Gesammelte Werke. Джек Лондон
Veränderung und die, worüber sie sich am meisten freute, war doch die in seiner Sprache. Er sprach nicht nur korrekter, sondern auch mit größerer Leichtigkeit, und sein Wortschatz hatte sich um viele neue Ausdrücke vermehrt. Nur wenn er sich besonders ereiferte und begeisterte, konnte er wieder in seinen alten Slang und die gedehnten Endsilben verfallen, und sie bemerkte auch eine gewisse Verlegenheit und Zurückhaltung, wenn er einen der neugelernten Ausdrücke anzuwenden versuchte. Aber außer der Leichtigkeit, mit der er sich ausdrückte, bemerkte sie auch zu ihrer Freude eine scherzhafte Leichtigkeit und Eleganz in seinem Gedankengang. Dieser Sinn für Humor und diese Unterhaltungsgabe waren es, die ihn in seinem eigenen Kreise so beliebt gemacht hatten, aber aus Wortmangel hatte er ihr gegenüber bisher keinen Gebrauch davon machen können. Er war im Begriff, ein neuer Mensch zu werden und zu fühlen, daß er keine Null mehr war. Aber er fühlte stets, wie weit er gehen durfte, ließ Ruth in bezug auf Scherz und Unterhaltung stets den Vortritt und wagte sich nie weiter als sie.
Er erzählte ihr von seiner Beschäftigung und seiner Absicht, sich seinen Unterhalt durch Schreiben zu verdienen und daneben sein Studium fortzusetzen. Aber er war sehr enttäuscht, als sie seinem Plan nicht recht zustimmte. Er gefiel ihr offenbar nicht besonders.
»Sehen Sie,« sagte sie offen, »das Schreiben muß doch ein Handwerk wie jedes andere sein. Nicht, daß ich etwas davon wüßte – ich wende nur ganz allgemeine Vernunftsgründe an. Man kann kein tüchtiger Schmied werden ohne drei Jahre – oder sind es fünf Jahre? – das Handwerk gelernt zu haben. Und ein Schriftsteller wird doch viel besser bezahlt als ein Schmied, und da ist es doch selbstverständlich, daß viel mehr Menschen Lust zum Schreiben haben ... zu schreiben versuchen.«
»Aber kann ich denn nicht besonders zum Schreiben veranlagt sein?« fragte er, im geheimen stolz darauf, wie er sich ausdrückte, und seine lebhafte Einbildungskraft ließ sofort den ganzen Auftritt in der Atmosphäre auf einem riesigen Schirm neben andern Auftritten aus seinem Leben erscheinen – Auftritten, die roh und plump, brutal und tierisch waren.
Das ganze Bild entstand mit Blitzesschnelle, ohne das Gespräch oder sein ruhiges Denken zu unterbrechen. Auf dem Schirm seiner Phantasie sah er sich selbst und dieses schöne, liebliche junge Mädchen, sah, wie sie sich in einem Zimmer mit Büchern und Bildern, Stil und Kultur gegenübersaßen, wie sie in einer schönen, korrekten Sprache miteinander sprachen, und über dem ganzen Bild lag ein gleichmäßiger Schimmer, während sich rings über den Schirm verstreut, immer schwächer nach dem Rande hin, widerspruchsvolle Auftritte gruppierten, jeder Auftritt ein Bild, das er selbst als Zuschauer nach Belieben betrachten konnte. Diese andern Auftritte sah er in treibendem Dampf und in dunklen Nebelwirbeln, die plötzlich durch rote, grelle Lichtstrahlen zerstreut wurden. Er sah Cowboys am Schanktisch stehen und schlechten Whisky trinken, während die Luft von Zoten zitterte; er sah sich selbst mit ihnen trinken, mit den Schlimmsten von ihnen unter einer blakenden Petroleumlampe sitzen, während die Jetons rasselten und klirrten und die Karten ausgeteilt wurden. Er sah sich selbst, nackt bis zum Gürtel, mit bloßen Fäusten seinen großen Kampf mit Liverpool Red auf dem Vorderdeck der »Susquehanna« ausfechten, und er sah das blutige Deck der »John Rogers« an dem grauen Morgen, als die Mannschaft zu meutern versuchte und der Steuermann in Todesangst auf der Großluke lag und um sich trat, während der Revolver in der Hand des »Alten« Feuer und Rauch ausspie und die Leute mit leidenschaftverzerrten Gesichtern, daß sie eher Tieren als Menschen glichen, freche Gotteslästerungen ausstoßend, rings um ihn fielen – und dabei kehrte er wieder zu dem Bild in der Mitte des Schirmes zurück, das ruhig und rein im klaren Lichte dastand: da saß Ruth und sprach mit ihm über Bücher und Bilder, und er sah den Flügel und hörte das Echo seiner eigenen, wohlgesetzten und korrekt ausgesprochenen Worte: »Aber kann ich denn nicht zum Schreiben besonders veranlagt sein?«
»Es kann ein Mann auch die besten Anlagen zum Schmied haben«, sagte sie lächelnd. »Ich habe noch nie gehört, daß jemand Schmied wurde, ohne erst seine Lehrzeit durchgemacht zu haben.«
»Was würden Sie mir denn raten?« fragte er. »Aber vergessen Sie nicht, daß ich die Begabung zum Schreiben in mir fühle – ich kann es nicht erklären, ich weiß nur, daß ich sie habe.«
»Sie müssen erst erzogen werden,« lautete die Antwort, »und zwar ganz gleich, ob Sie schließlich Schriftsteller werden oder nicht. Erziehung ist unerläßlich, welche Laufbahn Sie auch wählen wollen, und sie darf nicht unvollkommen oder zufällig sein. Sie sollten die Universität besuchen.«
»Ja –«, begann er; aber sie unterbrach ihn, als wäre ihr noch etwas eingefallen:
»Natürlich könnten Sie auch im Schreiben fortfahren.«
»Das muß ich wohl auch«, sagte er grimmig.
