Im Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Im Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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haben, dass Sie das taten. Das ist etwas anderes, als wenn eine Mutter aus nichtigen Gründen ihr Kind verlässt. Sehen Sie, ich wünschte mir Kinder. Hanna wusste das. Es ist müßig, darüber zu reden. Ich habe mir lange genug den Kopf darüber zerbrochen, was ich wohl falsch gemacht habe.«

      »Ich weiß, was ich falsch gemacht habe«, erklärte Ursula. »Ich bin blind und taub ins Unglück getappt.«

      »Vielleicht kann ich das auch von mir sagen, und dennoch verzeihe ich Hanna alles, weil ich Maxi habe. Ich hoffe, dass Sie um Ihres Kindes willen auch so denken können.«

      »Was diesen Mann anbetrifft, guter Gott, das ist vorbei«, entgegnete Ursula. »Was mich bedrückt, ist die Tatsache, dass ich meiner Kusine das Kind gab, dass es ihr so ans Herz gewachsen ist und ich es nun wieder weggenommen habe. Ich frage mich immer wieder, ob ich das Recht dazu habe.«

      »Sie sind doch Dagmars Mutter.«

      Ihr Blick wanderte zum Himmel empor.

      »Ja, ich bin ihre Mutter. Entschuldigen Sie, dass ich über Dinge spreche, die Sie sicher gar nicht interessieren. Ich bin sonst nicht so mitteilsam.«

      Mit einem scheuen Lächeln streckte sie ihm die Hand entgegen, die er mit warmem Griff umschloss.

      »Sie wissen, dass Ihr Kind Ihnen gehört, Herr Raimund. Ich weiß das nicht«, bemerkte sie stockend. »Ich muss mir Dagmars Liebe erst erringen.«

      »Das wird Ihnen bestimmt gelingen. Maxi mag Sie doch auch, und das ist beinahe ein Wunder. Er hat Frauen immer aus der Distanz betrachtet«, sagte Hartmut Raimund mit einem leisen Lachen.

      Sie wartete, bis das Knattern seines kleinen Autos verklang. Dann ging sie langsam zur Klinik zurück.

      Es war das erste Mal, seit Walter aus ihrem Leben verschwunden war, dass sie wieder ein Gespräch mit einem Mann geführt hatte. Mit einem Mann, der ihr Respekt abnötigte und das Gefühl der Bitterkeit tilgte, dass alle Männer gleich wären.

      *

      Schwester Selma betrachtete sie mit mütterlichem Blick.

      »Na, jetzt bekommt das Kind wenigstens wieder Farbe«, sagte sie zufrieden. »Es wurde auch Zeit.«

      »Ich habe noch Herrn Raimund getroffen. Er war bei den Thewalds«, erzählte Ursula.

      Schwester Selma schmunzelte in sich hinein.

      »Er ist ein gescheiter Mann. Man kann sich gut mit ihm unterhalten. Und er bringt einem auch wieder eine anständige Meinung über die Männer bei.«

      »Ist da von mir die Rede?«, fragte Dr. Fernand heiter.

      »I wo!«, sagte Schwester Selma.

      »Jetzt bin ich aber beleidigt«, äußerte er verschmitzt. »Was habt ihr denn gegen mich?«

      »Gar nichts«, erwiderte Schwester Selma vergnügt. »Eine Tasse Tee gefällig?«

      »Immer. Übrigens hat Frau Pahl vorhin angerufen und sich nach Ihrem Befinden erkundigt, Schwester Ursula.«

      Eine Woche war es schon her, dass sie so deprimiert diese Straße gegangen war, bis Frau Pahl sie mitgenommen hatte, die gleiche Straße, auf der dann Dagmar das Unglück ereilte.

      Aber war es nicht Glück im Unglück? Ihre Tochter war hier.

      Sie konnte bei ihr sein und brauchte sich keine sorgenvollen Gedanken zu machen, was Melanie alles tun würde, um ihr Dagmar noch mehr zu entfremden.

      Sie konnte keinen Groll mehr gegen Melanie hegen. Jeder Mensch wollte festhalten, was ihm Glück bedeutete, und man bedachte nicht, dass man einem anderen dabei weh tat.

      »Frau Pahl wäre auch bereit, Dagmar bei sich aufzunehmen«, berichtete Dr. Fernand.

      »Das kommt gar nicht infrage!«, platzte Schwester Selma heraus. »Ich habe Ursula schon einen anderen Vorschlag gemacht.« Den gab sie nun auch gleich preis.

