Seegeschichte-Sammelband: Die Abenteuer berühmter Seehelden, Epische Seeschlachten & Erzählungen. Heinrich Smidt
ledig-losen Volke und verliebte Redensarten angehört, bei denen der guten Petersen brühsiedend heiß geworden ist.«
»Das ist nicht wahr!« stöhnte der Alte.
»Es ist doch wahr!« eiferte die Straußin. »Du wirst dein blaues Wunder erleben, wenn alles an den Tag kommt. Es ist unter den jungen Gesellen, die in dem Brauhause verkehren, einer, den sie sich zum Liebsten ausersehen hat, und dieser ... O Schande, daß ich es sagen muß ...«
»Nun? dieser Eine? – Au! Au! Das sind Stiche, wie mit glühenden Nadeln! – Wer ist es?«
»Die Petersen hat es herausgebracht, wer es ist! Ein Taugenichts! Ein Lumpenkerl ist es! Ein Seiltänzer, ein Komödiant, oder was sonst für ein liederlicher Bursche, der nicht ehrlich begraben werden darf!«
»Janna! Wenn du mich belügst!«
»Du kannst die Petersen fragen, die nimmt das Abendmahl darauf. Auf ihre Aussage hin habe ich dem Kerl die Tür weisen lassen und die Brauerknechte haben ein Wort von ihren Lungerhölzern fallen lassen, womit sie ihn gerben wollten, wenn er sich in der Brauerei sehen lasse. Hat es aber geholfen? Jetzt finden sie sich anderswo zusammen und gestern haben sie sich am hellen Tage auf offener Straße gesprochen und zusammen gelacht, allen ehrbaren Leuten zum Aerger.«
»Das ist ein schweres Wort, Janna!« stöhnte Herr Lorenz Ramke. »Ich kann es nicht geduldig hinnehmen und will wissen, woran ich bin. Christine! Christine!«
»Ja, rufe du nur!« lachte höhnisch die Straußin. »Wer weiß, in welchem Schlupfwinkel diese ihren Liebsten erwartet.«
»Jetzt gleich soll es an den Tag!« rief Meister Lorenz, gewaltsam den Schmerz bezwingend und von dem Stuhl aufstehend. »Christine! Christine!«
Christine war hart an der Tür. Sie hatte sich dort hingestellt und jedes Wort gehört, was die eifernde Brauerwitwe sagte. Verdruß, Unmut und Spott wechselten auf ihrem Angesicht, dann aber eilte sie zurück in die Küche und als Meister Lorenz zum dritten Male ihren Namen rief, trat sie mit Tellern, Löffeln und Messern beladen ein und fragte ganz unbefangen:
»Ihr habt gerufen, Ohm? Verübelt es nicht, aber ich stand vor dem Kessel und legte die Klöße ein, da habe ich es überhört. Die Annemarie sagte es mir eben. Womit kann ich Euch zu Willen sein? Es ist Zeit zum Tischdecken.«
»Da siehst du es, daß deine Anklage eine falsche ist und daß die alte Petersen dich belogen hat!« sagte Meister Lorenz, augenscheinlich froh, daß die letzte Anschuldigung eine falsche war. Ebenso gut konnten es auch die übrigen sein. Er nahm es für gewiß an und setzte hinzu:
»Ich will von solchem Geschwätz ein für allemal nichts mehr hören und du sollst mir damit vom Halse bleiben. Was hast du nur mit der Dirne, die dich doch keinen Schilling kostet?«
Christine hatte bislang mit der größten Unbefangenheit das Tischdecken besorgt und wandte sich jetzt zu dem alten Herrn:
»Wenn es Euch recht ist, können die Leute aufgeschüsselt bekommen. Was habt Ihr nur mit der Muhme Straußin, Ohm?«
Diese war vor Staunen keines Wortes mächtig. Sie sah die junge Dirne mit dem unbefangenen Gesicht vor sich stehen und murmelte vor sich hin:
»Derlei Frechheit setzt allem die Krone auf. Ich weiß mich vor Grimm und Zorn nicht zu fassen! Aber was ich ihr nicht sagen kann, das will ich ihr zu fühlen geben ...«
Sie hob bedrohlich beide Arme und näherte sich Christinen. Meister Lorenz humpelte herbei und sagte:
»Du sollst ihr nichts tun. Der Schlag, den du ihr gibst, hat mich getroffen. Sieh dich vor, Janna!«
Bei dieser ernsten Wendung wurde Christine leichenblaß und fragte händeringend:
»Sei Gott uns gnädig, was soll das bedeuten? Was habt Ihr mit der Muhme und was will sie von mir?«
»Sie will dich schimpfieren, Kind!« sagte Meister Lorenz. »Sie beschuldigt dich eines unordentlichen Lebenswandels und will mich zwingen, es zu glauben und dich deshalb abzustrafen!«
»Ach Gott! Ach Gott! Womit habe ich das verdient?« jammerte Christine laut. Frau Janna Straußin ermannte sich und sagte:
