Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser
Flieder. Sie hatte graue Augen, die sehr still blickten. Es war wohl nicht immer einfach die Frau des Gemeindepräsidenten Äschbacher zu sein.
»Meine Frau«, sagte Äschbacher. Und: »Wachtmeister Studer.«
Ein leichtes Erstaunen in den grauen Augen. Dann wechselte der Ausdruck, wurde ängstlich.
»Es ist doch nichts Böses passiert?« fragte sie leise.
»Nein, nein«, sagte Äschbacher beruhigend. Dabei legte er seine große dicke Hand auf die schmale Schulter seiner Frau, und die Bewegung war so zart, dass es Studer plötzlich vorkam, als kenne er jetzt den Gemeindepräsidenten viel besser als früher. Es war im Leben eben immer ganz anders, als man meinte. Ein Mensch war nicht nur ein brutaler Kerl, er konnte scheinbar auch anders…
Ein großes Zimmer, wahrscheinlich als Rauchsalon gedacht. Ein paar Bilder an der Wand, Studer kannte sich in der Malerei nicht aus, aber die Bilder schienen ihm schön. Große Reproduktionen, farbig, Sonnenblumen, eine südfranzösische Landschaft, ein paar Radierungen. Die Tapete war grau, auf dem Boden lag ein weißer Teppich, der mit einem schwarzroten Muster durchsetzt war.
»Meine Frau hat das eingerichtet«, sagte Äschbacher. »Sitzet ab, Wachtmeister. Was trinket Ihr?«
»Was Ihr wollt«, antwortete Studer, »nur nicht Himbeersirup oder Bier.«
»Kognak? Ja? Ihr seht nicht gut aus, Wachtmeister. Wo fehlt’s? Sollt Euch meine Frau einen Grog machen? Ich glaub Ihr trinkt Grog gerne?«
Eine unangenehme Situation. Warum war dieser Äschbacher so höflich? Was steckte dahinter?
Der Gemeindepräsident ging hinaus, nachdem er Studer einen Stumpen angeboten hatte. Es war ein guter Zehner-Stumpen, aber er schmeckte wie verbrannter Kautschuk. Studer zog mit Todesverachtung.
Äschbacher kam zurück. Er trug drei Flaschen: Kognak, Gin, Whisky. Hinter ihm kam seine Frau. Sie stellte ein Tablett auf den Tisch: Zucker, Zitronenscheiben, eine Kanne mit heißem Wasser, zwei Gläser.
»Wir müssen unsern Wachtmeister kurieren«, sagte Äschbacher und lächelte mit gesträubtem Katerschnurrbart, »er hat sich erkältet. Und ein erkälteter Fahnder kann nur schwer eine Verhaftung vornehmen; nicht wahr, Wachtmeister?«
Und Äschbacher klopfte Studer aufs Knie. Studer wollte sich die Familiaritäten verbitten, er sah auf – da traf ihn ein Blick des Gemeindepräsidenten. Eine Bitte lag darin.
Studer verstand. Äschbacher wusste. Er bat für seine Frau. »Gut, meinetwegen«, dachte Studer. Und er lachte.
»Also, auf Wiedersehen, Herr Wachtmeister!« sagte Frau Äschbacher. Sie hielt die Klinke in der Hand und lächelte. Es war ein mühsames Lächeln. Und Studer verstand plötzlich, dass die beiden da versuchten, sich Theater vorzuspielen. Beide wussten, was los war, aber sie wollten es einander nicht merken lassen.
Eine merkwürdige Ehe, die Ehe des Gemeindepräsidenten Äschbacher…
Die Türe wurde leise geschlossen. Die beiden Männer blieben allein.
Äschbacher tat Zucker auf den Boden des einen Glases, füllte es zur Hälfte mit heißem Wasser, rührte um, dann goss er aus jeder der drei Flaschen ein ordentliches Quantum nach: Kognak, Gin, Whisky. Studer sah ihm mit weitaufgesperrten Augen zu.
Und als Äschbacher ihm das Glas präsentierte, fragte er, ein wenig ängstlich:
»Ist das für mich?«
»Ausgezeichnet, Wachtmeister«, pries der Präsident seine Mischung, »wenn ich erkältet bin, nehm’ ich nichts anderes. Und wenn Ihr es nicht vertragen mögt, so macht Euch meine Frau später einen Kaffee.«
»Auf Eure Verantwortung«, sagte Studer und trank das Glas in einem Zug leer. Dunkel fühlte er, die Sache hier konnte man nüchtern zu keinem guten Ende bringen. »Aber Ihr müsst mir’s nachmachen.«
»Sowieso«, sagte Äschbacher und stellte dasselbe Gemisch noch einmal her.
Eine sanfte Wärme kroch über Studers Körper. Langsam, ganz langsam hob sich der dunkle Vorhang. Es war vielleicht alles gar nicht so schrecklich, gar nicht so kompliziert, wie er es sich vorgestellt hatte. Äschbacher sank in einen tiefen Lehnstuhl, nahm einen Stumpen, zündete ihn an, leerte sein Glas, sagte »Ah«, schwieg einen Augenblick und fragte dann mit ganz unbeteiligter Stimme:
»Habt Ihr gestern Abend in meiner Garage gefunden, was Ihr gesucht habt?«
Studer nahm einen Zug aus seinem Stumpen (er schmeckte plötzlich viel besser) und antwortete ruhig:
»Ja.«
»Was habt Ihr denn gefunden?«
»Staub.«
»Sonst nichts?«
»Das hat genügt.«
Pause. Äschbacher schien nachzudenken. Dann sagte er:
»Staub? In der Landkartentasche?«
»Ja.«
»Schade… Ihr hättet mein Angebot am Sonntag annehmen sollen. Und wenn Ihr wollt, leg ich noch etwas drauf, aus der eigenen Tasche. Sehr gescheit gewesen, in der Tasche nachzugrübeln. Es wär keiner auf den Gedanken gekommen.«
»Angebot?« fragte Studer. »Was meint Ihr eigentlich damit, Äschbacher?«
Dem anderen gab es einen Ruck. Die Anrede ›Äschbacher‹ wahrscheinlich. Nicht mehr ›Herr Gemeindepräsident‹, sondern ›Äschbacher‹… Wie man ›Schlumpf‹ sagt.
»Die Stelle bei meinem Bekannten, mein ich, Studer.«
»Ah, ja, ich besinn mich… Interessiert mich nicht, Äschbacher, aber auch gar nicht. Und das Geld? Ihr habt mir Geld angeboten? Ich hab mir sagen lassen, Ihr steht vor dem Konkurs.«
»Haha«, lachte Äschbacher; es klang wie ein Theaterlachen. »Das hab ich nur so erzählt, damit mich der Witschi in Ruhe lässt. Ich hab ihm doch nicht all mein Geld in den Rachen schmeißen wollen, nur weil ich zufällig mit seiner Frau verwandt bin…«
»So? Ihr habt dem Witschi Geld gegeben?«
»Wachtmeister«, sagte Äschbacher ärgerlich. »Wir sind hier nicht am ›zugeren‹. Wir wollen mit offenen Karten spielen. Wenn Ihr etwas wissen wollt, so fragt, ich will Euch Antwort geben. Mir ist das Ganze schon lang verleidet…«
»Gut«, sagte Studer. Und: »Wie Ihr wollt.«
Er lehnte sich zurück, kreuzte die Beine und wartete.
Und während des langen