      »Potztausend! Man wird sich doch nicht noch um das Kind streiten«, bemerkte Dr. Fernand. »Was sagen Sie dazu, Schwester Ursula?«

      »Dass alle überaus lieb zu mir sind«, flüsterte sie. Dann rannen Tränen über ihre Wangen, und sie lief schnell hinaus.

      »Das wollte ich nun wirklich nicht«, murmelte Dr. Fernand.

      »Sie ist ein armes Hascherl«, sagte Schwester Selma. »Mit Liebe so wenig verwöhnt, dass sie schon gar nicht mehr an die Menschen geglaubt hat. Der liebe Herrgott scheint manchmal keine Übersicht mehr zu haben, wenn es ans Verteilen des Glücks geht.«

      »Wen der Herrgott liebt, den züchtigt er«, philosophierte Dr. Fernand.

      »Mit solchen Sprüchen kann ich nichts anfangen«, brummte Schwester Selma. »Es heißt ja auch: Was Gott zusammenfügt, das soll der Mensch nicht scheiden. Manchmal scheint mir da eher der Teufel die Hand im Spiel zu haben.«

      »So ist es, Selma. Aber als Sie zu uns kamen, hat bestimmt Gott seine Hand im Spiel gehabt.«

      Da errötete sie vor Freude.

      *

      Voller Zärtlichkeit betrachtete Ursula ihr schlafendes Kind. Ihre Tränen waren versiegt.

      »Wir haben Freunde, Dagmar, mein Kleines«, flüsterte sie. »Wir sind nicht mehr allein. Ich habe nicht fest genug daran geglaubt, dass es auch für mich ein bisschen Glück gibt. Jetzt werde ich es schaffen.«

      »Mutti«, flüsterte es an ihrem Ohr. »Redest du mit mir? Bist du da?«

      »Ich bin da, mein Liebling!«

      »Ich habe schön geschlafen. Jetzt tut gar nichts mehr weh. Der Onkel Doktor ist sehr lieb. Viel lieber als der von Tante Melanie. Der hat mir immer ein Holz in den Hals gesteckt.«

      Ursula musste unwillkürlich lächeln.

      »Er hat dir nur in den Hals geschaut«, sagte sie.

      »Und dann musste ich Medizin schlucken, die gar nicht geschmeckt hat. Kann ich jetzt bald aufstehen?«

      »Noch nicht sobald. Du musst erst wieder ganz gesund werden.«

      »Ich will ja auch nur aufstehen. Ich will gar nicht fort von dir.«

      Mit überströmender Zärtlichkeit küsste Ursula das kleine Gesicht.

      »Es macht mich so glücklich, dass du das sagst. Es ist so schön, wenn du bei mir bist.«

      »Ich habe doch gar nicht gewusst, dass du mich haben willst. Keiner hat mir was gesagt. Tante Melanie hätte mir schon sagen müssen, dass du meine Mutti bist, dann hätte ich dich nicht weggehen lassen.«

      »Aber Tante Melanie war doch immer sehr lieb zu dir.«

      »Ja, immer. Aber ich habe auch nur Mama zu ihr gesagt und nicht Mutti. Und nun sage ich auch wieder Tante Melanie.«

      »Ich kann dir aber nicht so schöne Kleidchen kaufen, mein kleines Mädchen.«

      »Das macht gar nichts. Ich ziehe lieber Hosen an. Kuschel dich ein bisschen her. Ich rieche dich so gern.«

      In Ursulas Arm schlief sie wieder ein, und Ursula war jetzt vollkommen glücklich.

      *

      Am nächsten Vormittag kam Alf Siemon. Ursulas Herz begann wild zu klopfen, als sie sah, wie er in Dr. Allards Zimmer verschwand. Sie fragte sich, was das zu bedeuten hatte.

      »Dagmar ist munter«, erklärte Schwester Dorle. »Sie möchte lieber von ihrer Mutti versorgt werden.«

      Ursula nahm sich zusammen. Sie ging zu ihrem Kind. Heute war Dagmar schon fast fieberfrei. Auch ihre Augen bekamen wieder Glanz.

      »Mein Bauch brummt, Mutti. Er hat Hunger«, sagte sie.

      »Was möchte er denn haben?«, fragte Ursula.

      »Ich bekomme ein Süppchen, hat Schwester Dorle gesagt. Ich mag Süppchen gern. Bin kein Suppenkaspar.«

      Ursula


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