»Womit du es verdient hast? Damit, daß du dir einen liederlichen Komödiantenkerl zum Liebsten ausersehen hast. Einen von den Vagabunden, die in dem holländischen Oxhoft ihr Wesen treiben, denen jeder ehrliche Mann zehn Schritte aus dem Wege geht und die der Herr Pastor aus der Kirche verweisen kann, wenn sie sich darin blicken lassen. Einer ...«
Aber weiter brachte es Frau Janna Straußin nicht. Christine brach in ein so krampfhaftes Schluchzen aus, daß es beunruhigend wurde. Ihr Zorn und ihr Unwillen trugen so sehr den Stempel der Wahrheit und die gekränkte Unschuld sprach sich mit solcher Würde aus, daß Meister Lorenz vor Rührung an zu weinen fing und die Straußin, die das geeignete Wort nicht finden konnte, sich zum Abschied rüstend sagte:
»Es ist gut! Ich kann ja gehen. Was geht es mich im Grunde an? Meinetwegen mag die Geschichte nicht wahr sein. Ich stand nicht dabei. Aber die alte Petersen schwört darauf ...«
»Sprich den Namen des alten Weibes nicht aus, der ich alle meine Gicht in den Leib wünsche und das böse Zeug und die Pestilenz dazu! – Christine! Beruhige dich, mein Püppchen! Ich glaube von all dem Zeuge nichts und die dich jetzt so schwer kränken, sollen es dir auf den Knien abbitten. Sieh mich nicht so ingrimmig an, Schwester Janna! Deine Klatschereien machen keinen Eindruck. Ich weiß wohl, daß du darauf ausgehst, die Christine aus dem Hause zu vertreiben und einer andern das warme Nest zu bereiten; aber du hast dich verrechnet; die Christine sitzt fester darin, als je.«
Seine Rede ging zu Ende. Sie mußte zu Ende gehen, denn die, welche davon betroffen werden sollte, war auf und davon. Er wandte sich jetzt zu seiner Nichte, die sich schon völlig gefaßt hatte und schmeichelnd entgegnete:
»Macht Euch um mich keine Sorgen. Die Muhme wird es einmal bereuen, was sie Unrechtes tut, und damit bin ich zufrieden. Aber nun muß ich hinaus, denn es ist über Mittag und die Leute warten.«
Rasch entfernte sie sich und bald darauf saßen Knechte und Mägde um den wohlversehenen Tisch. Christine brachte dem Kranken seine besondere Schüssel, legte ihm schmeichelnd den Löffel in die Hand und sprach ihm tröstend zu. Als sie ihn darauf in seine Schlafkammer geleitet hatte und allein in der Stube war, sagte sie mit einem tiefen Atemzuge:
»Das ging einmal wieder vorüber. Aber lange halte ich es nicht mehr aus. Wenn der Eberhard nicht ernstlich darauf bestände, daß ich ausdauern soll, wäre ich längst mit ihm davon gegangen. Aber auf das Theater will ich. Und wenn es mir gelingt, gut Komödie zu spielen, frage ich nach allem andern nichts. Vater und Mutter habe ich nicht. Für das bißchen Essen und Kleidung, was mir die hochmütigen Verwandten geben, muß ich genug Schelte einstecken und nach der ganzen übrigen Welt frage ich nichts.«
Und als am Abend das Haus und die Werkstatt geschlossen wurden, als die Gesellen und Lehrburschen in die Bodenkammern gingen und die Mägde in die Kellerstube krochen, öffnete sich ein Dielenfenster, und Christine steckte den Kopf heraus.
»Allerschönste Jungfer,« flüsterte es von unten herauf. »Tue Sie mir die Barmherzigkeit an und öffne Sie ein weniges die Tür. Das Fenster ist zu hoch, um es mit einem Sprunge von hier aus zu erreichen.«
»Ich kann nicht,« entgegnete sie in gleicher Weise. »Der Schlüssel liegt drinnen beim Ohm und er ist noch nicht eingeschlafen. Aber morgen finde ich mich an der bewußten Stelle ein. Ich habe alles mit mir überlegt und will meinen Peinigern entfliehen. Ich bin ganz und gar die Eurige.«
»Juchhe!« erschallte es von unten herauf und eine Gestalt verschwand in dem Dunkel der Nacht. Das Fenster ward geschlossen.
Im holländischen Oxhoft ging es lustig her. Nicht nur die Schenkstube ward fleißig besucht; auch die letzten Vorstellungen fanden großen Zulauf und Vater Pandsen rieb sich fröhlich die Hände.
Aber die Freude über das Vorhandene war nicht so bedeutend als die Hoffnung auf das Künftige. Mancherlei Gerüchte waren in das Publikum gedrungen und wurden vergrößert von Mund zu Mund