Moriz. Friedrich Schulz

Moriz - Friedrich  Schulz


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einen gewaltigen Nagel im Kopfe hat. Er gehorcht mir jetzt schon nicht mehr, wie er sollte, was würde daraus werden, wenn er erführe, daß ich nicht sein Vater bin? Laß Du nur noch einige Jahre hingehen. Es wird sich schon eine Gelegenheit finden, wo wir's ihm mit Manier beybringen können. Und vielleicht stirbt der Alte bald, dann erfährt er's auf einmal. Er hört's doch wohl nicht?« setzte er leise hinzu: »Geh hin, und sieh einmal zu, ob er noch schläft!«

      Martha kam und sahe zu, ob ich noch schliefe. Ich hatte mich auf Papa's Bette hingestreckt. Mein rechter Arm trug den Kopf und der linke lag unbeweglich auf dem Deckbette. Meine Augen waren fest zu, der Mund halb offen, und der Athem flog mit Geräusch durch Mund und Nase aus und ein. Ich machte den Schlafenden so natürlich, daß Martha sogleich zum Papa zurückging und ihm versicherte: ich schliefe wie eine Ratze.

      »Nun, es ist gut,« sagte Papa: »wenn ich zurückkomme, wollen wir weiter davon sprechen. Jetzt laß mir mein Pferd satteln, ich will fort!«

      Martha ging und Papa zog sich an.

      Mir war es sehr unangenehm, daß diese Unterredung, die mir so merkwürdig vorkam, aber höchst dunkel und geheimnißvoll war, so plötzlich abgebrochen wurde. Ich war so boshaft, zu wünschen, daß Papa's Brauner auf der Stelle lahm werden möchte, damit Papa gezwungen würde, zu Hause zu bleiben, und das Gespräch da wieder anzufangen, wo er es abgebrochen hatte. Aber mein Wünschen half nichts! Martha kam zurück und meldete, der Braune wäre gesattelt. Papa nahm seine Reitgerte, umarmte Marthen und gab ihr einen Abschiedskuß, daß die Stube wiederhallte. »Adje, Martchen!« rief er und ging zur Thür hinaus.

      Martha trat ans Fenster, machte es auf, sah meinem Papa eine Weile nach, schlug darauf das Fenster zu, und kam langsam und auf den Zehen zu mir vor das Bette. Ich schlief immer noch so fest als vorher.

       Martha: ein Monolog.

       Inhaltsverzeichnis

      »Morizchen, Morizchen,« rief sie leise und tippte mit ihrem eißkalten Finger mir auf den linken Backen: »schläfst du noch?«

      Ich schlief dicht und fest.

      »I, du lieber Goldjunge! (Sie bückte sich zu mir herunter und drückte ihre Lippen sanft auf die meinigen) Ach, wie warm die Lippen des kleinen Schlingels sind! – Noch einmal (sie küßte mich von neuem) Noch einmal! und – noch einmal!«

      Ich schlief dicht und fest.

      »Und, die kleinen rothen Bäckchen,« rief sie wie entzückt, »die kleinen rothen Bäckchen, so voll, so fest!«

      Sie rückte leise einen Stuhl vors Bette, setzte sich darauf, und legte ihren rechten Backen auf meinen linken. Mein Backen brannte wie Feuer, und erhitzte nach und nach den ihrigen, der anfangs sehr kalt war. So blieb sie eine Weile liegen, ohne einen Laut von sich zu geben.

      Mir ward diese Lage in die Länge beschwerlich, und ich war einigemal im Begrif, zu erwachen; aber die Besorgniß, daß ich ein plötzliches Erwachen nicht natürlich und unverdächtig würde machen können, hielt mir die Augen zu. Nach einigen Minuten richtete sie sich auf und krabbelte mir sanft und leise um Hals und Kinn.

      »Alles so fein, so fleischigt, so glatt!« sagte sie mit leiser zitternder Stimme: »Ich möchte den Jungen aufessen vor Liebe! – Wenn ich meinen alten Ernst dagegen ansehe, der hat eine Haut wie Elefantenleder. Aber hier? Wie fein, wie glatt die Stirn ist? Wie prall und rund die Backen! Der alte Ernst hat hundert Millionen Runzeln vor dem Kopfe, und seine Backen sind so dick, so aufgedunsen und kirschbraun! Und das kleine Mäulchen hier – so frisch, so roth, so klein! – Warum kann ichs denn so lange ansehen?«

      Sie bückte sich von neuem zu mir herunter, und gab mir einen Kuß. Diese kleinen Späße gefielen mir, und ich schlief mit jeder Minute fester ein.

