Gesammelte Werke. Джек Лондон
sie dazu meinte. Ihre Augen leuchteten, sie sah ihn mit Stolz in den Augen an und sagte:
»Nein, daß du so was schreiben kannst! Ist das nicht großartig?«
»Ja, ja«, sagte er ungeduldig. »Aber die Geschichte – wie gefällt sie dir?«
»Großartig«, antwortete sie. »Großartig und spannend dazu. Ich war ganz hingerissen.«
Er konnte sehen, daß ihr die Sache nicht ganz klar war. Ein verwirrter, verdutzter Ausdruck lag auf ihrem gutmütigen Gesicht. Er wartete.
»Aber sieh mal, Mart«, – und nach einer langen Pause: »Wie ging die Geschichte aus? Hat der junge Mann, der so hochtrabende Dinge redete, sie gekriegt?«
Und nachdem er ihr erklärte, wie die Geschichte ausging, was er seiner Ansicht nach künstlerisch einleuchtend dargestellt hatte, sagte sie:
»Das wollte ich eben gern wissen. Aber warum hast du das nicht in der Geschichte geschrieben?«
Eins wußte er jedenfalls, als er ihr mehrere Geschichten vorgelesen hatte – nämlich, daß ihr die Geschichten am besten gefielen, die glücklich endeten. »Die Geschichte ist großartig!« sagte sie mit einem müden Seufzer, indem sie sich vom Waschzuber abwandte und sich den Schweiß mit der roten nassen Hand von der Stirn wischte. »Aber sie macht mich so trübselig. Ich möchte direkt weinen. Es gibt natürlich viel Trauriges in der Welt, aber ich freue mich nun mal, wenn ich an frohe Dinge denke. Sieh mal, wenn er sie nun geheiratet hätte und ... du bist mir doch nicht böse, Mart?« fragte sie ängstlich. »Ich fühle nun mal so, und das kommt wohl daher, weil ich so müde bin. Aber die Geschichte war wirklich großartig, wahrhaftig – großartig! Wem willst du sie verkaufen?«
»Ja, das ist eine andere Frage«, lachte er.
»Aber wenn du sie verkaufst, wieviel, glaubst du, kriegst du dann dafür?«
»Ach, hundert Dollar. Das wäre das mindeste, wie die Preise sind.«
»Du lieber Gott! Wenn du sie nur verkauftest!«
»Ja, das wäre leicht verdientes Geld, nicht wahr?« Er fügte stolz hinzu: »Ich hab' sie in zwei Tagen geschrieben. Das sind fünfzig Dollar den Tag.«
Er sehnte sich danach, seine Geschichten Ruth vorzulesen, wagte es aber nicht. Er entschloß sich zu warten, bis einige von ihnen gedruckt waren, dann wußte sie ja, wozu er gearbeitet hatte. Im übrigen arbeitete er weiter. Noch nie hatte der Abenteuerdrang ihn so gelockt wie bei dieser verblüffenden Entdeckungsreise ins Reich des Geistes. Er kaufte sich Handbücher über Physik und Chemie, und zu seinen mathematischen Aufgaben kamen jetzt noch physikalische und chemische. Was er über die Experimente las, nahm er auf Treu und Glauben hin, und seine seltene, lebhafte Phantasie schenkte ihm ein größeres Verständnis von der Reaktion der Chemikalien, als der Student, der sie im Laboratorium sah, gewöhnlich hatte. Martin ackerte sich durch die schweren Seiten hindurch, überwältigt von dem Verständnis, das ihm aus dem Zusammenhang aller Dinge aufging. Er hatte sich vor der Weltordnung gebeugt, ohne weiter darüber nachzudenken, jetzt aber begann er zu verstehen, wie die Welt organisiert war, und wie Kräfte und Stoffe ineinanderspielten. Jeden Augenblick fand er die Erklärung von Dingen, die er früher einmal gesehen hatte. Hebel und Flaschenzüge interessierten ihn ungeheuer, und er mußte wieder an die Handspeichen, Blöcke und Taljen aus seiner Seemannszeit denken. Die theoretische Navigation, die Schiffe instand setzte, sicher ihrer Bahn über das unbeugsame Meer zu folgen, wurde ihm jetzt klar. Die Mysterien des Sturmes, des Regens und der Gezeiten offenbarten sich ihm, und die Ursachen, die man den Passatwinden zugrunde legte, ließen ihn jetzt darüber nachdenken, ob sein Aufsatz über diesen Gegenstand nicht ein wenig übereilt gewesen wäre. Auf alle Fälle wußte er, daß er jetzt einen besseren schreiben könnte. Eines Tages nahm Arthur ihn mit auf die California-Universität, und mit zurückgehaltenem Atem und einem Gefühl religiöser Ehrfurcht schritt er durch die Laboratorien, sah Experimente und hörte einen Professor der Physik, der seinem Auditorium eine Vorlesung hielt.