»Wieso?« Sie betrachtete ihn mit kleidsamer Verwunderung, denn der Eigensinn, mit dem er sich an seine Idee klammerte, gefiel ihr nicht recht.
»Weil es nichts mit der Universität werden kann, wenn ich nicht schreibe. Ich muß leben und mir Bücher und Kleidung kaufen, wissen Sie.«
»Das hatte ich ganz vergessen«, lachte sie. »Warum sind Sie auch nicht mit einem Jahreseinkommen auf die Welt gekommen?«
»Mir sind Gesundheit und Phantasie lieber«, antwortete er. »Ein Einkommen kann ich mir schaffen, aber die beiden andern Dinge nicht, verflucht noch mal!«
»Das dürfen Sie nicht sagen«, unterbrach sie ihn mit einem reizenden Schmollen. »Das klingt schrecklich!«
Er errötete und stammelte:
»Sie haben recht, ich möchte nur, daß Sie mich immer berieten.«
»Das ... das möchte ich auch gerne«, sagte sie zögernd. »Es steckt soviel Gutes in Ihnen, daß ich möchte, Sie wären ganz vollkommen.«
Sofort war er wie Wachs in ihren Händen und sehnte sich ebenso brennend danach, sich von ihr umformen zu lassen, wie sie sich danach sehnte, ihn zu ihrem Ideal eines Mannes umzuformen.
Und als sie ihn darauf aufmerksam machte, daß es ein besonders günstiger Zeitpunkt war, weil das Aufnahmeexamen im Gymnasium am folgenden Montag begann, erbot er sich sofort, die Gelegenheit zu benutzen.
Und dann spielte und sang sie ihm vor, während er sie mit der Sehnsucht eines Hungernden anstarrte, ihre Schönheit trank und sich wunderte, daß nicht hundert Bewerber ihr lauschten, wie er ihr lauschte.
Zehntes Kapitel
An diesem Tage blieb er zum Mittagessen, und zu Ruths Genugtuung machte er einen guten Eindruck auf ihren Vater. Sie sprachen über die See als Beruf – ein Gegenstand, den Martin in- und auswendig kannte –, und Herr Morse bemerkte später, daß er ein sehr vernünftiger junger Mann zu sein schiene. Da Martin allen Slang vermeiden wollte und häufig nach den rechten Ausdrücken suchte, war er gezwungen, langsam zu sprechen, was ihm wiederum ermöglichte, seine besten Gedanken zu finden. Er war freier als an dem ersten Abend vor etwa einem Jahre, und seine Bescheidenheit machte sogar einen guten Eindruck auf Ruths Mutter, die sich über die deutliche Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, freute.
»Er ist der erste Mann, der je Eindruck auf Ruth gemacht hat«, sagte sie später zu ihrem Manne. »Sie ist bisher Männern gegenüber so schrecklich zurückhaltend gewesen, daß ich mir schon Sorgen um sie gemacht habe.«
Herr Morse blickte seine Frau neugierig an.
»Und nun willst du diesen jungen Seemann dazu gebrauchen, sie zu ›erwecken‹?«
»Soweit ich dazu beitragen kann, soll sie nicht als alte Jungfer sterben«, lautete die Antwort. »Wenn der junge Eden in ihr das Interesse für Männer überhaupt erregen könnte, so wäre das gut.«
»Ausgezeichnet«, stimmte er zu. »Aber gesetzt – man muß auch an so etwas denken, mein Kind –, gesetzt, daß er in allzu hohem Maße ihr Interesse für sich persönlich erregte?«
»Unmöglich!« lachte Frau Morse. »Sie ist drei Jahre älter als