Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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      »Ihr stu­diert, Wacht­meis­ter, wie ihr es am bes­ten ma­chen könnt, um mich zu ver­haf­ten? Oder nicht?« sag­te da Äsch­ba­cher mit ru­hi­ger Stim­me. »Macht Euch kei­ne Sor­gen. Ich komm mit nach Thun. Aber wir fah­ren mit mei­nem Auto, und ich fah­re. Habt Ihr so­viel Ku­rasch?«

      Äsch­ba­cher hat­te nicht nur Stu­ders Ge­dan­ken er­ra­ten, er hat­te auch des Wacht­meis­ters emp­find­li­che Stel­le ge­trof­fen.

      »Angst? Ich?« frag­te Stu­der be­lei­digt. »Fah­ren wir!«

      »Ich… will… mei­ner… Frau noch Adieu sa­gen.« Die Wor­te ka­men sto­ckend. Stu­der nick­te.

      An der Tür sag­te Äsch­ba­cher noch:

      »Be­dient Euch, Wacht­meis­ter…« und wies auf die Fla­schen, die auf dem Tisch stan­den.

      Stu­der be­dien­te sich. Dann sank er in sei­nen Stuhl zu­rück und schloss die Au­gen. Er war müde, hunds­mü­de. Er war gar nicht mehr stolz. Er kam nicht recht nach. Wa­rum hat­te der Äsch­ba­cher al­les zu­ge­ge­ben? Hat­te er ge­merkt, dass Stu­der der Ein­zi­ge war, der von der gan­zen Sa­che wuss­te? Be­zog sich die Fra­ge we­gen der Angst auf die­se Tat­sa­che? Man wür­de se­hen…

      Ei­gent­lich hät­te Stu­der noch ganz ger­ne ein­mal mit Frau Äsch­ba­cher ge­spro­chen. Was war das für eine Frau? Sie sprach so merk­wür­dig. Eine Aus­län­de­rin? Wo hat­te der gro­be Äsch­ba­cher die­se fei­ne Frau auf­ge­trie­ben… Die las wohl kei­ne Ro­män­li in der Nacht, viel­leicht spiel­te sie Kla­vier? Oder Gei­ge? Das Kopf­weh kam wie­der. Aber nun war wohl bald al­les zu Ende. Ei­gent­lich hät­te man einen Ge­frei­ten von Bern ver­lan­gen kön­nen, um den Äsch­ba­cher ein­zu­lie­fern… Dann hät­te man gleich ins Bett krie­chen kön­nen. War es nicht bes­ser, man ging dann heim und leg­te sich dort ins Bett? Es pfleg­te nicht schlecht, ’s Hedy. Wa­rum woll­te er par­tout ins Spi­tal?

      Da ging die Türe auf:

      »Wei mer go?« frag­te Äsch­ba­cher, so ru­hig, als ob es sich um eine Spa­zier­fahrt hand­le.

      Stu­der stand auf. Sein Mund war tro­cken. Er fühl­te eine merk­wür­di­ge Lee­re im Ma­gen und trös­te­te sich, das käme vom Fie­ber, vom Hun­ger, vom Trin­ken auf nüch­ter­nen Ma­gen. Aber das Ge­fühl woll­te nicht ver­ge­hen.

      Spritztour und Ende

      Wenn nicht die Hän­de ge­we­sen wä­ren, die großen, di­cken Hän­de auf dem Lenk­rad, die von Zeit zu Zeit zuck­ten, um den Wa­gen wie­der in die Rich­tung zu brin­gen, hät­te man mei­nen kön­nen, man säße ne­ben ei­nem stei­ner­nen Mann. Äsch­ba­cher rühr­te sich nicht. Sein Mund war fest ge­schlos­sen, die Bli­cke ge­ra­de­aus ge­rich­tet. Der Schei­ben­put­zer pen­del­te hin und her und schnitt in die trü­be Schei­be eine geo­me­tri­sche Fi­gur, die Stu­der an die Se­kun­dar­schu­le er­in­ner­te.

      »Ist Eure Frau Aus­län­de­rin?« frag­te er schüch­tern, um das Schwei­gen zu bre­chen.

      Kei­ne Ant­wort. Stu­der schiel­te nach sei­nem Beglei­ter. Da sah er, dass zwei große Trä­nen über die wuls­ti­gen Wan­gen lie­fen, im Schnurr­bart ver­si­cker­ten, zwei neue ka­men, ver­schwan­den. Stu­der blick­te scheu bei­sei­te. Es sah tra­gisch und gro­tesk aus, wie so vie­les im Le­ben.

      Eine Hand ließ das Steu­er­rad los, such­te in der Ta­sche. Sch­neu­zen.

