Die große Gauklerin: Ein Roman aus Venedig. Carry Brachvogel
ohne Geld! Ich finde es noch ganz vernünftig, daß sie sich nicht mit altem Krempel plagen, der für sie keinen Wert mehr hat.«
»Ich kann nicht so denken wie Du! So oft ich am Palazzo Manin vorbeikomme, muß ich immer daran denken, wie Papa uns erzählte, daß zu seiner Zeit der letzte Nachkomme der Manins auf dem Markusplatz Streichhölzer verkauft hat!«
Der Leutnant lachte.
»Wenn sie dem guten Papa da nur nicht einen Bären aufgebunden haben! Außerdem war der letzte Manin ein simpler Advokat und die Republik von 1848 etwas so Klägliches, daß sie ihrem Schöpfer danken durfte, als sie beim vereinigten Königreich Italien unterkriechen konnte!«
Es kam bei allen Ironien und Neckereien nie zum Streit, aber alle drei waren froh, als der Leutnant Venedig verließ. Beim Abschied sagte er noch:
»Also, Liesel, bis wir uns wiedersehen, wird Deine Verstiegenheit überhaupt den Pegel erreicht haben, und ich freu' mich schon, Dich allmählich auf mein ordinäres Niveau herunterzubringen, denn so schätzt Ihr beide mich jetzt doch ein, das weiß ich schon!«
Elisabeth lachte und wehrte ab, aber sie freute sich, daß nun niemand mehr sie in ihrer Schwärmerei und ihren Phantasien störte. Immer tiefer versanken die beiden in den romanischen Rausch, schoben die Abreise nach Florenz immer weiter hinaus, weil Venedig sie so fest gefangen hielt. Alles erschien ihnen hier köstlich und zauberhaft, obwohl es ihr Empfinden verletzte, wenn sie immer wieder merkten, daß das alte Venedig der Neuzeit Konzessionen machte, versuchte, sich ihr anzupassen und sie zu sich hereinzulocken. Sie empfanden das als stillos und kleinlich, hätten lieber gehabt, daß es nach königlicher Macht stolz in königlichem Verfall beharrt hätte. Sie merkten gar nicht, wie sie mit diesen Gedanken die Stadt vom Leben abtrennen, ihr die Blutadern abbinden wollten, daß sie nichts sein sollte als eine bleiche, tragische Erscheinung, über der gleich einem Märtyrerschein der Glanz ihrer großen Vergangenheit schwebte.
4.
Grau und erinnerungsreich stieg der Palazzo Priuli aus dem stillen, wie tot daliegenden Seitenkanal des Canal Grande auf. Er blendete nicht durch großartige Raumverhältnisse oder durch überreiche Verzierungen, wie die Spätrenaissance berühmter Paläste sie liebte, denn er war älter als die meisten von ihnen, da die Priulis ja noch zu den Familien gehörten, deren erste Dogen nicht im Dogenpalast auf der Piazza, sondern in dem inzwischen verschwundenen am Rialto geherrscht hatten. Er war nicht viel größer als ein mäßiges Privathaus, bestand nur aus Erdgeschoß und erstem Stockwerk, in dessen Mitte die vielgerühmten Spitzbogen aus dem zwölften Jahrhundert die Fassade unterbrachen. Das ursprünglich weiße Steingemäuer war von den Jahrhunderten mit sanftem Grau beschlagen worden, aber sonst schienen sie machtlos an ihm vorübergegangen zu sein. Nur die Marmorstufen, die von der großen, erzenen Eingangstür herunter in den Kanal führten, waren vom ewigen Anschlag der Wellen poliert, da und dort zernagt, und die untersten hatten von Moos und Tang einen grünlichen Schimmer bekommen. Die Gondelpfeiler aber leuchteten frisch angestrichen in Weiß-Blau, den Farben der Priuli, die Dogenmützen, die sie bekrönten, glitzerten neuvergoldet, und wenn auch eine kleine Metallplatte mit verwitterter Inschrift zwischen dem Erdgeschoß und dem ersten Stockwerk verlöscht und zerstört dahing, so war doch der ganze Eindruck des Palastes ein so vornehmer, daß die Schöttlings meinten, er gehöre zu den besterhaltenen, die sie noch gesehen hatten.
Der Gondoliere begann, sobald er um die Ecke vom Canal Grande abgebogen war, mit den üblichen Erklärungen. Er nannte den vermutlichen Baumeister, einen langverschollenen Namen, pries die Spitzbogen, als ob er wirklich etwas von ihrer Schönheit verstünde, wies mit der Hand nach der zerstörten Metalltafel und erläuterte, daß die unleserlich gewordene Inschrift besagte: »Hier wurde Enrico Priuli, der Sieger von Kreta, geboren und lebte sein höchst tugendreiches Leben, bis ihn der Tod zur Trauer aller Edlen und zum Schmerz der Republik von hinnen rief, anno Domini 1467.« Die Schöttlings fragten, ob die Familie Priuli wohl ausgestorben und der Name nur noch dem Palast erhalten geblieben sei. Der Gondoliere verneinte, wußte in den Personalverhältnissen der Priuli genau Bescheid, rühmte, daß sie immer noch zu den vornehmsten Familien Venedigs gehörten, und fragte, ob er die Herrschaften nicht vielleicht zu dem zweiten Palazzo Priuli fahren sollte, der nur wenige Ruderschläge weiter in demselben kleinen Kanal sich erhob.