      »Der alte Ernst,« fuhr sie fort: »hat ein Maul wie ein Thorweg, und riecht immer nach Taback, daß mir möchte schlimm werden. Laß einmal sehen, Morizchen (sie bückte sich so weit herunter, daß ihre Lippen die meinigen berührten) nein, du riechst nicht nach Taback. – Ach! (sie schnupperte, als wenn man den Geruch einer Sache unterscheiden will) Ach, Schelm, warte, ich will dich kriegen. Du bist mir über den Malagga gewesen! (sie schnupperte wieder) Ja, der pure klare Wein! Warte, Schelm, warte!«

      Ich fühlte, daß mir über und über warm ward. Ich war wirklich über ihrem Malagga gewesen.

      »Darum war dir auch der Kopf so schwer,« fuhr sie fort: »darum warst du so schläfrig, so müde! – Ha, ha, Vogel, komme ich so darhinter? Aber warte, ich will ihn schon besser verstecken!«

      Es ward mir immer wärmer und wärmer, und plötzlich stieg mir die Hitze ins Gesicht. Ich schlug die Augen auf und drehete mich um. Martha trat hurtig ein paar Schritte zurück und sagte ganz gleichgültig: »Nun, Moriz, hast du ausgeschlafen?«

      Ja, Mamsell! sagte ich und sprang aus dem Bette. Ich hatte nicht das Herz, ihr ins Gesicht zu sehen, und in drey Sprüngen war ich an der Thür, riß sie auf und fort. Sie rief hinterdrein, aber ich fürchtete eine Untersuchung über den Wein und kam nicht.

       Ernst – erste Schilderey.

       Inhaltsverzeichnis

      Als ich im Freyen war, kam mir das geheimnißvolle Gespräch zwischen Papa und Marthen ins Gedächtniß zurück. Aber ich nahm es auf die leichte Achsel und überredete mich, daß es nicht mir gegolten habe, ob ich gleich deutlich genug gehört hatte, daß es auf keinen andern, als auf mich gehen konnte. »Wenn auch Papa nicht mein Vater ist, dachte ich, schadet nichts! Ich habe Essen und Trinken; Papa ist mir gut, Martha auch; und erfahren soll ichs ja mit der Zeit, wer mein Vater ist. Mag's seyn, wer's will! Heissa!«

      Und hiermit drehete ich mich dreymal auf dem Absatz herum und suchte meine Spielkameraden.

      Meinen Lesern ist es gleichgültig, ob ich Ball, oder sonst etwas gespielt habe; aber nicht so gleichgültig ist es ihnen, wer Papa und seine Wirthschafterin Martha wohl gewesen seyn möchten.

      Mein Papa hieß Ernst. Es war ein kurzer, dicker Mann. Sein Gesicht glühete beständig wie ein Kohlfeuer. Er trug gewöhnlich eine Perücke von altfränkischem Stutze, die von der Scheitel bis auf die Schultern herab mit breitgedrückten Pferdehaarlocken übersäet war. Wenn er Gala machte, so zierte er sie mit einem Haarbeutel, der wenigstens achtzehn Quadratzoll lang und breit war; wenn er aber ausritt oder mit Marthen spazieren ging, so wackelte ein kleines, fingerlanges Zöpfchen auf dem breiten Rücken, das sich immer einige Zoll hob, wenn er sich bückte. Ein paar kleine graue Augen hatten sich unter dicken, buschigten Augenbraunen verkrochen, und warfen aus ihrem Verstecke ziemlich muntre Blicke über die vorstehenden Backen herüber. Wenn ihn Martha küßte, weg waren die Augen! Denn sie hatte die Gewohnheit, ihn dabey zärtlich unter das Kinn zu fassen, und da alles, was bey minder genährten Leuten Muskel ist, bey ihm aufgedunsenes, weiches Milchfleisch war, so schob sich dies hinauf und vergrub seine Augen. Seine Nase war klein, in der Mitte etwas eingedrückt, und über und über mit kleinen hochrothen Hügelchen bestreut, deren Spitzen, wenn er des Morgens aufstand, ins Blaue schattirten, sich aber, sobald er seine erste Flasche Malagga getrunken hatte, in weisse und hellrothe Tippchen verwandelten. Ein dünner, röthlicher Bart zog sich von den Ohren über Mund und Kinn, und einen Theil des kurzen Halses herüber. Er barbierte sich selbst, nicht aus Knauserey, sondern weil er in seiner Jugend die Ehre gehabt hatte, dem Kammerpräsidenten von Lemberg in aller Unterthänigkeit den Bart zu nehmen und sich dieses Geschäftes zu Höchstdesselben Zufriedenheit zu entledigen. Darum bildete er sich auch viel darauf ein, und wenn er jemand unumschränkt liebgewinnen sollte, so mußte er, außer dem Talente, daß er eine gute Hand schrieb, auch die Fähigkeit besitzen, sich selbst den Bart zu scheeren.

      Sein Hals war, wie gesagt, ungemein kurz. Wenn er zu Hause war, so schlug er


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