Moriz. Friedrich Schulz
ihr im Ehebette nicht sehr beschwerlich fallen; und mit Einem war es schon bis zur Verlobung gekommen, aber, o Jammer! ein altes Weib, das ihn gerne für sich weggekapert hätte, that ihm 'was an, und er starb! Nie sprach sie von ihm, ohne die bittersten Thränen zu vergießen, wobey sie sich in einen Strom von Verwünschungen auf die alte neidische Hexe ergoß. Bey seinem Grabe hatte sie gelobt, nie zu heirathen, und sie hat dies feyerliche Gelübde unverbrüchlich gehalten, denn er war der letzte, der sich um sie bewarb.
Uebrigens war es die gutherzigste Seele unter der Sonne. Was sie meinem Papa und mir an den Augen absehen konnte, that sie mit unermüdeter Willigkeit. Wenn er unbaß war, wurden ihre Augen nicht trocken, und wenn ich zu einer Näscherey Appetit zeigte, so ruhete sie nicht eher, bis sie mir dieselbe verschafft hatte, und wenn es mir dann recht wohl schmeckte, so hielt sie sich für ihre Mühe hundertfach belohnt.
Sie war in allen erdenklichen Wirthschaftskünsten ausgelernt. Sie kochte gut, buck vortrefliches Brod, machte köstlichen Kaffee und noch köstlichere Schokolate. Wenn mein Papa ein neues leckeres Gericht ergrübelt hatte, so stand es in kurzer Zeit schmackhaft und appetitlich vor ihm. Niemand verstand besser, glühenden Wein zu machen, niemand herrlichere Torten. Kein Koch in der ganzen Christenheit spickte einen Hasen fertiger, künstlicher und geschmackvoller, und keiner wußte ihm seine neun Felle, so sauber, so behutsam abzuziehen – kurz, sie war die Krone aller Köche und Köchinnen, die auf Erden lebten und je leben werden.
Ihre hauptsächlichsten Geschäfte waren Küche und Wäsche, und nächst diesen lag ihr die große Pflicht ob, meinem Papa das Bette zu machen. Wie die Küssen unter ihren Händen aufschwollen! Wie geschmackvoll sie das weisse, glänzende, feine Bettuch in Falten, gleich breit, gleich abgemessen zu legen wußte! – Bis über die Ohren plumpte dann mein guter Papa in die Flaumfedern, und er pflegte sein Bette immer das irdische Paradies zu nennen.
Auf ihr eignes Bette wandte sie nicht so viel Fleiß. Woher das kam? Ich habe es mir immer aus dem Umstande erklärt, daß es manchmal acht Tage dastand, ohne eine Spur, daß jemand darin gelegen hätte.
Bey allen diesen belobten Gaben hatte Mamsell Martha ein paar kleine unbedeutende Fehler, die sich um so eher entschuldigen lassen, da sie beyde Naturfehler waren: sie putzte sich manchmal zu lange, und konnte die Buchstaben k. r. sch. und g. nicht aussprechen.
»Mohizchen,« sagte sie immer des Abends zu mir: »wilt du nicht zu Bette ehn?«
Fünftes Kapitel.
Moriz – dritte Schilderey.
Ich war um die Zeit ein Junge von dreyzehn Jahren. So lange ich denken konnte, hatte ich mich unter den Augen meines Papa und Marthens befunden, und wußte nicht anders, als daß ich Papa's Sohn sey, meine Mutter aber in früher Kindheit verloren habe. Munter und lustig, wie man in diesen Jahren immer ist, war ich im höchsten Grade, und vielleicht manchmal zu lustig; denn alle Augenblicke lief Klage über mich ein. Bald traf ich mit der Schleuder so gut und geschickt in die Fenster unsers Nachbars, daß ihm die Scheiben auf die Nase sprangen; bald kletterte ich in seinen Garten und machte mich über seine Blumen, Aepfel, Birnen und Kirschen; bald hatte ich Pastors Wilhelmchen links und rechts geohrfeigt, und bald unsern Kantor einen Saufaus geheissen.
Alles das blieb freylich nicht verschwiegen, aber doch kam es selten bis vor meinen Papa. Niemand konnte zu ihm, wenn er sich nicht vorher bey Marthen gemeldet hatte, und diese war mir zu gut, als daß sie solche Hiobsbothen hätte vor ihn lassen sollen. Sie machte den Schaden entweder mit guten Worten, oder mit einem Glase Wein, oder mit Geld wieder gut, und ich trug höchstens ein: Fi häme dich, Mohizchen! davon.
Aber dies war der geradeste Weg, mich zum wildesten, unbändigsten Jungen zu machen. Alle vier Wochen brauchte ich ein Paar neue Schuh, und wenn neue Stiefeln an meine Füße kamen, so wadete ich in allen Pfützen umher, um herauszubringen, ob sie Wasser hielten. Wenn ich Beinkleider bekam, (sie waren gewöhnlich von Plüsch und schrieben sich aus Papa's Kleiderschrank her) so war es mir tödlich zuwider, daß sie so rauch waren, und ich rutschte und kroch so lange im Grase herum, bis sie kahl wurden und sich grün färbten. Ueberdies hatte ich einen unsäglichen Abscheu gegen alles, was weiß war. Wenn ich des Morgens ein Paar weisse baumwollene Strümpfe anziehen mußte, so konnte ich die Zeit nicht erwarten, bis ich damit zum Hause hinaus kam; dann ging es schnurstracks auf einen ziemlich breiten Graben zu, an welchem ich mich im Springen übte. Ich sprang so lange herüber und hinüber, bis ich hineinplumpte, und dann war es um die weissen Strümpfe gethan.
