Leni Behrendt Staffel 5 – Liebesroman. Leni Behrendt
ihrem Schoß wohlsein ließ und sie mit Augen und Mund zutraulich anlachte.
»Sß – nis ganz – Big wird besser sagen.«
»Laß nur, die Tante hat auch so verstanden«, mischte sich Holger lächelnd ein. »Für deine zweieinhalb sprichst du schon ganz ordentlich.«
»Sßa«, bestätigte die Gelobte, steckte das Fingerchen in den Mund und schielte zu der Torte hin. Sie verzog ein wenig das Mäulchen, als die Großmutter sagte: »Nun trollt euch, Kinderlein. Meta wird euch ein Stückchen Torte bringen.«
Das war Musik für die kleinen Ohren. Gehorsam entfernte sich das Pärchen, nachdem es vor den Gästen sein Knickslein gemacht hatte. Mechthild sah ihm bedauernd nach und sagte:
»Warum durften die Kleinen nicht hierbleiben, Tante Anne? Sie waren doch so brav und störten bestimmt nicht.«
»Weil sie nicht früh genug begreifen lernen können, daß sie unter Gästen nichts zu suchen haben. Übrigens wissen sie das bereits, weil die Mutter sie danach erzogen hat. Sie halten es daher für selbstverständlich, wenn sie weggeschickt werden.«
»Ich durfte als Kind immer dableiben, wenn Gäste anwesend waren«, prahlte Ebba. »Mein Vater war der Meinung, daß Kinder im Hause Hauptpersonen sind, wonach die Besucher sich zu richten hatten.«
»Hierin sind die Auffassungen verschieden, wie in vielen Dingen«, erklärte Frau Hadebrandt, indem sie zwei Stückchen Torte auf den Teller legte und nach dem Hausmädchen klingelte. »Aber wie hätte es dir gefallen, wenn die Kinder geblieben und ihre Hauptperson ungezogen herausgekehrt hätten? Ich glaube fast, daß sie dir dann gehörig auf die Nerven gefallen wären – wie du es als Kind den Gästen deines Vaterhauses gewiß getan haben wirst. Denn nicht jeder Mensch ist so ein Kinderfreund, daß er ungezogene Kinder ertragen kann. Eltern müssen sich diese Ungezogenheiten wohl oder übel gefallen lassen, wenn sie es nicht besser verdient haben – doch Fremde haben das nicht nötig.«
Das war so deutlich, daß selbst die dickfellige Ebba die Zurechtweisung spüren mußte. Ein böses Licht blitzte in ihren Augen auf, doch sie kam nicht zu der patzigen Antwort, die sie schon auf den Lippen hatte, weil das Hausmädchen erschien und den Teller mit der Weisung in Empfang nahm, die Torte den Kindern zu geben.
Nachdem es gegangen, herrschte augenblicklich peinliche Stille, die Frau Hadebrandt unterbrach, indem sie sich liebenswürdig an Mechthild wandte, die still in ihrem Sessel saß und die Finger über den Anhänger an ihrem Halse gleiten ließ. Das war eine gute Gelegenheit für die Dame, ein heikles Thema anzuschneiden.
»Sie tragen da eine wunderschöne Kette, liebes Kind. Ist es die, die Sie gestern Ebba ausliehen? Holger sprach mir gegenüber seine Verwunderung darüber aus, daß Sie ein so wertvolles Stück einem so jungen Mädchen anvertrauten. Wie leicht hätte es den Schmuck in jugendlicher Unachtsamkeit verlieren können.«
»Nein, das ist der Anhänger nicht«, entgegnete Mechthild mit einer Harmlosigkeit, die erkennen ließ, daß sie um Ebbas Gang zu Holger nichts wußte. »Der Anhänger, den Ebba gestern trug, ist weit kostbarer als dieser. Daher lege ich ihn auch nur zu festlichen Gelegenheiten um. Es war wirklich leichtsinnig, daß ich ihn Ebba anvertraute – und ich hätte diesen Leichtsinn beinahe büßen müssen, denn sie hatte den Schmuck wirklich verloren…«
»Aber ich habe ihn wiedergefunden«, schaltete das Mädchen sich ungeduldig ein. »Und das ist schließlich die Hauptsache. Schuld hast überhaupt du, daß du das Schloß nicht genügend gesichert hattest.«
Wie ist es nur möglich, daß ein junges Ding so unverfroren sein kann, dachte die Hausfrau erschüttert. Es hätte doch zum, mindesten bei dem heiklen Gespräch verlegen werden müssen. Aber keine Spur davon.
Diese Gedanken ließ sie dem Sohn gegenüber laut werden, nachdem die Gäste gegangen waren. Und setzte dann noch hinzu:
»Nein, Holger, an Ebba ist kaum etwas Gutes. Der Kern, der in ihr steckt, ist faul. Schließlich bin ich auch einmal jung gewesen, habe auch ab und zu vor meinen Eltern Heimlichkeiten gehabt. Aber mit welchen Gewissensbissen habe ich mich dann jedesmal herumgeplagt, habe in den Lieben nicht frei in die Augen schauen können, bis alles, was ich auf meinem Gewissen hatte, heruntergebeichtet war.