Aber darüber versäumte er seine Schreiberei nicht. Ein wahrer Strom von Kurzgeschichten floß aus seiner Feder, und er versuchte es auch mit Gedichten leichterer Art – wie er sie in den Zeitschriften gedruckt sah –, wenn er auch den Kopf verlor und zwei ganze Wochen auf eine Tragödie in Jamben vergeudete, die zu seinem großen Erstaunen gleich von einem Dutzend Zeitschriften zurückgeschickt wurde. Dann entdeckte er Henley, nahm sich die ›Hospital-Skizzen‹ zum Beispiel und schrieb eine Reihe von Seegedichten. Es waren einfache Gedichte mit Licht und Farbe und romantischen, abenteuerlichen Geschehnissen. »Seelyrik« nannte er sie, und er hielt sie für das Beste, was er bis jetzt geschrieben hatte. Es waren alles in allem dreißig Gedichte, und er schrieb sie in einem Monat, jeden Tag eines, wenn er seine Tagesarbeit geschrieben hatte, ein Pensum, das einem gewöhnlichen Autor von Ruf für eine Woche genügt hätte. Er fürchtete die Arbeit nicht, ja, für ihn war es gar keine Arbeit. Er begann in die Geheimnisse der Sprache einzudringen, und all ihre Schönheit und all ihre Herrlichkeit, für die seine Lippen jahrelang keinen Ausdruck hatten finden können, strömte jetzt in einem alles besiegenden männlichen Reichtum hervor.
Er zeigte die »Seelyrik« keinem, nicht einmal den Redakteuren. Er hatte begonnen, Redakteuren gegenüber etwas mißtrauisch zu sein. Aber es war nicht dieses Mißtrauen, das ihn hinderte, ihnen die »Seelyrik« zu zeigen. Diese Gedichte waren in seinen Augen so schön, daß ihm schien, er müsse sie aufheben, um sie dereinst mit Ruth zu teilen, wenn er in einer strahlenden, fernen Zukunft Mut genug hätte, ihr vorzulesen, was er geschrieben hatte. Bis dahin aber wollte er die Gedichte für sich behalten, und er las sie sich laut vor und ging sie immer wieder durch, bis er sie auswendig konnte.
Er erlebte jeden Augenblick seiner wachen Stunden, und er erlebte seinen Schlaf, wenn sein Gehirn in den fünf Stunden mit ihm durchging und die Gedanken und Ereignisse des Tages zu grotesken, ungewöhnlichen Wundern verwandelte. Tatsächlich ruhte er nie, und wenn sein Körper schwächer oder sein Gehirn weniger gut abgewogen gewesen wäre, so würde alles mit einem ernsten Zusammenbruch geendet haben. Seine Nachmittagsbesuche bei Ruth wurden seltener, denn es war jetzt nicht mehr lange bis zum Juni, und dann sollte sie ihr Abschlußexamen an der Universität machen. Wenn er an ihr Examen dachte, so war ihm, als flöhe sie von ihm – flöhe weit schneller, als er ihr folgen konnte.
Einen Nachmittag in der Woche opferte sie ihm, und dann kam er gewöhnlich spät, blieb zum Essen und hörte hinterher Musik. Das war sein großer Tag. Die Atmosphäre des Hauses, die in einem schneidenden Gegensatz zu der stand, in der er selber lebte, bestärkte ihn immer wieder in seinem Entschluß, die Höhen zu erreichen. Trotz all der Schönheit, die in ihm wohnte, und seinem fast qualvollen Schaffensdrang kämpfte er doch um Ruths willen. In allererster Reihe war er Liebender. Alles andere ordnete er seiner Liebe unter. Denn weit wichtiger als seine abenteuerlichen Fahrten ins Reich der Gedanken waren seine Liebesabenteuer. Die Welt selbst war nicht so erstaunlich wegen der Atome und Moleküle, aus denen sie – infolge gewisser unwiderstehlich zwingender Kräfte – zusammengesetzt war; was sie so überraschend machte, war der Umstand, daß Ruth in ihr lebte. Sie war das Überraschendste, das er je gekannt, geträumt oder geahnt hatte.
Aber immer bedrückte ihn ihre Ferne. Sie war so weit fort, und er wußte nicht, wie er sich ihr nähern sollte. Er hatte stets viel Glück bei den Frauen seiner eigenen Klasse gehabt, nie aber hatte er eine von ihnen geliebt; sie aber liebte er, und dazu war sie nicht nur aus einer andern Klasse, seine Liebe selbst hob sie hoch über alle Klassen. Sie war ein Wesen für sich – so sehr, daß die Möglichkeit, sich ihr als Liebender zu nähern, ihm gar nicht in den Sinn kam. Es ist wahr: als er sich allmählich Kenntnisse verschaffte, ihre Sprache sprechen lernte und entdeckte, daß sie gemeinsame Interessen und Freuden hatten, kam er ihr näher; aber das befriedigte nicht seine Liebessehnsucht. In seinen Gedanken hatte er sie zu heilig, zu überirdisch gemacht, als daß je eine körperliche Gemeinschaft zwischen ihnen hätte bestehen können. Seine eigene Liebe war es, die sie von ihm fortschob und unerreichbar erscheinen ließ. Seine Liebe selbst verweigerte ihm das einzige, was er erträumte.
Und dann eines Tages wurde, ganz unerwartet, plötzlich die Kluft zwischen ihnen überbrückt, und wenn sie auch noch vorhanden war, so wurde sie doch von nun an immer kleiner. Sie hatten Kirschen gegessen, große reife Kirschen