fast blind, ob sie nicht die eine Gondel sähe, um derentwillen sie eigentlich gekommen waren, die Gondel der Priuli. Vorläufig war sie aber noch nirgends zu erblicken, und Elisabeth mußte sich damit begnügen, die Insassen der andern Gondeln zu mustern.

      Unter all diesen Gondeln fiel ihr eine besonders auf, weniger weil sie so verschwenderisch mit weißen Rosen verbrämt war, daß sie einem schwimmenden Rosenbeet glich, als wegen der Dame, die in den schwarzen Kissen saß. Es war eine schlanke Frau mit rötlichen, krausen Haaren, den hellen Augen und dem langen, etwas vorgeschobenen Kinn der Engländerin. Sie trug ein silberfarbenes Seidenkleid und einen breitrandigen Hut mit fünf oder sechs langen, weißen Straußenfedern. Um ihren Hals hingen bis über den Gürtel herab sieben, acht Perlenschnüre von einer Größe und einer Schönheit der Perlen, wie man sie sonst nur in den Schatzkammern von Fürstenschlössern sieht. Das Gesicht wirkte auf den ersten Blick frisch und jugendlich, sah man aber näher hin, so merkte man, daß es wie zersägt war von tausend kleinen, feinen Linien des Lebens und wie versteint in hochmütig getragenem Leid. Hochmütig war auch das Lächeln um die herabgezogenen Mundwinkel, hochmütig die Geste, mit der sie nachlässig ein Blumengeschoß versandte oder empfing. Es war auch, als ob die laute Lust der andern vor dieser weißen Rosengondel stiller würde, als ob diese Frau mit dem rötlichen Haar und dem versteinten Gesicht ihnen allen fremd geblieben sei, wenngleich sie seit Jahrzehnten mit ihr lebten und verkehrten. Elisabeth fragte den Gondoliere, wer die Dame sei.

      »La Principessa Tassini!« Erläuternd machte er Elisabeth auf die Perlenschnüre der Fürstin aufmerksam, die so schön seien, daß nur die Königin-Mutter Margherita schönere besäße. Man sah ihm an, daß er gern noch mehr von diesen Perlen und der Fürstin gesprochen hätte, aber er mußte auf seine Gondel aufpassen, scheute sich wohl auch hier zu berichten, was ganz Venedig wußte und flüsterte. Jedenfalls aber merkte Elisabeth, daß es mit dieser Frau und ihrem Schmuck ein besonderes Bewenden haben müsse, und sie nahm sich vor, den Hoteldirektor bei der Rückkehr danach zu fragen.

      Da kam dann auch endlich die Gondel, nach der sie so lange und sehnsüchtig ausgeschaut hatte, und über der sie jetzt alles andere vergaß. Ettore und Eleonore Priuli saßen in einem Gefährt, das über und über mit Büscheln aus fleischfarbenen Rhododendren geschmückt war, und inmitten dieser üppigen Blüten des Orients wirkte ihre dunkle, junge Schönheit so sieghaft, daß, wo sie vorbeikamen, die Menschen erstaunt und bewundernd blickten. Vielleicht war Eleonore für deutschen Geschmack etwas zu auffallend mit ihrem gigantischen Hut und einem hellroten Musselinkleid, vielleicht auch zu stark geschnürt und zu weiß gepudert, aber Elisabeth meinte doch, kaum je ein schöneres Mädchen gesehen zu haben, suchte und fand entzückt in Eleonorens Gesicht die Züge Ettores wieder. Eleonore sah die Deutsche mit großen Augen an und lächelte ihr zu. Der Bruder hatte ihr ja schon ausdrücklich gesagt, was er von diesem Blumenkorso hoffte, und Eleonore war entschlossen, die Initiative zu ergreifen. Sie beugte sich jetzt ein wenig zur Seite, griff ein paar Hände von den fleischfarbenen Blüten und schleuderte sie geschickt in Elisabeths Schoß. Die wollte eben ein wenig linkisch mit Mimosen erwidern, da kam ein ganzer Regen von Rhododendren auf sie nieder, von Ettores Hand geschleudert, der aufgestanden war und sich jetzt mit flammenden Blicken vor


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