      »Ver­damm­ter Schnup­fen«, tön­te es hei­ser. »Sie ist in Wien auf­ge­wach­sen. Die El­tern wa­ren Schwei­zer.«

      »Und was meint sie?« Stu­der hät­te sich ohr­fei­gen kön­nen. So et­was sagt man doch nicht! Und es war wirk­lich ein Feh­ler. Denn plötz­lich traf Stu­der ein Blick… Er war bös­ar­ti­ger, die­ser Blick, als je­ner, den er da­mals im ›Bä­ren‹ er­hal­ten hat­te. Wie­weit war das weg! Stu­der sah die kur­ze Be­we­gung, mit der Äsch­ba­cher die Kar­ten fä­cher­för­mig aus­ein­an­der­brei­te­te…

      Ganz ru­hig kam nun die Stim­me:

      »Das hät­tet Ihr nicht sa­gen sol­len, Wacht­meis­ter!«

      Die Stra­ße lief am See ent­lang. Aber der See war fast nicht zu er­ken­nen. Die gan­ze Stra­ßen­brei­te lag da­zwi­schen, dann kam eine nie­de­re Mau­er, und hin­ter der nie­de­ren Mau­er sah man mit Mühe eine große feuch­te Ebe­ne, grau, grau, ver­schwom­men, kalt. Das Auto fuhr lang­sam.

      Wie spät war es ei­gent­lich? Stu­der woll­te sei­ne Uhr zie­hen, er hat­te schon Dau­men und Zei­ge­fin­ger in der Wes­ten­ta­sche ver­senkt, da hör­te er eine ganz frem­de Stim­me sa­gen – und sie hat­te gar kei­ne Ähn­lich­keit mehr mit der Stim­me des An­sa­gers vom Ra­dio Bern:

      »Use, los! Sonst…«

      Stu­ders Uhr flog aus der Wes­ten­ta­sche, sei­ne rech­te Hand um­krampf­te den Griff der Tür­klin­ke, drück­te sie nie­der, riss sie in die Höhe (wie funk­tio­nier­te nur so eine Klin­ke?), Stu­der warf sei­nen mas­si­ven Kör­per mit al­ler Ge­walt ge­gen die Tür, sie sprang auf, er flog auf die Stra­ße, blieb mit ei­nem Fuß an der un­te­ren Tür­kan­te hän­gen, wur­de ein Stück mit­ge­schleift. Sei­ne Schul­ter, sein Kopf prall­ten ge­gen et­was Har­tes, ein rie­si­ger Schat­ten war über ihm, ver­schwan­d… Und dann wur­de es end­gül­tig dun­kel.

      »Nein, jetzt wird nicht mi­kro­sko­piert«, sag­te eine tie­fe Stim­me. Es war Nacht. Ir­gend­wo brann­te ein grü­nes Licht. Stu­der ver­such­te ver­zwei­felt, sich zu er­in­nern, wo er die Stim­me schon ein­mal ge­hört hat­te.

      »Pi­krin…« flüs­ter­te Stu­der. Er hör­te ein La­chen.

      »Der ver­damm­te Fahn­der, nie kann er Ruh’ ge­ben. Pas­sen Sie auf, Schwes­ter. Wie ge­sagt, alle Stun­den Cora­min, alle drei Stun­den Transpul­min, ver­stan­den? Gott sei Dank, ist er noch ein fes­ter Kerl. Es ist kein Spaß, wenn man zwei Frak­tu­ren hat und dazu noch…«

      Wei­ter hör­te Stu­der nichts. Es war doch ein­mal ein schwar­zer Vor­hang da­ge­we­sen, jetzt aber senk­te sich ein ro­ter über ihn, es rausch­te, Glo­cken läu­te­ten. Der Whis­ky war scharf. Das gab Durst. Wie hat­te doch der See aus­ge­se­hen? Eine wei­te Ebe­ne grau, grau, kalt und feucht…

      Dann war wie­der ein­mal Son­ne da und ein ganz be­kann­tes Geräusch. Stu­der lausch­te. Es klick­te… klick­te. Was war das? Frü­her hat­te das Geräusch ihn im­mer ver­rückt ge­macht, er kann­te es gut. Was war es nur? Na­tür­lich! Strick­na­deln! Er rief lei­se: »Hedy!«

      »Ja?«

      Ein Schat­ten zwi­schen ihm und der Son­ne.

      »Grüß di«, sag­te Stu­der und blin­zel­te mit den Au­gen.

      »Salü!« sag­te Frau Stu­der, als ob es die na­tür­lichs­te Sa­che von der Welt wäre.

      – Was denn ei­gent­lich mit ihm los sei? frag­te Stu­der. – Nüt Apar­tigs, mein­te die Frau. Fie­ber, Brust­fell­ent­zün­dung, Obe­r­arm ge­bro­chen, Schlüs­sel­bein­frak­tur. Er sol­le froh sein, dass er noch nicht tot sei.

      Sie tat der­glei­chen, als ob sie är­ger­lich sei. Aber hin und wie­der press­te sie die Lip­pen zu­sam­men.

      »Äbe, jooo«, sag­te Stu­der und schlief wie­der ein.

      Das drit­te Mal ging es schon ganz gut. Da war der Punkt, der ste­chen­de Punkt in der Brust ver­schwun­den. Aber der rech­te Arm war


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