Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis Willibald

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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gab ihm eine Kaffeetasse voll Milch und hatte nur »ein klein wenig Mückenstein hineingetan.« Einige Kaffeelöffelchen gab sie dem armen Wurme zu trinken, wieder durchaus nicht in der Absicht, dem Leben des Kindes zu schaden, nur um ihm Übelkeit zu erregen, »es unruhig zu machen, damit Gebhard bewogen werde, sie zur Beruhigung seines Kindes von Baireuth wieder zurückzurufen und wieder ins Haus zu nehmen.«

      Dies sind ihre Geständnisse, die, was das Motiv anbetrifft, als vollkommen wahr anzunehmen sind. Sie bot alle Mittel auf, wieder ins Gebhardsche Haus zurückzukommen. Darum hatte sie an den Amtmann einen Brief zurückgelassen, darum blieb sie in unglaublicher Verblendung vier Wochen lang in Baireuth; darum schrieb sie Briefe über Briefe mit der direkten und indirekten Aufforderung, sie zurückzurufen. Was sollte die Giftmischerin gescheut haben, um zu ihrem Zwecke zu kommen, auch dem lieben Kinde etwas unschädliches Gift einzugeben! Nur hinsichtlich der Ausführung wollte sie nicht alles, was durch die Zeugen bekundet wurde, und auch nicht gerade so, wie sie es aussagten, einräumen. So wollte sie dem lieben Fritzchen nichts im Biskuit eingegeben haben, und doch ist erwiesen, daß sie das Biskuit in die Milch tauchte und es ihm gab. Nur ein paar Kaffeelöffelchen wollte sie ihm gegeben haben, und doch weiß man, daß sie ihm die ganze Schale vor den Mund hielt und ihn diese ganz ausschlürfen ließ. Die Lüge war in ihr innerstes Wesen untilgbar eingedrungen, auch wo der mindeste Aufwand von Urteilskraft ihr sagte, daß Lüge und Ausschmückung ihr nichts halfen, mußte sie zur Befriedigung ihrer zweiten Natur die Wahrheit verringern oder entstellen.

      Das war ihr Leben, ihre Taten! Bedarf es nach den Ermittelungen und Geständnissen noch einer Charakteristik dieses weiblichen Ungeheuers? Unseres Erachtens steht es mit einer solchen plastischen Klarheit und Durchsichtigkeit vor unseren Augen, daß wir das widerwärtige Weib mit seiner grinsenden Freundlichkeit, seiner niederträchtigen Demut und doch dazwischen aufleuchtenden Tücke nicht allein als ein vollkommenes Bild, wie es nur Dichter und Maler zeichnen können, lebendig vor uns sehen, sondern auch die Triebfedern ihres Tun und Treibens verfolgen mögen. Die Brinvillier und andere waren diabolische Naturen, gleichsam die Aristokratinnen unter den Giftmischerinnen; diese ist die Demokratin. Die Brinvillier, deren Taten zum Teil nur aus dem Nebellichte der Fabel uns entgegenglänzen, zerstörte und vernichtete das Leben der anderen von ihrer Höhe herab mit dem Hohne des Stolzes. Ähnlich, aber mit mehr Vorsicht und Selbstbeherrschung, die Ursinus. Sie vertilgte, was ihren Zwecken im Wege stand, ohne Rücksicht auf die teuersten Blutsbande, die innigsten Verhältnisse. Ihre gräßlichen Taten haben aber eben deshalb eine großartige Beimischung. Sie setzte sich über alles hinweg, was dem Menschen am heiligsten und teuersten ist. Die Zwanziger übte das Werk der Rache, aber die Rache einer gemeinen, tief gekränkten Natur, einer durchaus erbitterten Seele. Das Diabolische war nicht in ihrer Natur, es war nur das Produkt eines verfehlten Lebens, sie war der getretene Wurm, der unter den Qualen des Zertretenwerdens Gifte in sich sammelt und ausspritzt, um anderen wieder Qualen zu bereiten. Zum Hohngelächter der Hölle hatte sie nicht Mut, nicht Elastizität der Seele genug; eine Schleicherin, die nur heiser, innerlich bei sich lachte. Wenn sie darin gegen ihre Vorgängerinnen zurück ist, daß sie nur Fremde vergiftet, nicht Verwandte, so ist sie darin ihnen wieder vorausgeeilt, daß sie nicht allein vergiftet, um zu ihren Zwecken zu vertilgen, sondern auch – man erlaube den Ausdruck – angiftet, um den erwählten Opfern Beschwerden, Unbehagen zu erregen und darin einen Spaß zu finden, als wäre es ein unschuldiges Vergnügen, wenn das Opfer nur nicht daran stirbt. So hat sie ihre Vorgängerinnen auch in der Zahl der Vergiftungen bei weitem übertroffen, und ihre Präparation verschiedener Gifttränke, tödlich oder nicht tödlich wirkender, die Anlegung einer förmlichen Vorratskammer solcher Tränke bringt sie der Charakteristik einer Giftmischerin im juristischen Sinne näher, obwohl wir nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche auch andere Giftmörderinnen darunter begreifen.