Ich will zugeben, daß sich im Laufe der Zeit die Menschen geändert haben, daß die Jugend freier und selbständiger geworden ist. Ich gehöre wirklich nicht zu denen der vorigen Generation, die da entrüstet sagen: Zu meiner Zeit wäre so etwas nicht möglich gewesen. Das liegt mir fern. Ich schaue vielmehr mit offenen Augen um mich, erwäge und vergleiche. Und daher kann ich mit Bestimmtheit sagen, daß auch heute nicht alle jungen Menschenkinder so leichtfertig sind wie Ebba. Zum Beispiel Doritt Wentruck, die gewiß keine altmodische Erziehung genossen hat. Dazu ist die Mutter viel zu fortschrittlich in ihren Ansichten und läßt der Tochter Freiheit genug. Trotzdem ist Doritt ein bescheidenes, liebenswertes Menschenkind mit Pflichtbewußtsein und Anstand.«
Sie seufzte.
*
Frau Hadebrandt sah ihren Sohn nachdenklich an.
»Wie verhält es sich übrigens mit dem, was Ebba vorhin behauptete? Hast du wirklich die Absicht, sie als Lernende in deinen Betrieb zu nehmen, Holger?«
Der hatte die Mutter sprechen lassen, ohne sie zu unterbrechen. Bei ihrer Frage fuhr er wie aus tieferem Sinnen auf, fuhr sich hastig über die Stirn, als könne er damit die quälenden Gedanken dahinter wegstreichen. Ruhig gab er die Antwort:
»Die Absicht gewiß nicht, Mutter. Wohl fragte mich Ebba heute vormittag, ob sie als Lernende zu mir kommen könnte. Aber ich nahm diese absurde Idee so wenig ernst, daß ich sie gleich hinterher vergaß.«
»Es scheint jedoch keine zu sein, da sie die Erlaubnis der Mutter zu diesem Schritt bereits eingeholt hat.«
»Das gibt mir allerdings auch zu denken«, erwidert er unbehaglich. »Hoffentlich legt sich die aufsteigende Hitze bei dem wetterwendischen Fräulein schleunigst – sonst wäre es für mich fatal; denn abschlagen kann ich ihr den Wunsch schon wegen Mechthild nicht.«
»Dann viel Vergnügen, mein Sohn! Dann kannst du in der nächsten Zeit in deinem wohlgeordneten Bereich ja was erleben!«
»Vielleicht ist Ebba besser, als sie scheint«, versuchte er das Mädchen in Schutz zu nehmen.
»Na ja«, seufzte Frau Hadebrandt. »Wollen wir es also annehmen. Wenn ich dir den guten Rat geben kann, vermeide es, Ebba auf die Probe zu stellen. Verhalte dich in dieser Angelegenheit so ablehnend, wie du nur kannst.«
Das war leichter gesagt als getan. Denn am nächsten Nachmittag, als Mutter und Sohn beim Kaffee saßen, erschien Mechthild mit lachendem Gesicht. Als sie auf Frau Hadebrandts Aufforderung hin am Kaffeetisch Platz genommen hatte, sagte sie frohbewegt:
»Ach, Holger, wie so sehr dankbar bin ich Ihnen, daß Sie Ebbas Lehrherr sein wollen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als sie mir gestern erzählte, daß Sie ihr das angeboten haben. Bei Ihnen weiß ich mein Kind ja so gut aufgehoben. Weiß, daß es in ihrem Musterbetrieb wirklich was rechtes lernen wird. Ich bin ja so glücklich! «
Ja, was sollte der Mann darauf wohl erwidern. Sollte er sagen, daß Ebba ihr das alles vorgelogen hatte, daß er gar nicht daran denke, durch diesen Firlefanz Unruhe in seinen streng geleiteten Betrieb kommen zu lassen? Daß er nicht willens sei, sich mit etwas zu befassen, dessen Aussichtslosigkeit ihm von vornherein klar ist?
»Mechthild«, begann er vorsichtig. »So einfach ist es nun nicht, wie Ebba anzunehmen scheint. Schauen Sie mal, wenn ich eine Lernende aufnehme, muß sie eine theoretische Bildung bereits hinter sich haben, zum Beispiel die Handelsschule. Soll ich mit Ebba da eine Ausnahme machen? Das wäre ein Unrecht gegen die anderen Lehrlin-
ge.«
Es war schmerzlich für den Mann, zu sehen, wie sich über die eben noch so frohen Augen der Frau ein trüber Schleier legte, wie der eben noch so lachende Mund sich zusammenpreßte zu einem schmalen Strich. In der Stimme klang herbste Enttäuschung, als sie sagte:
»Ich glaubte, die Sache wäre längst