Gesammelte Werke. Джек Лондон

Gesammelte Werke - Джек Лондон


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zu verändern. Wäre sie vierzehn Jahre statt vierundzwanzig alt gewesen, so hätte sie vielleicht verändert werden können. Aber sie war vierundzwanzig Jahre alt, konservativ von Temperament und Erziehung und schon erstarrt zu dem Wesen, als das sie geboren und gebildet war. Allerdings beunruhigten seine bizarren Urteile sie im ersten Augenblick, aber das schrieb sie dem Umstande zu, daß er ein ihr neuer Typ war und ein ihr fremdes Leben geführt hatte, und sie vergaß es bald wieder. Und wenn sie es mißbilligte, war doch gleichzeitig in der Kraft, mit der er sie vorbrachte, in seinen blitzenden Augen und seinen ernsten Zügen etwas, das sie durchbebte und anzog. Sie hätte sich nie träumen lassen, daß dieser Mann, der aus einem ganz außerhalb ihres Horizontes liegenden Kreise kam, in solchen Augenblicken mit seiner tieferen und weiterspannenden Auffassung weit über ihren Horizont hinausging. Ihre eigene Begrenzung lag in eben ihrem Horizont, aber begrenzte Geister können nur die Begrenzung anderer sehen. Und daher fand sie ihre eigenen Anschauungen sehr frei; wo seine Anschauungen den ihren widersprachen, war es ihr nur ein Beweis seiner Begrenzung. Und sie träumte davon, ihn zu lehren, daß er mit ihren Augen sah und seinen Horizont erweiterte, bis er dem ihren gleich wurde.

      »Aber meine Geschichte ist noch nicht zu Ende«, sagte sie. »Mein Vater erzählt, daß er wie kein anderer seiner Bureauboten je gearbeitet hat. Charles Butler war aufs Arbeiten versessen. Er kam nie zu spät und war meistens schon einige Minuten vor der Bureauzeit da. Und dennoch war er sparsam mit seiner Zeit. Jede freie Minute benutzte er, um zu studieren. Er lernte Buchhaltung und Maschinenschreiben und nahm Stenographieunterricht. Er wurde bald Schreiber und machte sich ganz unentbehrlich. Mein Vater schätzte ihn sehr und sah, daß er Karriere machen würde. Es war Vaters Idee, daß er Jura studieren sollte. Er wurde Rechtsanwalt, und kaum war er wieder im Bureau, als Vater ihn zu seinem Kompagnon machte. Er ist ein großer Mann. Er hat mehrmals die Wahl in den Senat der Vereinigten Staaten abgelehnt, und Vater sagt, daß er Mitglied des Reichsgerichtes werden kann, sobald ein Platz frei wird – und wenn er will. Ein solches Leben ist ein Ansporn für uns alle. Es zeigt uns, daß ein Mann sich hoch über seine Umgebung erheben kann.«

      »Ja, er ist ein großer Mann«, sagte Martin treuherzig. Aber dennoch schien irgend etwas an der Geschichte seiner Auffassung von Schönheit und Leben zu widersprechen. Er konnte kein Motiv in dem Leben Charles Butlers finden, das alle die Entbehrungen, die er sich auferlegt hatte, begründet hätte. Wenn Liebe oder Schönheitsdrang dahintergesteckt haben würde, so hätte Martin es verstanden. »Gottes erkorener, wahnsinngeschlagener Liebender« durfte alles für einen Kuß wagen, nicht aber für ein Jahreseinkommen von dreißigtausend Dollar. Der Lebenslauf Charles Butlers befriedigte ihn nicht. Es hing ihm, trotz allem, etwas Kleinliches an. Dreißigtausend Dollar jährlich waren natürlich ganz schön, aber ein schwacher Magen und die mangelnde Fähigkeit, froh zu sein wie andere Menschen, entwerteten dieses fürstliche Einkommen in seinen Augen völlig.

      Vieles hiervon versuchte er Ruth zu erklären, und das ärgerte sie und zeigte ihr deutlich, daß es hier weiterer durchgreifender Reformen bedurfte. Sie besaß die sehr alltägliche Kurzsichtigkeit, die die Menschen glauben läßt, daß Farbe, Glaube, Politik, wie sie sie besitzen, die alleinseligmachenden sind, und daß andere, über die ganze Welt verstreute menschliche Geschöpfe weniger glücklich gestellt sind als sie selber.

      Es war dieselbe Kurzsichtigkeit, die jenen alten Juden Gott danken ließ, daß er nicht als Weib geboren war, und die den modernen Missionar zu den äußersten Grenzen der Welt schickt, um Gott zu vertreten; und diese Kurzsichtigkeit gab Ruth den Wunsch ein, diesen Mann aus einer ganz anderen Schicht so umzubilden, daß er einem ihrer eignen Schicht glich.

      Neuntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Martin Eden kam von See nach Kalifornien zurück mit der Sehnsucht eines Liebenden. Als sein Geld verbraucht war, hatte er als Matrose auf dem Schatzsucherschiff angeheuert. Auf den Salomoninseln hatte sich dann die Expedition aufgelöst, nachdem sie acht Monate vergeblich nach dem Schatz gesucht hatte. Die Mannschaft war in Australien abgemustert worden, und Martin hatte sofort wieder auf einem in San Franzisko beheimateten Schiffe angeheuert. In diesen acht Monaten hatte er nicht allein so viel Geld zurückgelegt, daß er viele Wochen an Land bleiben konnte, sondern auch Gelegenheit gehabt, eine ganze Menge zu lesen und zu studieren.

