Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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Mutter aufzusuchen, von der das Gerücht bis in ihre Kerkermauern gedrungen war, daß sie als Giftmischerin das Schafott besteigen werde. Dies überraschende Auftreten einer nächsten Zeugin wider die Zwanziger brachte vieles Licht in die Untersuchung und die Überzeugung, daß diese stille, rechtschaffene Witwe eine der gefährlichsten Landstreicherinnen sei, welche bis dahin dem Auge der Polizei entschlüpft war.

      Aber so vieles auch über ihren Lebenswandel schon entdeckt war, noch am 16. April 1810 glaubte die Zwanziger, alles, was gegen sie sprechen könne, sei erschöpft, und sie stellte sich mit völliger Unbefangenheit vor den Richter. Da erst entdeckte dieser ihr, der Leichnam der Glaser sei ausgegraben worden, man habe die unverkennbaren Spuren der Vergiftung gefunden, und der dringende Verdacht treffe sie. Nach zwei Stunden brach ihr Mut. Nachdem sie schluchzend und händeringend ihre Unschuld beteuert und in allen Krümmungen einer angstgepeitschten Sünderin, die noch nach Auswegen sucht, sich gewunden hatte, gestand sie, doch noch mit vielen Lügen und Ausflüchten durchwebt, daß sie der Glaser zweimal Gift gegeben habe. Dies Bekenntnis war aber kaum von ihren Lippen, als sie, wie vom Blitz getroffen, zu Boden stürzte und in solchen heftigen Zuckungen sich wälzte, daß man sie aus dem Gerichtszimmer forttragen mußte.

      Der Lebenslauf der Verbrecherin ist als vollständig ermittelt nach den Akten zu betrachten. Zum Überfluß, und allerdings eine Kuriosität bei Verbrecherinnen, schrieb sie noch eine Autobiographie in der Zwischenzeit vom Schluß der Untersuchung bis zur Publikation des Urteils. Sie ist achtzehn engbeschriebene Bogen stark, keine Beichte wie die der Brinvillier, sondern ein Versuch, die Greuel ihres liederlichen und lasterhaften Wandels zu beschönigen, nicht sich zu rechtfertigen, sondern interessant zu machen. Die Stellen, welche wörtlich aus dieser eigenen Lebensbeschreibung in unserem Auszüge entnommen sind, sollen durch Häkchen bezeichnet werden.

      Anna Margaretha Zwanziger war in demselben Jahre geboren, in dem auch die Ursinus zur Welt kam, 1760. In der eigenen Biographie macht sie sich um vier Jahre jünger. Zur Zeit ihrer Verhaftung war sie also im fünfzigsten Jahre. Sie war klein von Wuchs, hager, schief und verwachsen. Ihr bleiches, mageres Gesicht, mit den Spuren von Alter und Leidenschaft, verriet auch keine Spur mehr von ehemaliger Schönheit. Aus ihren widrigen Augen blickte Gehässigkeit und Neid, während der Mund sich doch immer zu freundlichem Lächeln verzog und ihr Betragen über und über Höflichkeit, kriechende Untertänigkeit und schmeichelndes Schöntun war. Eitel, gefallsüchtig und wollüstig von Jugend auf, entfernten Alter und Häßlichkeit noch nicht die Sünde und das Begehren von ihr. Noch im Gefängnisse, als sie bereits ihrem Todesurteil entgegensah, spielte ihre Einbildungskraft mit der Erinnerung an die Blütezeit ihrer Jahre. Sie bat oft ihren Richter, er möge doch ja nicht nach der Zwanziger von heut sich eine Vorstellung der Zwanziger von ehemals machen, denn sie sei schön, sehr schön gewesen.

      Ihr Vater Schönleben in Nürnberg war, wie sie selbst bemerkte, zu böser Vorbedeutung für sie der Eigentümer des Gasthauses zum schwarzen Kreuz, unter dessen Zeichen auch sie geboren wurde. Schon im fünften Lebensjahre vater-und mutterlose Waise, ging sie aus Hand in Hand, bis sie im zehnten Jahre im Hause eines wohlhabenden Kaufmanns eine nicht gewöhnliche Erziehung erhielt. Auf Zureden desselben verlobte sie sich im fünfzehnten und heiratete im neunzehnten einen älteren Mann, den sie nicht eben liebte, den damaligen Furier, späteren Notar Zwanziger.

      Sie »fürchtete den Mann, wie das Kind die Rute«. Zudem war es still im Hause. Der Mann war entweder in seinem Beruf oder trank außer dem Hause. Bei ihrem Vormunde war es immer heiter und geräuschvoll gewesen; um die Einsamkeit zu bewältigen, griff sie zu den Büchern. »Mein erstes Buch, welches ich las, waren ›Werthers Leiden‹. Dies Buch machte gleich so großen Eindruck auf mich, daß ich immer weinen mußte. Hätte ich da eine Pistole gehabt, so hätte ich mich auch erschossen. Hierauf las ich ›Pamela‹ und ›Emilia Galotti‹.«

      Die Früchte dieser Halbbildung, einer Anempfindelei, welche das natürliche Gefühl zurückdrängte, zeigten sich erst später in dem Streben, immer interessant zu sein und zu scheinen und sich hinaus zu sehnen aus den engen und unbefriedigenden Kreisen in glänzendere und vornehmere, zu denen weder ihre Geburt, ihre Lage, noch die wahre Bildung sie berechtigten. Vorerst machte die Empfindsamkeit der Vergnügungslust Platz. Sie war volljährig geworden, ihr Mann erhielt ihr Vermögen vom Vormundschaftsamte ausgeliefert und wußte nichts Besseres damit zu tun, als in Lust und Jubel rauschende Zerstreuungen zu suchen. Tag und Abend vergingen in Saus und Braus, und die junge Frau nahm mit Vergnügen daran teil. Es wurden Gäste geladen, musikalische Gesellschaften veranstaltet, über Land in froher Kumpanei gefahren, und keine zugänglichen Bälle und Redouten blieben unbesucht.