»Palazzo Ettore Priuli!« betonte er, als er die Gondel wieder abstieß, »Palazzo Carlo Priuli«, als er vor dem anderen hielt. Der Palazzo Carlo Priuli war reicher, aber lange nicht so künstlerisch und in sich abgeschlossen wie sein Vetter. Er stammte schon aus der Renaissance, prunkte mehr mit geschnörkelten Kapitälen, Stützpfeilern und Balkonen. Er war auch sichtbarlich restauriert worden, und auf den Gondelpfeilern fehlten die Dogenmützen, denn diese Linie der Priuli hatte der Republik keinen Herrscher gegeben. Die Schöttlings fragten auch hier diesem und jenem nach und erfuhren von dem Gondoliere, daß dieser Palast wohl noch im Besitz der Familie, aber an die »Bank von San Marco« vermietet sei. Dann drehte der Gondoliere geschickt die Gondel um, und sie fuhren zurück zum Palazzo Ettore Priuli, dessen Pforten sich eben für die Besucher der Gemäldegalerie öffneten.
Es war der erste Privatpalast, den die Schöttlings betraten, denn wenn sie auch Spitzen- und Glaswarenläden besucht hatten, die sich in früheren Edelsitzen breit machten, so waren es eben doch immer Kaufläden gewesen, bei denen die Waren die Hauptsache und die Umgebung das Nebensächliche schien. Hier aber schritten sie durch Räume, die heute noch derselben Tradition dienten, der sie vor Jahrhunderten gedient hatten, und die Schöttlings empfanden ein köstliches Gefühl von Ehrfurcht, das gar nichts mit Snobismus zu tun hatte, vielmehr aus feinfühligen und gebildeten Herzen herkam. Hier war alles Pracht, wie das alte Venedig sie geschätzt hatte: die Fußböden aus buntem Marmor, mit reizvollen Mustern eingelegt, die Wände mit Seide und Gobelins bespannt, die Decken entweder aus dunklem, kassettiertem Holz reich mit Gold inkrustiert oder mit heiteren Gemälden und verschlungenen Stuckgirlanden. Die Galerie lag im Erdgeschoß, während das erste Stockwerk, das sich noch weit nach hinten mit der Aussicht auf einen anderen Kanal dehnte, die Wohnungen der Priulis umschloß. Ein Diener in Kniestrümpfen und schwarzer Livree empfing die Besucher, nahm ihnen Stöcke und Schirme ab, wies sie mit einer diskreten Handbewegung nach den zwei Sälen, welche die Galerie bildeten, und zog sich dann wieder zurück, um neue Gäste zu empfangen.
Der Oberst und Elisabeth musterten nur flüchtig die Gemälde des ersten Saales, denn es drängte sie, das berühmte Bild zu sehen, um dessentwillen diese kleine Privatgalerie sich großen Stadtsammlungen an die Seite stellen konnte, und das sie natürlich schon aus zahllosen Kopien und Reproduktionen kannten. Wie sie dann vor dem Bild standen, merkten sie aber deutlich, wie arm alle Nachbildungen gegenüber dieser Offenbarung eines Begnadeten bleiben mußten, dessen Farben so heiß und jubelnd waren, daß sie sich in Töne zu verwandeln schienen, und für den die Raumbeschränkung nicht ein mühselig zu überwindendes Hindernis bildete, sondern die gewollte Abgrenzung eines strenggedachten und scheinbar spielend ausgeführten Baues. Das Bild, ein Kniestück, etwas unter Lebensgröße, stellte eine junge Frau dar. Sie war in ein purpurfarbenes, mit Gold und Perlenstickerei reich verbrämtes Gewand gekleidet, hielt zwischen dem spitzen Zeigefinger und dem Daumen der rechten Hand einen goldenen Ring, so als ob sie ihn zeigen wollte. Das Gesicht glich anderen Frauen des Meisters, wie sie sich alle gleichen, nur war es vergeistigter, vielleicht auch ein wenig leidvoller, als die Renaissance sonst die Frauen darzustellen liebt. Auf den rötlichen Haaren saß ein goldener Kopfschmuck, der dem Mützchen einer Dogaressa glich. Sie stand vor einem Vorhang aus gelbem Damast, der sich hinter ihr zurückschlug und die Lagune enthüllte, auf der man den Bucentaurus schwimmen sah, das Prachtschiff, von dem der Doge alljährlich den Ring ins Meer warf, zum Zeichen, daß Venedig und die Adria unlöslich miteinander vermählt seien. Weil man nicht genau wußte, wen das Bild darstellte, ob es wirklich, wie einige Kunsthistoriker behaupteten, eine Dogaressa Priuli oder nur sonst eine vornehme Dame war, hieß es bald ›die Dogaressa‹, bald auch nur ›die Frau mit dem Ring‹. Wie immer es aber heißen mochte, – wer vor ihm stand, vergaß bald nach Namen und Sinn zu fragen, versank tief in den Zauber, der von diesen Farben, von dieser wundersamen Abstimmung des goldfarbenen Vorhangs