Leni Behrendt Staffel 5 – Liebesroman. Leni Behrendt
das dulden Sie, Mechthild?«
»Es bleibt mir ja nichts anderes übrig«, sagte die Frau leise. »Wenn ich sie zwinge, die Schule weiter zu besuchen, dann würde sie aus Opposition nicht lernen und letzten Endes doch abgehen müssen.«
»Da haben Sie recht. Zwingen können Sie Ebba natürlich nicht. Aber ihr gründlich ins Gewissen reden.«
»Habe ich bereits getan, doch sie blieb allen Vernunftsgründen unzugänglich. Augenblicklich hat sie den Wunsch, Schauspielerin oder Mannequin zu werden. Eignen würde sie sich schon dazu. Nur weiß ich nicht, ob sie die Ausdauer hat, sich in einem der schwierigen Berufe durchzusetzen. Ach, Holger, wie schwer ist es doch, bei seinem Kinde immer allein entscheiden zu müssen!«
Er wollte schon antworten, daß sie es ja hätte besser haben können, schwieg jedoch, durch Erfahrung klug geworden. Nach dem, was sich vor drei Jahren zugetragen, mußte er äußerste Vorsicht walten lassen.
Wohl konnte er ihr den Rat geben, die widerspenstige Tochter energischer anzufassen, allein, der würde kein Gehör finden. Würde höchstens Mechthilds Mutterstolz verletzen. Denn anscheinend war diese in ihre Ebba immer noch vernarrt, woraus diese berechnende kleine Person rücksichtslos ihren Nutzen zog.
Er hatte das Mädchen, das er drei Jahre aus den Augen verloren, heute nur eine Stunde lang beobachten können. Was er feststellen mußte, war Frühreife, hochgradige Eitelkeit und prahlerische Überschätzung des eigenen Ichs. Daher der Hang, sich rücksichtslos überall in den Vordergrund zu drängen und niemand neben sich gelten zu lassen.
Arme Mechthild, vielleicht ist die Sorge, die du dir jetzt um dein Kind machst, eine Nichtigkeit gegen die, die es dir noch machen würde!
Ja, was sollte er sagen? Es ist immer ein ziemlich undankbares Beginnen, sich in die Angelegenheiten anderer zu mischen – und hier schon ganz besonders, weil die Mutter nur tat, was die Tochter wollte, und daher seine Ratschläge nicht befolgen würde.
»Sie sind ja so schweigsam, Holger«, riß Mechthilds weiche Stimme ihn aus seiner Nachdenklichkeit. »Ist es Ihnen lästig, daß ich Sie mit meinen Sorgen behellige?«
»Durchaus nicht«, beeilte er sich zu versichern. »Es ist nur schwer für mich, Ihnen einen Rat zu geben, da ich Ebba seit drei Jahren aus den Augen verloren habe. Und gerade in dem Alter verändern sich junge Menschenkinder ungemein.«
»Welchen Eindruck machte denn Ebba auf Sie?«
»Oh – keinen ungünstigen. – Vielleicht ein wenig frühreif«, drückte er sich vorsichtig aus – und doch war es schon zuviel gesagt. Denn Mechthild wurde ablehnend. Daher setzte er hastig hinzu:
»Es kann aber auch Täuschung sein.«
»Das ist es bestimmt«, entgegnete sie indigniert – und er war froh, daß er mit seiner offenen Meinung zurückgehalten hatte. Wenn schon diese eine Bemerkung sie kampfbereit werden ließ, dann war höchste Vorsicht geboten. Schade, daß diese sonst so kluge, scharfsichtige Frau eine so überempfindliche Mutter war, die mimosenhaft ihr Inneres verschloß, sofern man an diese Überempfindlichkeit rührte. Sie mußte ihm doch so viel Vertrauen entgegenbringen, daß er es gut mit Ebba meinte.
»Gewiß«, – sprach Mechthild nun kühl. »Ebba hat wohl ab und zu eine Äußerung getan, die mir zu denken gab. Wie zum Beispiel, die sie heute über Ihre Person machte, Holger. Doch damit wollte sie sich nur wichtig tun. Plapperte gedankenlos nach, was sie mal irgendwo aufschnappte. Schließlich muß ich mein Kind doch am besten kennen, da ich es immer unter Augen hatte. Mag es sonst sein, wie es will, aber frühreif ist es nicht. Sonst hätte dieses Dummchen heute nicht freimütg erklärt, daß es am liebsten heiraten möchte.«
»Kein übler Gedanke«, lachte der Mann. »Dann wären Sie mit einem Schlage die Berufssorge um Ebba los. Doch nun muß ich zusehen, daß ich nach Hause komme. Mein Muttchen wird schon denken, ich bin verschütt gegangen.«
Als er ihre Hand an die Lippen zog, fragte sie leise: »Werden Sie wiederkommen, Holger?«
»Wenn ich darf, gern, Mechthild.«
Damit ging er, und sie kehrte langsam ins Wohnzimmer zurück – so recht enttäuscht, ehrlich genug, um sich einzugestehen, daß sie von seinem Besuch mehr erwartet hatte. Mit keinem Wort war er auf das, was vor drei Jahren geschah, zurückgekommen.