      Aber in wenigen Jahren war das Geld verpraßt, und Sang und Klang schwiegen still. Hunger und Not klopften ans Tor, und drinnen verlangten zwei Kinder nach Nahrung. Der Mann entwich dem Kindergeschrei in seine alten Zufluchtsörter, die Weinhäuser, wo er an einem Tage seine zehn Flaschen vertrug. Sie sollte Geld schaffen, wie es sei. Erhielt er es, war er freundlich, erhielt er keins, tobte er im Hause.

      Die empfindsame junge Frau, die für die Tugend der Pamela und der Emilia Galotti geschwärmt hatte, machte ihre Person zur Ware. »Doch besaß ich immer so viel Delikatesse, mich nur zu Standespersonen zu halten, die stillschwiegen. Denn das Prinzip ist mir von Jugend auf eingeprägt, mich nur zu Personen zu halten, die mein Glück machen können. So hatte ich denn auch der Liebe das Glück zu danken, daß ich von edlen Männern viel unterstützt wurde.«

      Nach zwei Jahren lächelte das Glück wieder dem sauberen Ehepaar. Zwanziger gewann durch eine Uhrenlotterie, die er unternommen hatte, Geld. Das frühere Wohlleben kehrte zurück, aber nicht die Tugend, wenn diese überhaupt dagewesen war. Die Gattin setzte, was sie aus Not angefangen hatte, aus Liebe und Gewohnheit fort.

      Eines dieser Liebesverhältnisse scheint ernsthafter von ihr und dem Geliebten genommen worden zu sein. Sie entfloh mit diesem, einem adeligen Offizier, nach Wien zur Schwester desselben, kehrte zwar auf Vorstellung ihres Mannes wieder nach Nürnberg zurück, ließ sich aber nun von demselben gerichtlich scheiden. Kaum aber war das Urteil publiziert, als sie sich abermals mit ihm in der Lorenzkirche trauen ließ. Sie will von nun an in glücklicher Ehe mit ihm gelebt und ihn sogar geliebt haben, weil sie bei mehreren Gelegenheiten bemerkt habe, »daß er sehr edel denke und ein empfindsames Herz besitze«.

      Im Jahre 1796 starb der Notar Zwanziger im achtzehnten Jahre ihrer Ehe. Sein schneller Tod erregte den Verdacht, daß auch er einem Gift könne erlegen sein, das sie gemischt hatte; es bestätigte sich indessen nicht. Von nun an begann ein Gewirr von Unglücksfällen, Torheiten, Lastern und Verbrechen, welche das Leben der Zwanziger bildeten.

      Mit vierhundert Gulden, die sie von allem, was sie und ihr Mann besessen hatten, gerettet hatte, begab sie sich nach Wien, angeblich, um von der Zuckerbäckerei zu leben. Der Plan schlug fehl. Sie diente als Haushälterin in verschiedenen angesehenen Häusern, machte dann Bekanntschaft, zwar nur mit einem Schreiber von der ungarischen Kanzlei, »welcher aber von sehr gutem Gemüt war«, und gebar ihm ein Kind, welches, in ein Findelhaus getan, dort starb.

      Nach anderthalb Jahren kehrte sie nach Nürnberg zurück, wo ein Freiherr v. W. ihr seine »Freundschaft und Liebe« antrug, die sie auch annahm, da sie an allem merkte, »daß sie in diesem Freiherrn einen sehr edeln Mann vor sich habe«. Sie will aber nur, wer das glauben mag, von diesem Beschützer »wie eine Freundin vom Freunde« besucht und mit allen ihrer Tugend gefährlichen Zumutungen von ihm nicht allein verschont, sondern auch »zu allem Guten geleitet« worden sein.

      Darauf ging sie nach Frankfurt am Main, wo ihr ein vorteilhafter Dienst als Haushälterin beim Ministerresidenten v. K. angetragen war. Ihr edler Beschützer in Nürnberg wollte sie nicht hindern und schenkte ihr hundert Gulden auf den Weg. Aber sie mußte den vorteilhaften Dienst, weil sie die Küche nicht zu verwalten verstand, und wegen Unreinlichkeit (so in Verfall war also die gefeierte Schöne) wieder verlassen.

      Dieser Verfall ging nun schnellen Schrittes. Sie mietete sich bei einem Friseur ein, verdingte sich bei englischen Reitern als Kinderwärterin, entlief diesen und ward endlich von einem Kaufmann auf kurze Zeit als Kindermagd angenommen. Alles das fiel in wenigen Monaten vor.

      Mit ihrem wachsenden Notstand geriet auch ihr Gemütszustand in Verwirrung. Das Herabsinken von einer Herrin zur Magd, von einer Gebieterin nach Laune


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