      Er war begabt, und hinter seiner Begabung standen sein unbezähmbarer Wille und seine Liebe zu Ruth. Die mitgenommene Grammatik nahm er sich immer wieder vor, bis sein nicht von der Arbeit früherer Jahre mitgenommenes Hirn sie völlig meisterte. Er bemerkte die schlechte Aussprache und die grammatikalisch falschen Satzbildungen seiner Kameraden und verbesserte sie in Gedanken. Zu seiner großen Freude entdeckte er, daß sein Ohr anfing, für Aussprache und Satzbau empfindlich zu werden, und daß er allmählich reiner und besser sprach als die Schiffsoffiziere, ja selbst als die Abenteurer in der Kajüte, die die Expedition ausgerüstet hatten.

      Der Kapitän war ein Norweger mit Schellfischaugen, dem irgendwie eine vollständige Shakespeare-Ausgabe in die Hände gefallen war, und wenn Martin ihm sein Zeug gewaschen hatte, lieh er im dafür die teuren Bücher. Eine Zeitlang hatten ihn die Dramen und die vielen Verse, die sich ihm fast ohne Anstrengung einprägten, so begeistert, daß ihm die ganze Welt fast wie ein Shakespearesches Drama erschien und er beinahe in Jamben dachte. Das übte sein Ohr und brachte ihm Verständnis für die dichterische Sprache bei, während es ihm gleichzeitig einen großen Schatz an altertümlichen Worten und Wendungen schenkte.

      Er hatte die acht Monate gut angewandt und hatte außer dem korrekten Sprechen und dem hohen Gedankenfluge auch sich selbst kennengelernt. Gleichzeitig mit der Demut über sein geringes Wissen stellte sich bei ihm ein gewisses Selbstbewußtsein ein. Er fühlte einen bedeutenden Unterschied zwischen sich und seinen Kameraden und war klug genug, sich klarzumachen, daß dieser Unterschied eher in seinen Möglichkeiten als in seinen bereits erzielten Erfolgen lag. Was er tun konnte, konnten sie auch tun, aber in seinem Innern lebte ein wirres, gärendes Gefühl, daß mehr in ihm steckte, als er bereits getan hatte. Ihn peinigte die wunderbare Schönheit der Welt, und er hätte gewünscht, daß Ruth bei ihm gewesen wäre, um sie mit ihm zu teilen. Er sagte sich, daß er ihr die Schönheit beschreiben wollte, die er in der Südsee gesehen hatte. Der schöpferische Geist in ihm flammte bei diesem Gedanken auf und spornte ihn an, all diese Schönheit vor einem größeren Kreise als Ruth allein wiedererstehen zu lassen. Und da kam, in Glanz und Pracht, der große Gedanke. Er wollte sehreiben. Er wollte eines der Augen werden, durch die die Welt sah, eines der Ohren, durch die sie hörte, eines der Herzen, durch die sie fühlte. Er wollte schreiben – alles – Poesie, Prosa, Romane, Beschreibungen und Dramen, wie Shakespeare sie geschrieben hatte. Das war eine Karriere, und das war eine Möglichkeit, Ruth zu gewinnen. Die Männer, die Bücher schrieben, waren die Großen der Welt, und er hatte das Gefühl, daß sie weit größer waren als Charles Butler und seinesgleichen, die dreißigtausend Dollar jährlich verdienten und, wenn sie wollten, Mitglieder des Reichsgerichts werden konnten.

      Als der Gedanke erst geboren war, unterwarf er sich ihm schnell und legte die ganze Rückreise nach San Franzisko wie im Traum zurück. Er war von einer ungeahnten Macht berauscht und fühlte, daß er alles, was es auch sei, tun konnte. Mitten auf dem großen, einsamen Meer gewann er den Überblick über die Dinge. Zum erstenmal sah er Ruth und ihre Welt klar und deutlich. Sie stand vor seinen Gedanken wie etwas Greifbares, etwas, das er in seinen Händen heben, wenden und untersuchen konnte. Es gab soviel Unklares, Verschleiertes in der Welt, aber er sah sie als ein Ganzes, nicht in Einzelheiten, und er sah auch, wie er ihrer Herr werden konnte. Schreiben! Der Gedanke brannte wie Feuer in ihm. Gleich nach seiner Rückkehr wollte er anfangen. Das erste sollte eine Schilderung der Schatzsucherreise sein. Er wollte die Beschreibung an eine der San-Franziskoer Zeitungen verkaufen, er wollte Ruth nichts davon sagen, und sie sollte freudig überrascht werden, wenn sie seinen Namen gedruckt las. Während er schrieb, wollte er seine Studien fortsetzen. Jeder Tag hatte vierundzwanzig Stunden. Er war unüberwindlich. Er wußte, wie er arbeiten sollte, und die stärksten Festungen sollten vor ihm in den Staub sinken. Er brauchte nie mehr zur See zu gehen, jedenfalls nicht mehr als Matrose, und im Augenblick träumte er sogar von einer Dampfjacht. Es gab Schriftsteller, die Dampfjachten besaßen. Natürlich, das sagte


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