*
Es war schon nach ein Uhr, als Ebba endlich nach Hause kam. Sie hatte fest damit gerechnet, daß die Mutter nicht auf sie warten, sondern schlafen gegangen sein würde. Hatte die Schlüssel eingesteckt um sich leise in die Wohnung schleichen zu können. Als sie jedoch von der Straße aus die beiden hellen Fenster des Wohnzimmers sah, begehrte sie unten vor der
Haustür Einlaß. Frech sah sie der Mutter ins Gesicht, die ihr die Tür öffnete. Während sie die Treppen emporstiegen, sagte diese nichts. Doch im Zimmer machte sie ihrem Unwillen Luft:
»So spät kommst du, Ebba? Du solltest dich schämen!«
»Warum?« fragte das Mädchen keck. »Dann müssen sich ja alle Mädchen schämen, die mit mir auf dem Fest waren. Denn sie sind so lange geblieben wie ich. Ich glaube nicht, daß ihre Mütter solch Lamento darüber machen. Wenn du doch endlich begreifen wolltest, daß ich jetzt erwachsen bin und dir daher nicht mehr am Rockzipfel hängen kann.«
Die Mutter antwortete nicht, weil sie etwas entdeckt hatte, was ihr augenblicklich die Sprache verschlug – und zwar Ebbas kahlen Hals.
»Wo hast du die Kette?«
»Verloren«, entgegnete das Mädchen gleichmütig. »Fang um Himmels willen nicht an zu jammern, du wirst dein geliebtes Erbstück schon wieder bekommen. Es kann nur im Tanzsaal verloren gegangen sein. Die Ober sind verständigt. Mehr konnte ich nicht tun.«
»Ebba, wirklich, deine Gleichgültigkeit ist einfach haarsträubend!« brauste Mechthild nun auf. »Hast du denn keine Ahnung, wie wertvoll die Kette ist?«
»Herrgott, ja!« überschrie Ebba sie schrill. »Was kann ich dafür, daß du das Schloß nicht besser gesichert hast, als du mir den Schmuck umlegtest! Hier hast du das Armband.«
Das landete vor Mechthilds Füßen und die Tür knallte hinter Ebba zu.
Mechthild sank auf den nächsten Stuhl und weinte vor Ratlosigkeit und um noch anderes mehr, das ihr das Herz zusammenpreßte in dumpfem Schmerz. Dann suchte sie ihr Bett auf, um sich darin schlaflos herumzuwälzen in
Not und Pein – während Ebba, von süßen Träumen umgaukelt, prachtvoll schlief.
Es war spät, als sie am nächsten Morgen erschien, sich an den Tisch setzte, um ausgiebig zu frühstücken. Blühend und frisch sah sie aus, plauderte vergnügt drauflos, als wäre nichts geschehen.
*
»Herrlich war es gestern. Ach, was habe ich getanzt. Nicht einen Tanz habe ich gesessen, was man von anderen Mädchen nicht behaupten kann. Na ja, es waren ja auch Schleiereulen genug darunter – Mutti, mach bloß ein anderes Gesicht.« Sie wurde ernstlich böse. »Du wirst deine Kette schon wieder kriegen. Diese ewige Duldermiene kann einen ja verrückt machen.«
Ehe Mechthild etwas erwidern konnte, war sie hinausgestürmt, lief die Treppen hinab und schlenderte dann die Straße entlang. Jedoch nicht nach dem Lokal, in dem das Fest stattgefunden, lenkte sie ihre Schritte, sondern nach dem großen Gebäude, in dem sich die Hadebrandtschen Büroräume befanden. Dort fragte sie nach dem Chef und stand nach einigen Schwierigkeiten in »seinem Allerheiligsten«, wie sie es spöttisch betitelte.
»Tag, Holger«, grüßte sie ihn lachend, der am Schreibtisch saß und erstaunt den Kopf hob.
»Guten Tag, Ebba, wo kommst du denn her? Es ist sonst nämlich nicht so einfach, formlos bei mir einzudringen.«
»Siehst du, ich bekomme alles fertig. Wozu habe ich denn meine schönen Augen und meine einschmeichelnde Stimme, wenn ich die strengen Türwächter damit nicht betören sollte? Männer sind immer bestechlich, sofern man es nur richtig anfängt.«
Immer