Kein Gebüsch war mir zu dicke, kein Baum zu hoch. Ich kroch und kletterte so lange, bis man Morizen stückweise auf den Hecken und Aesten hangen sah.
Mit allen Jungen aus der Nachbarschaft balgte ich mich herum, sagte aber kein Wort, wenn sie mich weidlich zerprügelt hatten, sondern trug mein Kreutz geduldig; aber, wenn ich den Sieg davontrug, so mußt' es alle Welt wissen. Je größer der Junge war, desto lieber schlug ich mich mit ihm. Die Kleinen konnten mich necken wie sie wollten, ich war zu stolz, um sie dafür abzubläuen.
Mein beständiger Gefährte war ein großer englischer Hund. Weil ich mit ihm aufgewachsen war, so hatte ich seine Freundschaft in dem Grade, daß sich niemand unterstehen durfte, mich anzugreifen, wenn er nicht mit zerrissenem Rocke nach Hause gehen wollte. Balgte ich mich mit einem meiner Spielkameraden und lachte dazu, so blieb er ruhig, entfuhr mir aber ein Laut, der weinerlich klang; so nahm er meinen Gegner beym Rockzipfel, oder war er groß, bey der Wade, und zerrte ihn unter Brummen und Murren einige Schritte rückwärts. Bis in mein zwölftes Jahr ritt ich auf ihm, aber nach der Zeit wurde ich ihm zu schwer, und wenn ich ihm einen Ritt zumuthen wollte, legte er sich nieder, und schlug mit allen Vieren um sich, aber nicht grimmig, sondern mit freundlichen Manieren. Von dieser Zeit an ging ich zu Fuße.
Um mein Wissen stand es damals nicht sonderlich. Ich konnte ein bischen lateinisch decliniren, ein bischen rechnen und ein paar Worte französisch. Mit der Feder wußte ich noch am besten umzuspringen, und das war, nach dem, was ich oben gesagt habe, kein Wunder. Mit dem Katechismus stand es so so! Das Vaterunser und die gewöhnlichen Tischgebete, konnte ich, wenn ich nicht gerade recht hungrig war, ohne Anstoß; aber die fünf Hauptstücke und was dazu gehört, konnte ich nicht so gut. Mamsell Martha nahm sich zwar dann und wann die Mühe, mich darin zu examiniren, aber was half es, da es blos auf mich ankam, ob ich mich wollte examiniren lassen oder nicht.
Dicht an unser Guth stieß ein andres, das einem Edelmanne gehörte, der als Husaren-Oberster seinen Abschied genommen hatte. Er hatte drey Kinder, zwey Töchter und einen Sohn, für die er einen Hofmeister hielt. Weil er mich meiner Munterkeit wegen lieb gewonnen hatte, so erlaubte er mir, die Stunden zu besuchen, die der Hofmeister seinen Kindern gab, räumte mir auch sonst noch vielerley Freyheiten ein, die mir ein andrer schon darum, weil ich schlechtweg Ernst hieß, nicht eingeräumt haben würde.
Der junge Herr, sein Sohn, war ein Pinsel, aber die beyden Fräulein waren desto munterer. Er war der ewige Gegenstand unsres Spottes und unsrer Neckereyen, lernte aber in einer Stunde mehr, als wir andre zusammen genommen, in acht Tagen. Dafür war er der Liebling unsres Hofmeisters: eine Ehre, um die wir nicht eine taube Nuß gaben. Sein Vater glaubte, daß meine natürliche Wildheit, seine Träumerseele ein wenig aufheitern sollte, und sah mir deshalb bey vielen Gelegenheiten durch die Finger; aber er blieb in seinem Seelenschlafe, und ging immer und ewig langsam, wenn wir andre uns ausser Athem liefen.
In den Stunden lernte ich, was ich wollte und konnte, und es war mir so wenig Ernst, als den beyden wilden Mädchen. Ich konnte sie nicht ohne Lachen ansehen, und sie mich nicht. Der Hofmeister durfte auch nicht viel sagen, denn die eine war das Schooßkind der Mama, die andre des Papa, und ich der Liebling beyder, und der Liebhaber von Malchen. So hing eins an dem andern wie Kletten, und der künftige Stammhalter der Familie durfte nicht mucksen.
So jung ich damals auch war, so viel Ehrgeitz hatte ich. Aber war es anders möglich? Papa und Martha trugen mich auf den Händen; Fräulein Malchen nannte mich beständig: lieber Moriz! Fräulein Louischen: Wildfang! Ihre Mama: kleiner Flachskopf!