      Aber in einem Punkte begegnen sich alle diese Frauen. Sie arbeiteten aus bestimmten Motiven zu einem bestimmten Zwecke. Vergebens dürfte man in der Zwanziger, wie die Ursinus es für sich geltend zu machen versuchte, eine Geisteszerrüttung entdecken wollen. Sie wußte, was sie wollte, so gut als die Ursinus und die Brinvillier. Und diese Zwecke sind nicht in eine nebelhafte Ferne gerückt, daß man sie nur mit besonderer Anstrengung entdecken könnte. Wenn jene Erbschaften oder Befreiung von Zwang suchten, so wollte diese ein Unterkommen, Männer heiraten und endlich für erlittene spezielle und allgemeine Kränkungen sich rächen. Die Manie, der Vergiftungstrieb waren nicht ursprünglich da. Bei ihren kleinsten, scheinbar unnötigen, nutzlosen Vergiftungen hatte sie geständlich bestimmte Absichten. Daß eine Lust am Vergiften, ein Vergiftungsfieber nicht zuletzt hinzutrat, soll nicht bestritten sein. Das Glück, das sie bei diesen Versuchen begleitete, die Gefahrlosigkeit, unter der sie dieselben ausführte, gaben der Lust immer neue Nahrung, neuen Reiz. Es war so bequem und erzeugte so viel Vergnügen; und wo andere in Schimpf-und Scheltworten ihre Lunge ausgeschrien oder auf die Ungezogenen losgeschlagen hätten, da half sie sich sicherer, empfindlicher und bequemer durch ein Giftpülverchen.

      Wer aber doch noch ein unerklärliches Ungeheuer in ihr erblicken sollte, den verweisen wir auf Feuerbachs Charakteristik der Zwanziger (»Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen«, Bd. 1), in welcher er diese Verbrecherin mit seinem philosophischen Zauberstabe geistvoll und klar entfaltet und ihr einen so bestimmten Platz unter den moralischen Erscheinungen derart anweist, daß ihr Zusammenhang mit ihnen deutlich wird, wenn nicht das Naturwidrige durch das scheinbar Unerklärliche verschwindet.

      Wir mögen uns jedoch nicht enthalten, auch hier eine Stelle daraus mitzuteilen: »Was die Zwanziger mit dem Gifte befreundete, war überhaupt nur das Gefühl unwiderstehlicher Macht, die mit tückischem Stolz kitzelnde Freude, eine Kraft zu besitzen, mit der sie jede Beschränkung nach Gefallen umwerfen, jeden Zweck erreichen, jede Neigung befriedigen und gleichsam in die Pläne des Schicksals zerstörend eingreifen und dieses nach ihrem Gefallen lenken konnte. Gift war ihr das magische Szepter, womit sie unsichtbar diejenigen beherrschte, welchen sie sichtbar dienen mußte; Gift vertrat ihr die Stelle des Zauberstabes, womit sie das goldene Tor ihrer letzten Hoffnungen sich öffnete. Ihr, welche die Schmach ihrer Dienstbarkeit an den verhaßten Menschen zu rächen hatte, gewährte es das Bewußtsein furchtbarer Erhabenheit, gleichsam als eine friedliche Gottheit, wie ein Engel des Todes unter dem widerlichen Geschlecht umherzuwandeln und mit geheimer Kraft hier Tod, dort Schmerz und Krankheit auszuteilen. Dieses Gift, wozu diente es nicht! Gift strafte jede vermeintliche oder wirkliche Kränkung; Gift züchtigte für jede kleine Neckerei; Gift wehrte unangenehmen Gästen das Wiederkommen; mit Gift störte man die beneideten Freuden geistlicher Vereine; Gift gewährte mitunter in den lächerlichen Gebärden der Vergifteten eine lustige Unterhaltung; Gift gab Gelegenheit, sich den daran Erkrankten nachher in Wort und Tat durch geheuchelte Teilnahme zu empfehlen; Gift war das Mittel, um Unschuldige in Verdacht zu bringen und verhaßtem Mitgesinde bei seiner Herrschaft Verdruß zu bereiten; Gift machte Kinder schreien und ließ die Väter glauben, jene schreien aus Sehnsucht nach der geliebten Wärterin. Schmeichelte ihr die Hoffnung mit der Aussicht auf die Heirat eines noch verheirateten Mannes, so durfte sie nur wollen, und die Weiber stiegen in das Grab, um ihre Männer ihr als Witwer zu hinterlassen. Giftmischen und Giftgeben wurde sonach für sie ein gewöhnliches Geschäft, ausgeübt zum Scherze wie zum Ernste, zuletzt mit Leidenschaft betrieben, nicht bloß um seiner Folgen willen, sondern um seiner selbst willen, aus Liebe zum Gift, aus bloßer Freude an dem reinen Tun an und für sich. Wie man alles liebgewinnt, womit man lange umgeht, und am liebsten hat, was uns am treuesten dient, so hatte zuletzt zwischen ihr und dem Gifte gleichsam die Liebe ein unzertrennliches Band geknüpft. Gift erschien ihr als ihr letzter treuester Freund, zu dem sie sich überall unwiderstehlich hingezogen fühlte, und von welchem sie nicht mehr lassen konnte.«

      Noch wird uns ein charakteristischer Zug hierüber mitgeteilt. Als ihr im Gefängnis das bei ihr vorgefundene Arsenik zur Anerkennung vorgelegt wurde, war es, als wenn sie vor Freude zitterte. Mit Augen, welche vor Entzücken strahlten, starrte sie auf das weiße Pulver hin und schien es als ein Wesen zu betrachten, das sie mit ihren Armen umfangen und an ihre Brust drücken möchte.

      Ihre Vorgängerinnen handelten und heuchelten nur vor der Welt. Wie sie zu sich selbst standen, ob und wie sie ihre Taten vor ihrem Gewissen rechtfertigten, wissen wir nicht; aber sie kokettierten wenigstens nicht mit ihren Gefühlen. Der Selbstbetrug, das sentimentale Schöntun, das Hineinspielen religiöser Gefühle, diese furchtbarste Seelenverwirrung, welche bei späteren Giftmischerinnen


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